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(Bio-)Geoengineering als ein Schüssel zur Nachhaltigkeit

Wir verändern die Erde

Es besteht kein Zweifel: Die Erde ist nicht mehr das, was sie einmal war. Mehr als 7 Mrd. Menschen leben heute auf unserem ­Planeten und verändern das ­Klima, beuten schamlos die begrenzten Ressourcen aus, erzeugen ein Massenaussterben von Tieren und Pflanzen, ­verschmutzen Wasser, Boden und Luft und lassen kein Fleckchen Erde unberührt.

Wir leben im „Anthropozän“ (Paul Crutzen), im „Zeitalter des Menschen“. Nichts ist mehr „natürlich“, die Spuren des Menschen sind heute überall zu finden, von der Tiefsee bis in die höchs­ten Gebirge, von den Tropen bis in die entferntesten Gebiete der Polarregionen und Wüsten.

Die Vertreibung aus dem Paradies

Wie kam es dazu? Die Bibel hat dafür ein treffendes Bild gefunden: Der Mensch nascht unzulässigerweise vom (Apfel-)Baum der Erkenntnis, der nur Gott vorbehalten ist, und wird deswegen aus dem Paradies vertrieben. Aus unserer heutigen Sicht könnte dieses mythologische Bild die Tatsache umschreiben, dass sich der Mensch schon früh in seiner Evolution, vielleicht vor 2,5 Mio. Jahren, durch seine Erkenntnisfähigkeit aus der Natur zumindest teilweise „gelöst“ und sie schrittweise nach seinen Bedürfnissen gestaltet hat. Um im Bild zu bleiben: Der Vertreibung aus dem Paradies entspricht am ehesten der Prozess der „Neolithisierung“, also das Sesshaftwerden des Menschen, diesen Übergang vom nomadischen Jäger und Sammler zum sesshaften Ackerbauern, der in der Zeit vor 12.000 bis 5.000 Jahren v.Chr. stattfand.


Abb.1 Nach Ansicht vieler Wissenschaftler haben wir auf unserer Erde in mehreren Umweltsektoren (rot) den „sicheren Betriebszustand für die Menschheit“(cyan) bereits verlassen oder sind dabei, Ihn zu verlassen. Dies gilt insbesondere für den Klimawandel, den Stickstoffkreislauf und den Verlust an biologischer Vielfalt.
(Aus Rockström et al. 2009)

Hier liegen die Anfänge des Anthropozäns und damit des Verlustes einer nachhaltigen Entwicklung – und nicht erst in der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Leider sind wir schon recht blind geworden gegenüber diesen menschengemachten Veränderungen. Die Nordseeküsten Deutschlands und Hollands sind fast vollständig „anthropogen“, kein Fluss, kein Flüsschen in Deutschland fließt noch in seinem natürlichen Bett, kein „deutscher Wald“ ist ein natürlicher Wald, sondern ein Forst und unsere Naturschutzgebiete schützen keine Natur-, sondern Kulturlandschaften. Und diese Eingriffe reichen weit zurück: Bereits im 12. Jahrhundert haben die Mönche von Maria Laach den Seespiegel des Laacher Sees durch den Bau eines Stollens um mehrere Meter gesenkt. Die Mittelmeerregion hatte zu Zeiten der Griechen und Römer noch ein ganz anderes Aussehen mit einer wesentlich dichteren Bewaldung. Die ältes­ten Reisterrassen reichen mindestens 3.000 Jahre zurück und Klimamodellierungen zeigen, dass wir allein durch den Übergang von einer natürlichen Vegetation zur heutigen, realen anthropogenen Vegetation europaweit das Klima beeinflusst haben – mit regionalen Veränderungen der Niederschläge um plus oder minus 25%.


Abb.2 Die Komponenten des Systems Erde, die Atmosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre, Lithosphäre und Anthroposphäre, sind eng vernetzt: Eingriffe in eine der Komponenten hat Konsequenzen für die anderen Komponenten.

Geoengineering – Fluch und Segen

Was wir also zumindest seit dem Neolithikum mit wachsender Intensität durchführen, ist ein „Geoengineering“, ein „Erdsystem-Management“, mit dem wir das komplexe System Erde mit ­seinen Komponenten „Gesteine und Boden“ ­(Geosphäre), „Wasser“ (Hydrosphäre), „Luft“ (Atmosphäre) und „Leben“ (Biosphäre) nach unserem Gusto im Großen wie im Kleinen gestalten – allerdings bisher ohne die weit reichenden Konsequenzen unserer Eingriffe zu verstehen oder gar zu beherrschen. Dies gilt für die frühen Eingriffe wie den Bau von Bewässerungssystemen oder Flussregulierungen genauso wie für die jüngsten Maßnahmen, etwa den „Drei-Schluchten-Staudamm“ in China oder den geplanten „Nicaraguakanal“, der als Konkurrenz zum Panamakanal den Atlantik mit dem Pazifik verbinden soll. Die Herausforderung ist also klar: Wir müssen von dem bisherigen, uninformierten, an „Versuch und Irrtum“ orientierten Erdsystem-Raubbau zu einem informierten „Erdsystem-Management“ kommen. Nicht das Verbot eines Geoengineering-Ansatzes kann das Ziel sein, sondern dessen Transformation. Eingriffe in die Umwelt, in das Erdsystem oder seine Subeinheiten dürfen erst erfolgen, wenn ihre umfassenden Systemfolgen auch erschöpfend verstanden sind und einer sorgfältigen Risiko- und Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen wurden.

