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Kunst trifft Analytik

Die Verwendung von Titanweiß (SiO2) hat den Fälscher von Campendonks Gemälde „Rotes Bild mit Pferden“ überführt. Offenbar war noch nicht bis zu ihm durchgedrungen, was Kunstexperten bekannt ist: Das Pigment wurde vor 1914 in der Malerei noch nicht verwendet.

Lupe und Lichtmikroskop sind klassische, einfache Hilfsmittel, um Kunstwerke zu beurteilen. Inzwischen haben sich jedoch Methoden der instrumentellen Analytik etabliert, die heute für den Authentizitätsnachweis von Gemälden unerlässlich sind. Museen (und der Kunsthandel) können mithilfe dieser Techniken Materialien und Vorgehensweisen
bei Fälschungen aufdecken.
Moderne analytische Verfahren sind für Museen essenziell bei Fragen der Restaurierung, Beurteilung, Konservierung oder Datierung von Kunstwerken. Außerdem können Alterungsprozesse besser verstanden werden und erlauben eine fachgerechte Konservierung und Restaurierung. Normalerweise werden für eine Analyse winzige Querschnittsproben entnommen, um die vier essenziellen Elemente der Maltechnik eines Malers aufzudecken: die verwendeten Pigmente, die Bindemittel und die Schichtdicke sowie die Anzahl der Farbaufträge. Die Probenentnahme von einem wertvollen Gemälde ist besonders kritisch. Deswegen werden analytische Verfahren bevorzugt, die mit Fragmenten von weniger als 0,001 mm3 auskommen oder ganz darauf verzichten können

Analytische Techniken

Zur Analyse von Kunstwerken werden verschiedene, teilweise schon lange etablierte Techniken wie die UV-, die IR- und die Ramanspektroskopie verwendet, um den atomaren, molekularen oder strukturellen Aufbau zu studieren. Durch den Vergleich mit IR- und Ramanspektren aus Datenbanken können Pigmente eindeutig identifiziert werden.
Das nicht destruktive, bildgebende Verfahren der Röntgen-Transmissionsradiografie (XRR) erzeugt Bilder, die vor allem von schweren Elementen (Pb, Hg) eines Farbpigments herrühren. Erfasst werden dabei die Summe aller elementspezifischen Absorptionen und natürlich auch der häufig aus einer homogenen Schicht von Bleiweiß bestehende Malgrund. Die konventionelle XRR-Bildgebung gewährt deshalb nur fragmentarische Einblicke in die Substruktur eines Gemäldes.
Wesentliche Fortschritte hat die Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie (XRF) gebracht, denn die emittierte Röntgenstrahlung ist elementspezifisch. Bei einem Bild können deshalb geringe und höhere Anteile nebeneinander vorliegender Pigmente identifiziert werden. Die von einem gebündelten Röntgenstrahl angeregten Atome emittieren Sekundärstrahlung, aus der das Bild generiert wird. Erzeugt wird der Röntgenstrahl entweder konventionell von einer Röntgenröhre, einer radioaktiven Quelle oder er stammt aus einer Synchrotronstrahlungsquelle, z.B. beim Hamburger HASYLAB (Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY). Dort steht zur Bildgenerierung ein gebündelter Strahl von etwa 0,5 x 0,5 mm2 zur Verfügung.
Auch Synchrotron-FTIR-Spektroskopie ist möglich, wenn Synchrotronemissionsstrahlung im Infrarotbereich als Quelle verwendet wird. Damit kann das Beobachtungsfeld von ca. 20 x 20 ?m2 auf etwa 5 x 5 ?m2 bei gleichem Signal/Rausch-Verhältnis reduziert werden.

