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L&M-2-2011 > Human-Biomonitoring von chlororganischen Verbindungen

Human-Biomonitoring von chlororganischen Verbindungen

„Dioxine“ im Blut

Die Stoffgruppe der „Dioxine“ gerät regelmäßig in den Fokus des öffentlichen Interesses. So wurde beispielsweise zuletzt im Jahr 2010 die hohe Belastung von Arbeitnehmern eines Transformatoren-Recyclingbetriebes in Dortmund mit PCB und „Dioxinen“ offenkundig. Im gleichen Jahr wurde bekannt, dass durch dioxinbelastete Fette kontaminierte Tierfuttermittel in die Nahrungskette des Menschen gelangt waren, was bundesweit wochenlang Verbraucher, Bauern, Behörden und Politik in Atem hielt.

Das Human-Biomonitoring – also der Nachweis von Schadstoffen, ihrer Metaboliten oder im weiteren Sinne auch ihrer biochemischen oder biologischen schädigenden Wirkungen im Menschen – ist ein geeignetes Instrumentarium im Rahmen der Expositionsbestimmung und Risikoabschätzung [1]. Im Falle der „Dioxine“ hat sich ihr Nachweis im Ultraspurenbereich in Blut [2] und Frauenmilch [3] seit Anfang der 1990er-Jahre etabliert.

Dioxin – Was ist das?

Polychlorierte Dibenzo-p-dioxine (PCDD) und Dibenzofurane (PCDF), oft kurz als „Dioxine“ bezeichnet, gehören zur Klasse der chlorierten, aromatischen Ether bzw. Diether. Strukturbedingt existieren insgesamt 75 PCDD- und 135 PCDF-Einzelverbindungen (Kongenere), die sich in der Anzahl der Chloratome sowie ihrer Stellung zueinander unterscheiden. Die Bezeichnung der PCDD/F erfolgt anhand der Chlorsubstitution oder durch eine systematische IUPAC-Nummerierung. Aus der großen Gruppe dieser strukturell sehr ähnlichen Verbindungen sind diejenigen 7 PCDD- und 10 PCDF-Kongenere toxikologisch bedeutsam, die mindestens an den Stellen 2, 3, 7 und 8 chlorsubstituiert sind. Daneben existieren vier nicht-ortho- und acht mono-ortho-substituierte polychlorierte Biphenyle (PCB), die infolge ihrer strukturellen Ähnlichkeit mit den PCDD vergleichbare toxische Effekte hervorrufen und als dioxin- ähnliche PCB bezeichnet werden (s. Abb. 1).

Toxizitätsäquivalente

Die Wirkungen der einzelnen PCDD/F-Kongenere und die der dioxinähnlichen Verbindungen sind sehr unterschiedlich. Zur groben Abschätzung des Risikos, das von komplexen PCDD/F- bzw. PCB-Stoffgemischen ausgeht, wurde das Konzept der Toxizitätsäquivalente entwickelt. Dieses Konzept geht von einer gleichartigen sich addierenden Wirkung der Substanzen aus und basiert vorwiegend auf Studien zur Enzyminduktion, zur akuten Toxizität, Kanzerogenität und zur Reproduktionstoxizität. Jeder Einzelverbindung wird ein so genannter Toxizitätsäquivalenzfaktor (TEF) zugeordnet, der die jeweilige Wirkungsstärke in Relation zu der des 2,3,7,8-Teta-CDD angibt, wobei dieses mit dem Faktor 1 bewertet wird. Durch Multiplikation der Stoffmenge mit dem entsprechenden TEF und anschließender Addition der gewichteten Werte ergibt sich schließlich eine Stoffmenge von der die gleiche toxische Wirkung ausgehen würde wie von der gleichen Menge 2,3,7,8-Tetra-CDD. Die berechneten Werte werden als Toxizitätsäquivalente (TEq) bezeichnet.

