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Kanzerogene Lebensmittelinhaltsstoffe: Phenylpropene

Kanzerogene Lebensmittelinhaltsstoffe: Phenylpropene

Natürlich riskant

Die Natur versteht es meisterhaft, giftige Stoffe herzustellen. Die von Schimmelpilzen produzierten, äußerst lebertoxischen und kanzerogenen Aflatoxine sind zurzeit in aller Munde. Dass man freiwillig auf den Genuss sichtbar verschimmelter ­Lebensmittel verzichtet, ist schon fast ein angeborener Reflex. Auch einen Fliegenpilz oder den falschen Teil eines Kugelfisches sollte man möglichst meiden. Aber in einer so satt grün und ­gesund aussehenden Gewürzpflanze wie Basilikum kann doch nun wirklich nichts Ungesundes stecken! Oder doch?

Lebensmittel (LM) können eine Vielzahl unerwünschter Stoffe enthalten, die sich z.B. auf die Haltbarkeit oder sensorischen Eigenschaften auswirken oder aber ernste toxikologische Gefahren bergen. Sie können gezielt mit dem LM in Kontakt gebracht und nur unvollständig entfernt werden (z.B. Pestizid- oder Antibiotikarückstände) oder sie kontaminieren das Lebensmittel ungewollt wie Dioxin in Eiern. Und doch: Auch Basilikum und viele andere kerngesund aussehende Pflanzen stellen selbst toxikologisch zumindest bedenkliche Stoffe her: Phenylpropene (PP).

Kanzerogenität und Aktivierung

Bereits in den 1970er-Jahren beobachtete man in Tierversuchen an Ratten oder Mäusen, dass einige PP Adenome und Karzinome verursachen können, wobei die Leber das Hauptzielorgan darstellt. Hierzu zählen die allylischen PP Methyleugenol (ME), Estragol und Safrol sowie die propenylischen Verbindungen α- und β-Asaron sowie Isoeu­genol (Tab. 1).

Metabolisierung verantwortlich für Kanzerogenität

Die Muttersubstanzen sind nicht direkt für die toxischen Wirkungen verantwortlich, sondern erst die vom Körper gebildeten Metaboliten. Das eigentliche Ziel dieser Metabolisierungen besteht darin, endogene oder exogene (Gift)-Stoffe über den Harn oder die Galle auszuscheiden, indem die Hydrophilie der Substanzen erhöht wird. Hierbei können aber auch toxischere Zwischenprodukte gebildet werden wie im Falle allylischer PP (Abb.1). Zunächst findet eine von Cytochrom-P450-Enzymen (CYP) katalysierte Hydroxylierung in 1’-Position der Allylseitenkette statt (Phase-I, z.B. in der Leber). Anschließend wird der entstandene Alkohol durch Sulfotransfer­asen (SULT) sulfoniert (Phase-II, z.B. in Leber oder Niere). Der Sulfatester zerfällt spontan in Sulfat und ein reaktives mesomeriestabilisiertes Carbokation. Dieses ultimale Kanzerogen ist ein starkes Elektrophil und kann mit DNA Addukte bilden, die Mutationen und in der Folge Tumoren auslösen können. Durch die Beteiligung der Sulfonierung an der Aktivierung allylischer PP sind die Verbindungen oft negativ in klassischen Mutagenitätstests wie dem Ames-Test, da diesen Testsystemen i.d.R. die SULT-Aktivität fehlt. Weitere Reaktionswege sind die Epoxi­dierung der Seitenkette, Demethylierung oder die Oxidation der gebildeten Alkohole durch Alkoholdehydrogenasen oder CYPs. Diese Reaktionen liefern zwar durchaus reaktive Metaboliten, welche in vitro gentoxische Effekte haben [1]. Dennoch wird deren Bildung als Detoxifi­zierung ­angesehen, da die gebildeten Metaboliten schnell von Glutathion oder Aminosäuren abgefangen werden können und in vitro keine oder kaum DNA-Addukte bilden [2].