Kunstexkursion I: Mona Lisas Teint

Die Perfektion von Leonardo da Vincis Maltechnik ist faszinierend, sind doch in seinen Porträts die Farbabstufung und der Farbton von hell zu dunkel kaum wahrnehmbar, kein Pinselstrich oder eine Kontur sind zu erkennen, Licht und Schatten gehen in einem nebeligen Dunst ineinander über: Mona Lisa lächelt uns geheimnisvoll zu. Bei der von da Vinci perfektionierten Sfumato-Technik werden mehrere Farblasuren übereinander aufgetragen und verleihen den Porträts diesen beeindruckenden, natürlichen Effekt. Wie diese Technik genau funktioniert, konnte bisher nicht geklärt werden. P. Walter und sein Team vom Louvre in Paris haben neben der Mona Lisa sechs weitere Bilder mittels XRF-Spektroskopie untersucht, um dieses Rätsel zu lösen (Angew. Chem. 2010, 122, 6261 – 6264).
Bisher lieferte diese Methode nur qualitative Ergebnisse, weil alle Pigmentschichten gleichzeitig erfasst wurden. Mit einer neuen Software war es nun möglich, quantitativ die Zusammensetzung und die Dicke der Schichten zu bestimmen. Das setzt Informationen und Experimente voraus zu den Rezepten der zu Zeit da Vincis verwendeten Lasuren und Farben sowie ihrer physikalischen Eigenschaften. Von Bildern der gleichen Periode ist bekannt, dass Leonardo die Hauttönung aus vier Schichten komponierte: 1. Grundierung aus Bleiweiß (2 PbCO3·Pb(OH)2); 2. Schicht aus einer Mischung von Bleiweiß, Vermilion (Zinnober, HgS) und Eisenoxiden; 3. Schattenlasur oder opaker Anstrich aus dunklen Pigmenten; 4. Firnis als Abschluss.
Die XRF-Spektren von Mona Lisas Bild zeigen, dass in den unteren Lasurschichten der Gehalt an Blei konstant bleibt, wobei die Stärke der Schicht etwa 2 – 5 ?m beträgt. Die dunklen Bereiche entstehen, indem die mangan- und eisenhaltige Lasurschicht dicker (ca. 50 ?m) aufgetragen wurde. Die langsame und regelmäßige Zunahme der Schichtdicke lässt darauf schließen, dass 20 – 30 Lasuren aufgebracht wurden, um die dunkelsten Schatten zu erzeugen.
Auffällig bei den Lasuren ist der ungewöhnlich hohe Gehalt an Manganoxid und Eisenoxid (MnO2 1.4 %, Fe2O3 ca. 1 %). Ähnliche Konzentrationen fand das Forscherteam auch bei dem Bild „Johannes der Täufer“. Die lange Trocknungszeit der Lasuren, die in Abhängigkeit vom Gehalt an Harz und Öl Monate dauern kann, erklärt auch, warum Da Vinci mehr als vier Jahre an seiner Mona Lisa arbeitete und das Bild dann nicht vollendet haben soll – so jedenfalls berichtet 1568 sein Biograf Giorgio Vasari.

Kunstexkursion II: die verborgenen Bilder Vincent van Goghs

Vincent van Gogh hat in seiner kurzen, aber ungeheuer produktiven und kreativen Karriere mehr Bilder gemalt, als wir gemeinhin annehmen, denn er benutzte bereits bemalte Leinwände wieder, um modifizierte oder neue Kompositionen anzufertigen. Diese verborgenen Bilder geben einen intimen Einblick in das Schaffen des Künstlers. Bisher ließen sich lediglich Konturen mittels XRR und IR-Spektroskopie darstellen. Dem Team von Joris Dik (Delft University of Technology) gelang es mithilfe der ?-XRFSynchrotron-Spektroskopie, ein unter dem Gemälde „Grasgrond“ verborgenes Bild mit bisher unerreichter Detailgenauigkeit und Qualität darzustellen (Anal. Chem. 2008, 80, 6436 – 6442).
Dazu wurde ein 17,5 x 17,5 cm2 Areal mit einem gebündelten Synchrotron-Strahl gescannt (Dauer: 2 d). Außerdem wurde von dem Bild eine mikroskopische Probe entnommen, um die Elementzusammensetzung der Malschichten zu ermitteln. Vor allem die Verteilung der in geringer Konzentration vorhandenen Elemente Quecksilber (Zinnober, HgS) und Antimon (Neapelgelb, Pb2Sb2O7), vermischt mit Zinkweiß (ZnO), erlauben eineRekonstruktion der Gesichtsfarben.
Das Bild stammt offensichtlich aus van Goghs früher Schaffenszeit in Nuenen Holland, als er eine noch dunkle Palette bevorzugte. Ähnliche Porträts besitzt das Van Gogh-Museum in Amsterdam.