Historischer Rückblick

Die großtechnische elektrochemische Gewinnung von Chlor wurde durch die Entwicklung der notwendigen Generatoren Ende des 19. Jahrhunderts möglich. Zeitgleich setzte die industrielle Verwendung des Chlors ein und die ersten Produktionen von chlororganischen Verbindungen begannen. Die akuten Gefahren durch chlororganische Verbindungen für den Menschen wurden schon recht früh offenkundig. So wurde das Krankheitsbild der Chlorakne erstmals 1899 bei Arbeitern der elektrochemischen Chlorproduktion beschrieben. Zur damaligen Zeit traten zahlreiche derartige Fälle auf, jedoch herrschte zunächst Unklarheit über deren Ursache. Man erkannte aber bereits, dass nicht das Chlor selbst, sondern daraus gebildete Verbindungen sowie eine Akkumulation im Organismus für die Erkrankung verantwortlich waren. Bedingt durch die Erkrankungen von nicht direkt exponierten Familienangehörigen wurde auch eine Verschleppung der Substanzen deutlich. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg wurde in zahlreichen Fällen das Krankheitsbild der Chlorakne infolge beruflicher Exposition beschrieben. Diese Krankheitsfälle wurden jedoch oftmals nicht in die Öffentlichkeit getragen. Der Zusammenhang zwischen 2,3,7,8-Tetra-CDD und der Chlorakne bzw. die Toxizität der chlorierten Dioxine wurde letztlich erst Mitte der 1950er-Jahre offenkundig.
Weit reichende Aufmerksamkeit erlangte Dioxin im Zusammenhang mit dem durch die US-amerikanischen Streitkräfte im Vietnamkrieg von 1962 bis 1970 während der Operation „Ranch Hand“ versprühten Entlaubungsmittel Agent Orange, das mit 2,3,7,8-TetraCDD kontaminiert war. Vornehmlich mit PCB und PCDF kontaminiertes Reisöl führte 1968 in Japan bei mehr als 1.800 Betroffenen zu dem unter der Bezeichnung „Yusho (oil disease)“ zusammengefassten Krankheitsbild. Schließlich führte 1976 das Unglück in der Firma ICMESA in Seveso, Norditalien, wo durch einen außer Kontrolle geratenen Prozess der Trichlorphenol-Synthese mehr als 2 kg 2,3,7,8-Tetra-CDD in die Atmosphäre entwichen waren, zu weltweiter Aufmerksamkeit.

Aktuelle Belastungssituation

Derzeit ist in den westlichen Industriestaaten die Chlorchemie nur noch in geringem Maß an Neueinträgen in die Umwelt beteiligt, gilt aber als wichtiger Verursacher von Altlasten. Aktuell wichtige Primärquellen des PCDD/F-Eintrages in die Luft sind die Metallerzeugung und -verarbeitung, die Abfallverbrennung, die Industrie- und Gewerbefeuerungen und die Hausbrandfeuerstätten. Bedingt durch die ubiquitäre Verbreitung der PCDD/F erfolgt die tägliche Exposition der Allgemeinbevölkerung vorwiegend gegenüber sehr geringen Konzentrationen in verschiedenen Medien, wobei die Bedeutung der Aufnahmepfade in der Reihenfolge oral – inhalativ – perkutan abnimmt. Dabei kommt es zu einer Anreicherung der PCDD/F in der Nahrungskette, wobei für den Menschen vor allem die Pfade „Luft - terrestrische Pflanze - terrestrische Tiere - Mensch“ und „Wasser - aquatische Tiere - Mensch“ von Bedeutung sind. Im Zuge dessen findet eine nahezu selektive Anreicherung der Kongenere mit 2,3,7,8-Chlorsubstitution statt. Die Haupteintragsquelle im Bereich der Hintergrundbelastung stellt die orale Aufnahme über Lebensmittel tierischen Ursprungs dar.

Analysenverfahren

Der Nachweis der „Dioxine“ in Blutproben gliedert sich in die Schritte Extraktion, Aufreinigung (Clean-Up), gaschromatografische Trennung und massenspektrometrische Identifizierung und Quantifizierung. Dabei stellt die Isolierung der „Dioxine“ aus der Probenmatrix den aufwändigsten Schritt dar. Hier müssen die nur in Ultraspuren vorkommenden Verbindungen von störenden Substanzen wie z.B. den Blutfetten und anderen im Humanblut vorkommenden Schadstoffen vollständig abgetrennt werden. Dies geschieht unter Einsatz mehrerer aufeinander abgestimmter säulenchromatografischer Trennschritte unter Verwendung von modifizierten Kieselgelen und Aktivkohle. Letztlich werden die in ursprünglich 50 ml Vollblut vorhandenen Moleküle auf wenige Mikroliter Lösungsmittel aufkonzentriert.
Der so gewonnene Extrakt wird danach mittels Kapillargaschromatografie (GC) in Kombination mit hochauflösender Massenspektrometrie (HRMS) analysiert. Durch die Gaschromatografie werden die 210 verschiedenen Kongenere aufgrund ihres Siedepunktes und struktureller Eigenschaften nahezu vollständig aufgetrennt. Sie gelangen dann innerhalb etwa einer Stunde nach und nach zeitlich verzögert in das Massenspektrometer, wo sie ionisiert, in einem elektrischen Feld beschleunigt und in einem Magnetfeld in Abhängigkeit von ihrer Masse aufgetrennt werden. Die Ionen werden detektiert, das Signal wird digitalisiert und von einem angeschlossenen Computersystem aufgezeichnet. Die Identifizierung der „Dioxine“ erfolgt nach ihrer Verweilzeit im Gaschromatografen, der sog. Retentionszeit sowie des Isotopenverhältnisses mehrerer charakteristischer Massenfragmente. Zur Quantifizierung wird die Signalstärke dieser Massenfragmente im Vergleich zu denen von isotopenmarkierten „Dioxinen“, welche vor der Analyse dem Blut in genau bekannten Mengen zugesetzt wurden, verwendet. Die Konzentrationen werden dann üblicherweise auf das Blutfett oder das Blutvolumen bezogen und in Form der o. g. Toxizitätsäquivalentkonzentrationen in einem Zahlenwert zusammengefasst. Durch den Einsatz der hochauflösenden Massenspektrometrie können auch geringste Dioxinkonzentrationen von weniger als 1 pg (0,000 000 000 001 g) pro Gramm Blutfett nach - gewiesen werden.