Abb.1 Metabolisierungswege von Methyleugenol. Rote Reaktionspfeile markieren Aktivierung (Giftung), grüne Detoxifizierungsreaktionen, schwarze können potenziell zu beidem führen. CYP: Cytochrom P450; SULT: Sulfotransferase; UDP-GT: UDP-Glucuronosyltransferase; ADH: Alkoholdehydrogenase

Strukturelle Vielfalt

Klare Strukturmerkmale, die die Kanzerogenität bestimmen, sind nicht ohne Weiteres auszumachen. So ist die Allyl-Seitenkette keineswegs eine Grundvoraussetzung. Auch wenn die Mehrheit der propenylischen Verbindungen toxikologisch unproblematisch ist, gibt es Ausnahmen: α- und β-Asaron sowie das nicht gentoxische Isoeugenol wirken im Tierversuch kanzerogen. Obgleich eine direkte Hydroxylierung in 1’-Position eigentlich ausgeschlossen scheint, findet man einen solchen Metaboliten interessanterweise als einen Hauptmetaboliten von β-Asaron (Abb.2). Somit scheint der „klassische Weg“ der Aktivierung für β-Asaron denkbar. Bei Isoeugenol und α-Asaron konnten wir in unseren ­ In-vitro-Versuchen hingegen keinen 1’-OH-Metaboliten identifizieren, was die Vermutung nahelegt, dass der Kanzerogenität dieser beiden Verbindungen ein anderer Wirkmechanismus zu Grunde liegt.



Abb.2 HPLC-Chromatogramm des Inkubationsüberstandes von β-Asaron (c = 500 µM, 60 min) mit humanen Lebermikrosomen (unten) und identi­fizierte Metaboliten (oben)

Risikobewertung und Regulierung

Ein Ansatz beim Risikomanagement gen­toxischer kanzerogener LM-Inhaltstoffe ist die Berechnung des „Margin of exposure“ (MOE). Dieser setzt die Dosis, die (im Tierversuch) gerade einen Anstieg der Tumor­inzidenz hervorruft (z.B. T25 oder BMDL­10), mit der oralen Aufnahme eines Stoffes in einer Bevölkerungsgruppe ins Verhältnis, wobei mehrere Unsicherheitsfaktoren eingerechnet werden. Somit erhält man zwar keine quantitative Risikoabschätzung, kann aber ein Ranking verschiedener Substanzen ableiten. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schätzt die Prio­rität, regulierend einzugreifen zu müssen, dann relativ gering ein, wenn der MOE über 10.000 liegt. Ist er niedriger als 10.000, so scheint der Handlungsbedarf höher und Minimierungsmaßnahmen dringlicher. Schätzungen zur täglichen Aufnahme von ME liegen zwischen <10–220µg/kg Körper­gewicht. Legt man nun den BMDL10 zu Grunde, ergibt dies einen MOE von 100 – 800 für die Bevölkerung der USA bzw. Werte um 3100 oder höher für Europäer [4]. Ein Grund hierfür kann sein, dass die Verwendung von reinem ME als Aromastoff in den USA erlaubt ist. In der EU hingegen ist der gezielte Zusatz von ME, Safrol, Estragol und b-Asaron zu Lebens­mitteln verboten. Überdies sind für den natürlichen Gehalt dieser ­Substanzen Höchstmengen definiert. Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 reguliert die Gehalte z.B. für alkoholische Getränke und andere Produktgruppen. Maximale Gehalte von bis zu 60mg/kg sind als natürliche Höchstmenge erlaubt.

Synergismus und Antagonismus

Das klassische „Risk assessment“ beschränkt sich auf die Bewertung von Einzelstoffen. Um eine aussagekräftige Risikoanalyse in Bezug auf ein LM durchzuführen, muss natürlich die Gesamtheit der toxisch bedenklichen PP berücksichtigt werden, denn meist kommen mehrere PP, die über den gleichen Wirkmechanismus aktiviert werden, in PP-reichen LM vergesellschaftet vor. Es fehlen derzeit Untersuchungen, in denen der Gesamtgehalt der „PP of concern“ verschiedener LM ermittelt wird. Andererseits ist auch in Betracht zu ziehen, dass es sich bei LM oft um sehr komplexe Matrices ­handelt, die eine Fülle weiterer, evtl. (krebs-) protektiver Inhaltsstoffe aufweisen. So können manche PP-reiche, metha­no­lische Pflanzenextrakte potent die Sul­fo­transferase-Aktivität hemmen, was im Weiteren die Bildung von Methyleugenol- und Estragol-DNA-Addukten in der Zellkultur verringert [5]. Im Falle von Basilikumextrakt sind diese Effekte stark ausgeprägt und werden hauptsächlich auf Flavonoide zurückgeführt. Fraglich bleibt, wie humanrelevant diese Effekte sind, da Flavonoide deutlich schlechter bioverfügbar sind als PP.