Kunstexkursion III: ein Vermeer – ja oder nein?

Derzeit werden etwa 35 Bilder dem Maler Johannes Vermeer (1632 – 1675) zugeschrieben. Bei einem weiteren Bild, „Junge Frau an einem Virginal sitzend“ (Bauform eines Cembalos), sind sich aber Kunstexperten uneinig über die Authentizität. Das Bild wurde deswegen im Hinblick auf die Maltechnik und die von ihm verwendeten Farben analysiert. Vermeers Farbpalette ist bekannt und deshalb wurden besonders die Farbpigmente des Bildes mit den Mitteln moderner Analytik untersucht: Stereomikroskopie, Mikroskopie unter polarisiertem Licht, IR- Raman- und XRR-Spektroskopie (R. J. H. Clark et al, Anal. Chem 2006, 1261-267).
Nach den Ramanspektren einer Querschnittsprobe besteht die Grundschicht aus Bleiweiß, Kalk, roten und gelben Eisenoxiden, Lampenruß und Spuren von Umbra (Eisenoxide/MnO2) und stimmt mit authentischen Proben überein. Die das Bild dominierende gelbe Farbe des Schals ist in drei Schichten angelegt, jede unterscheidet sich in ihrem Farbton und alle enthalten zusätzlich Kreide als Farbaufheller. Solche Pigmente wurden hergestellt, um eine subtile Modellierung gelber Farbtöne zu erreichen. Vom Mittelalter bis etwa 1700 wurden als gelbe Pigmente verwendet: gelbes Eisenoxid FeO(OH), Auripigment (As4O6), Bleizinngelb Typ I (Pb2SnO4), Bleizinngelb Typ II (PbSn2SiO7), Blei-Zinn-Antmongelb (Pb2SnSbO6.5) und Realgar (As4S4). Bleizinngelb wurde schon im Mittelalter künstlich hergestellt, bis es um 1700 durch Neapelgelb (Pb2Sb2O7) abgelöst wurde. Vermeer (?1675) hat Bleizinngelb Typ I verwendet, das Bild ist damit wahrscheinlich vor 1700 entstanden.
Für Rottöne verwendete Vermeer Zinnober (HgS). Erstaunlich ist, dass er als blaue Farbe Lazurit aus Lapislazuli benutzte, das bei Weitem teuerste Pigment der damaligen Zeit. Alle Befunde geben den Experten wertvolle Hinweise und machen plausibel, dass das Bild offenbar ein „echter“ Vermeer ist.

Eine Warnung für Fälscher

Nach Schätzungen sollen etwa 20 % aller Ölgemälde auf dem Kunstmarkt gefälscht sein, im Bereich Radierung, Druck und Lithografie sogar 40 – 50 %. Mit Vorliebe werden die Künstler der klassischen Moderne gefälscht, allen voran Werke von Pablo Picasso, Joan Miró und Marc Chagall. In Deutschland liegt der Fokus auf Expressionisten wie Erich Heckel, Otto Müller oder Ernst Kirchner.
Fälscher sollten aber gewarnt sein, denn die Perfektion der analytischen Techniken wird immer weiter vorangetrieben.
Dies demonstrierten kürzlich Sichun Zhang und sein Team mit der Einführung einer Tieftemperatur-Plasmaprobe für die Imaging-Massenspektrometrie (Angew. Chem. 2010, 122, 4537 – 4539). Mit dieser Technik können Gemälde, Handschriften und Zeichnungen zerstörungsfrei untersucht werden. Dazu muss während des Experiments weder ein Lösungsmittel noch eine Matrix in die Ionenquelle oder die Probe eingebracht werden. Das für die Erzeugung des Mikroplasmas dienende Helium kann bis auf –30 °C abgekühlt werden. Bei chinesischen Gemälden und Kalligrafien werden häufig Tintenstempel als Siegel benutzt. Sie bestehen im Allgemeinen aus Pigmenten, Bindern und Additiven. Die Forscher konnten zeigen, dass mit der LTP-IMSTechnik eine sichere Unterscheidung zwischen echten und gefälschten Siegeln möglich ist. Die Methode wird Fälschern das Leben schwermachen, weil nun auch hochwertige Druckgrafik besser analysiert werden kann.

L&M 6 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2010.
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