Muster und Trends der Hintergrundbelastung

Die stetige Aufnahme geringster Dioxinmengen mit der Nahrung führt aufgrund der langen Halbwertszeiten von zum Teil mehreren Jahren zu einer Anreicherung im menschlichen Körper mit einem charakteristischen Konzentrationsmuster der einzelnen Kongenere. Im Blut der Allgemeinbevölkerung lassen sich fast ausnahmslos Verbindungen mit 2,3,7,8-Chlorsubstitution nachweisen. Die Konzentrationen der PCDD steigen von den nieder- zu den höherchlorierten Verbindungen an, während sie bei den PCDF von den PentaCDF zum OctaCDF hin abfallen. Die Hauptkomponente stellt das OctaCDD dar.
Die Konzentrationen nehmen für die verschiedenen Kongenere in unterschiedlichem Maße mit dem Alter zu, sodass ältere Menschen deutlich höhere Dioxingehalte im Blut aufweisen als jüngere (vgl. Abb. 2). Hinzu kommt, dass aufgrund von Immissionsminderungsmaßnahmen in Deutschland die Konzentrationen in den Umweltmedien in den letzten Jahren stark rückläufig sind, was sich auch in der inneren Belastung des Menschen widerspiegelt.
Dies ist in Abbildung 3 am Beispiel des ca. 80%igen Rückgangs der Dioxingehalte in Frauenmilch während der letzten 20 Jahre dargestellt. Daher können Dioxinspiegel im Blut nur in Abhängigkeit vom Untersuchungszeitpunkt und altersbezogen individuell bewertet werden. Wie auch bei anderen Parametern gelten Dioxinkonzentrationen, die im Hinblick auf den Summenparameter TEq oder auch bei einzelnen Kongeneren das 95. Perzentil der Hintergrundbelastung überschreiten, als auffällig. Häufig findet man für spezifische Expositionen typische Veränderungen im Kongenerenmuster, die – wie ein Fingerabdruck – bereits Rückschlüsse über die Expositionsquelle erlauben.

Einflussfaktoren auf die Hintergrundbelastung

Sieht man von Expositionen am Arbeitsplatz oder infolge kontaminierter Innenräume (Stichworte: Holzschutzmittel, dauerelastische Dichtmassen etc.) ab, so wird die Dioxinbelastung eines jeden Einzelnen meist von denselben Faktoren beeinflusst. Hier ist an erster Stelle das Ernährungsverhalten zu nennen. Aber auch andere Faktoren können eine maßgebliche Rolle spielen. So führt beispielsweise das Stillen quasi zu einer Entgiftung der Mutter über die Frauenmilch und gleichzeitig zu einer deutlichen Exposition des gestillten Säuglings. Die reduzierte Körperlast der Mutter mit PCDD/F und PCB resultiert in geringeren Blutspiegeln von PCDD/F und PCB (vgl. Abb. 2). Als weitere Faktoren sind das Rauchen, der Body-Mass-Index, Gewichtsveränderungen, die eigene Exposition über Frauenmilch (s. o.) sowie längere Auslandsaufenthalte und umweltbedingte Expositionen im Wohnumfeld zu nennen.

wittsiepe@hygiene.ruhr-uni-bochum.de

Literatur
1. Angerer, J. et al., Int J Hyg Environ Health 210, 201 (2007).
2. Wittsiepe, J. et al., Chemosphere 40, 1103 (2000).
3. Fürst, P., Molecular Nutrition & Food Research 50, 922 (2006).
4. van den Berg, M. et al., Tox.Sci. 93, 223 (2006).
5. Wittsiepe, J. et al., J Toxicol Environ Health A 71, 703 (2008).
6. Bundesinstitut für Risikobewertung, Stellungnahme des BfR 002/2011 v. 26. Januar, (2011).

L&M 2 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2011.
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