Mensch oder Maus?

Natürlich werfen solche Ergebnisse aus Nage­tierstudien immer wieder eine der zentralen Fragen der experimentellen Toxikologie auf: Inwieweit sind die in Tierversuchen gefundenen Effekte hochdosierter Reinsubstanzen auf den Menschen übertragbar? So viel ist sicher: Der Mensch hat die notwendige Enzymausstattung für die Bioaktivierung der PP. Mit experimentellen ­­ In-vitro-Daten und aufwändigen Simulationsmodellen konnten toxikokinetische und -dynamische Parameter vieler PP berechnet und extrapoliert werden. Ein Resultat ist, dass die Metabolisierungswege der PP zwar quantitativ bei Ratte und Mensch variieren, aber die Unterschiede bei der ultimalen Gesamtbioaktivierung (z.B. von ME) zwischen Ratte und Mensch vernachlässigbar sind [6]. Neue Brisanz erfährt das Forschungs­gebiet durch eine jüngst von Wissenschaftlern am Deutschen Institut für Ernährungs­forschung veröffentlichte Arbeit. Sie unter­- suchten 30 humane Leberbiopsieproben und wiesen in 29 Methyleugenol-DNA-­Addukte nach. Der Median bzw. Maximalwert der detektierten Addukte lag bei 13 bzw. 37 pro 108 Nukleoside [7]. Diese Addukt-Level liegen nahe an denen, die man für bekannte Hepatokanzerogene im Bereich des TD50 (die Dosis, bei welcher die Lebertumorinzidenz in einer Langzeit-Nagetierstudie 50% beträgt) beobachtet. Somit ist die schlichte Anzahl der gefundenen ME-Addukte erstaunlich hoch. Ob und in welchem Ausmaß DNA-Reparatur eine Rolle spielt, ist derzeit noch nicht untersucht.

Fazit

PP sind eine überaus interessante Verbindungsklasse. Geringste Unterschiede der Strukturen führen zu gänzlich anderen Wirkungen, die nicht allein durch Kenntnis der Struktur vorherzusagen sind. Es besteht zwar kein Grund zur Panik, aber es ist gesichert, dass viele PP gen­toxische Nager-Kanzerogene sind, für die zurzeit kein sicherer Schwellen- oder Grenzwert abgeleitet werden kann. Auch wenn die Dosen aus Tierversuchen bei ­einer ausgewogenen Ernährung nicht erreicht werden und bislang kein direkter klinischer oder epidemiologischer Zusammenhang zwischen Lebertumoren und der Aufnahme von PP beim Menschen bestätigt wurde, kann die Empfehlung aufgrund der unzureichenden Datenlage derzeit nur lauten, die Gehalte an PP in Nahrungsmitteln besser zu untersuchen, zu kontrollieren und nach Möglichkeit, z.B. durch gezielte Züchtungen in pflanzlichen LM, zu vermindern.

Literatur
[1] Groh, I.A. et al. (2012) Food Funct. 3, 428-436
[2] Cartus, A.T. et al. (2012) Toxicol. Sci. 129, 21-34
[3] Miele, M. et al. (2001) J. Agric. Food Chem. 49, 517-521
[4] Lachenmeier, D.W. et al. (2013) Eur. Food Res. Technol. 236, 267–275
[5] Alhusainy, W. et al. (2012) Toxicol Sci. 129, 174-87
[6] Al-Subeihi, A.A. et al. (2012) Toxicol. Appl. Pharmacol. 260, 271-284
[7] Herrmann, K. et al. (2013) Carcinogenesis 2013, doi: 10.1093/carcin/bgt013
[8] Miller, E.C. et al. (1983) Cancer Res. 43, 1124-1134
[9] Purchase, R. et al. (1992) Food Chem Toxicol. 30, 475-81
[10] Wiseman, R.W. (1987) Cancer Res. 47, 2275-2283
[11] Natl. Toxicol. Program Tech. Rep. Ser. (2010) 551, 1-178.

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© womue - Fotolia.com panthermedia.net?|?Christian Jung

Stichwörter:
Kanzerogenität, Metabolisierung

L&M 6 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2013.
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