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Persistentes Risiko

Wirkungen und Mechanismus von Dioxin

Dioxin ist die Abkürzung für 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin (TCDD) und stellt den Prototyp einer Gruppe von Umweltgiften dar, die sich aus 75 verschiedenen Dibenzodioxinen und 135 Dibenzofuranen zusammensetzen.
Aus dieser Gruppe gelten 17 Vertreter als toxisch, wobei TCDD die größte Toxizität aufweist. Traurige Berühmtheit hat Dioxin 1976 erlangt, als in Seveso, einer italienischen Gemeinde nördlich von Mailand, bei einem Chemieunglück einige Kilogramm Dioxin („Seveso-Gift“) in die Umwelt freigesetzt wurden und mehrere hundert Menschen erkrankten. Dioxin war außerdem Bestandteil von „Agent Orange“, das als Entlaubungsmittel während des Vietnamkrieges in den 60er-Jahren eingesetzt wurde.

Dioxinquellen

Dioxin kann als Nebenprodukt chemischer Synthesen chlorierter organischer Verbindungen gebildet werden. Hauptemissionsquellen sind allerdings unvollständige Verbrennungsprozesse. Aufgrund gesetzlicher Regularien – z.B. des vorgeschriebenen Einsatzes effizienter Filter bei der Müllverbrennung – konnte die Dioxinfreisetzung in den letzten Jahrzehnten deutlich gesenkt werden. Die einzigen natürlichen Quellen sind Waldbrände und Vulkanausbrüche. Dioxin ist sehr lipophil, chemisch und thermisch stabil – es wird erst bei Temperaturen von über 800 °C zersetzt –, sodass es sich in der Nahrungskette anreichern kann und im Fettgewebe kumuliert. Die Halbwertzeit im Menschen wird mit 7–11 Jahren angegeben. Über 90 % des Dioxins bzw. dioxinähnlicher Substanzen werden über die Nahrung aufgenommen, insbesondere über Fleisch, Fisch, Eier, Geflügel- und Milchprodukte. Die tägliche Aufnahmemenge liegt bei ca. 2 pg/kg Körpergewicht und man geht derzeit davon aus, dass die Gesamtbelastung junger Erwachsener bei ca. 10 pg/g Körperfett liegt. In dioxinbelasteten Eiern wurden ca. 60 pg Dioxin/Ei gemessen. Würde also eine 60 kg schwere Person mit einem Körperfettanteil von 25 % einen Monat lang jeden Morgen ein solches Ei essen, würde deren Gesamtbelastung um etwa 1 % steigen.

Wirkungen

Im Tiermodell gilt Dioxin als eine der toxischsten Substanzen überhaupt, wobei sich die Toxizität durch starke Speziesunterschiede auszeichnet. So liegt die LD50 beim Meerschweinchen mit 0,6–1 pg/kg um 1000- bis 10000-fach niedriger als beim Hamster. Der Mensch gehört glücklicherweise zu den weniger sensiblen Spezies mit einer geschätzten LD50 von ca. 5000 pg/ kg. Nach einer akuten Dioxinintoxikation sterben die Tiere am so genannten „wasting syndrome“, das durch Thymusatrophie, Lipolyse und schwere Veränderungen im Stoffwechsel gekennzeichnet ist. Daneben können Leberschäden beobachtet werden. Die wichtigsten chronischen Wirkungen im Tiermodell sind Immunsuppression, Teratogenität, Störungen des endokrinen Systems sowie Tumorpromotion vor allem in der Leber und der Lunge. Hauptsymptom beim Menschen nach einer akuten Vergiftung mit Dioxin ist die Chlorakne. Ein Anstieg von Lebertransaminasen und Triglyceriden im Blut weist außerdem auf Hepatotoxizität hin. Immunsuppression konnte im Menschen bislang nicht festgestellt werden. Allerdings scheint Dioxin einen Einfluss auf die Reproduktion beim Menschen auszuüben: In Seveso zeugten stark mit Dioxin belastete junge Männer deutlich mehr Mädchen als Jungen. Aufgrund limitierter Evidenzen beim Menschen und ausreichender Evidenz im Tiermodell wurde Dioxin 1997 von der WHO als karzinogen eingestuft. So konnte man nach dem Sevesounfall in der betroffenen Bevölkerung eine Zunahme an Lymphomen und Leukämien, Weichteilsarkomen sowie Brustkrebs feststellen. Allerdings wird diese Einstufung heute noch kontrovers diskutiert.

Mechanismus – der Arylhydrocarbon-Rezeptor

Die meisten, wenn nicht sogar alle Wirkungen von Dioxin werden über einen Rezeptor vermittelt, den Arylhydrocarbon-Rezeptor (AhR). Der AhR wird in allen Tierspezies von der Fruchtfliege und dem Fadenwurm über Fisch, Maus, Ratte bis zum Menschen gebildet und wird beim Menschen in nahezu allen Geweben und Organen exprimiert. Es handelt sich um einen Transkriptionsfaktor, der, an verschiedene Proteine gebunden, im Zytosol vorliegt.
Nach Bindung an einen Liganden wie beispielsweise Dioxin transloziert er in den Zellkern, assoziert mit seinem Partner ARNT (aryl hydrocarbon receptor nuclear translocator) und bindet an spezifische Sequenzen, so genannte dioxinresponsive Elemente, in Promotorregionen bestimmter Gene. Damit wird die Expression dieser Gene induziert. Am besten untersucht ist bislang die Expression fremdstoffmetabolisierender Enzyme, wie die der Cytochrom P450-Familie (CYP1A1, CYP1A2, CYP1B1) und einiger Phase II-Enzyme wie z.B. Glutathion- Transferase oder Aldehyd-Dehydrogenase. Im Falle von Dioxin führt die Expression dieser Enzyme aber nicht zu einer verstärkten Elimination, da Dioxin aufgrund seiner Struktur nicht metabolisiert werden kann. Man macht u.a. die daraus resultierende permanente Aktivierung des AhR für die Toxizität von Dioxin verantwortlich. Der AhR wird jedoch nicht nur durch Dioxin und dioxinähnliche Substanzen aktiviert, sondern auch durch planare polychlorierte Biphenyle (PCBs) und durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs). Interessanterweise konnten auch einige Nahrungsbestandteile wie Flavononoide oder Indole als potente Liganden des AhRs identifiziert werden. PAKs finden sich z.B. im Teer, in Abgasen und im Tabakrauch. So führen diese Substanzen ebenfalls zu einer Induktion dieser Enzyme, wobei die PAKs durch diese metabolisiert und in eine hydrophilere Form überführt werden, was für ihre Elimination wichtig ist. PAKs führen also im Gegensatz zu Dioxin über die Stimulation des AhRs zu ihrer eigenen Metabolisierung und damit zu ihrer Ausscheidung. Leider werden bei diesen Reaktionen auch Metabolite (u.a. Diolepoxide) gebildet, die hochreaktiv sind und an die DNA binden, wo sie zu genetischen Veränderungen und damit Mutationen führen. Dies erklärt die krebserzeugenden Eigenschaften der PAKs. Die tumorpromovierenden Wirkungen von Dioxin können allerdings nicht mit der Induktion fremdstoffmetabolisierender Enzyme erklärt werden. Bis heute sind die zu Grunde liegenden molekularen Mechanismen nicht bekannt. Im Tiermodell konnte man feststellen, dass eine Hemmung der Apoptose offensichtlich eine wichtige Rolle spielt. Man weiß allerdings nicht, welche Signalwege in der Zelle an diesem Prozess beteiligt sind. Anhand von Zellkulturen mit Epithelzellen aus der Rattenleber konnten wir einen neuen Signalweg identifizieren. So wird durch Dioxin ein Transkriptionsfaktor der AP1-Familie induziert (JunD), der wiederum die Expression von einem Protoonkogen (Cyclin A) stimuliert, was zu einer Störung der Proliferationskontrolle in diesen Zellen führt. Ob dieser Weg im Tiermodell eine Rolle spielt, muss allerdings noch untersucht werden.

Fazit

Aufgrund strenger Richtlinien ist die Emission von Dioxin und dioxinähnlicher Substanzen in den letzten Jahrzehnten glücklicherweise stark zurückgegangen. Da diese Substanzen aber sehr stabil und lipophil sind, gehören sie zu den persistierenden organischen Umweltgiften, sodass man auch heute von einer permanenten Hintergrundbelastung ausgeht. Diese ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand für den Menschen nicht schädlich. Eine wissensbasierte Risikoabschätzung für Dioxin ist allerdings zurzeit nicht möglich, da man die molekularen Mechanismen der toxischen Dioxinwirkungen nicht kennt und auch die Ursachen für die starken Speziesunterschiede bislang nicht erforscht sind. Es muss daher gelten, die Dioxinaufnahme so weit wie möglich zu senken und die Kontamination von Lebensmitteln mit Dioxin absolut zu vermeiden.

cdietric@uni-mainz.de

L&M 1 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2011.
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