[4,5ZA]
Abb.3 und 4 Auch die entlegensten Gebiete der Erde, wie hier in Tibet auf knapp 5000 m, sind heute durch den Menschen beeinflusst und geprägt.
Bilder: © V. Mosbrugger

Die Herausforderung

In diesem Sinne kann ein modernes Geoengineering einen Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung darstellen, einer Entwicklung, die dem „ökologischen Imperativ“ des Philosophen Hans Jonas (1979) genügt: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“. Um diesen hohen Ansprüchen zu genügen, muss ein Geoengineering, etwa der Bau des Nicaragua-Kanals oder Eingriffe in die Atmosphäre zur Minimierung der anthropogenen Klimaerwärmung, zumindest folgende fünf Komponenten aufweisen.


Hochgebirgsregionen wie der Himalaya und das Tibet-Plateau reagieren besonders sensitiv auf die gegenwärtige anthropogene Klimaerwärmung.

Zunächst bedarf es angemessener (1) Monitoring-Systeme, die das zu verändernde Subsys­tem der Erde mit seinen Wechselwirkungen erfassen und beobachten können. Aufbauend auf den Monitoring-Daten müssen (2) eine System­analyse und ein Systemverständnis generiert werden, das die verlässliche Betrachtung von Szenarien erlaubt. Mithilfe von Modellierungen sind verschiedene „Wenn-Dann-Experimente“ durchzuführen. Die Beurteilung und Bewertung der verschiedenen Szenarien muss dabei auch eine (3) „globale Ethik“ bzw. „Global Social Responsibility“ berücksichtigen. Denn jeder regionale Systemeingriff hat trans-regionale Auswirkungen.


Abb.5 Übersicht über verschiedene Geoengineering- bzw. Climate-­Engineering-Vorschläge zur Eindämmung des anthropogenen Klimawandels.
Bild: © Kiel Earth Institute

Entsprechend sind die Interessen der betroffenen Stakeholder in die Entscheidungen über eine Geoengineering-Maßnahme einzubinden. Ist diese Entscheidung gefallen, geht es um die Umsetzung mithilfe von (4) Managementwerkzeugen, die sowohl technischer als auch wirtschaftlicher oder gesellschaftlich-politischer Natur sein können. Tatsächlich wird i.d.R. ein komplexer Management-Mix erforderlich sein, um einen bestimmten Szenarienpfad einhalten zu können. Hierzu ist (5) eine Governance-Struktur notwendig, die nicht nur steuernd, sondern auch partizipativ ausgelegt ist. Großvorhaben mit komplexen Stakeholder-Interessen sind ohne partizipative Strukturen zumindest in demokratischen Ländern zum Scheitern verurteilt. Aus der globalen Umwelt- und Ressourcenproblematik und der Tatsache, dass es laut UNO-Berichten inzwischen mehr Umwelt- als Kriegsflüchtlinge gibt, folgt also nicht nur eine hohe Rechtfertigung, sondern geradezu eine hohe Notwendigkeit, sich endlich einem umfassenden Geoengineering-Konzept zuzuwenden, um Nachhaltigkeit sicherzustellen.


Abb.6 Das Senckenberg Institut in Wilhelmshaven ist durch einen Deich vor Sturmfluten geschützt. Deichbau- und Küstenschutzmaßnahmen gehören zu den ältesten und zugleich massivsten Geoengineering-Vorhaben, die seit Jahrhunderten betrieben werden und weitreichende Konsequenzen für marine und terrestrische Lebensräume haben.
Bild: © Alexandra Markert

Perspektiven

Wo stehen wir heute in dieser Debatte? Leider erst ganz am Anfang und die Debatte ist stark von Unkenntnis, Voreingenommenheit und Ängstlichkeit geprägt. Tatsächlich wird Geoengineering heute meist als ein Tabuthema im Sinne von Climate Engineering verstanden, also als mögliche Maßnahme, um die erwartete Klimaerwärmung zu minimieren, entweder durch Bindung des atmosphärischen CO2 oder durch künstliche Erhöhung der Reflexion des Sonnenlichts ins All, z.B. durch Aerosole oder Wolkenbildung. Ohne Frage sind diese Vorschläge zum Climate Engineering von einer verantwortungsbewussten Anwendung noch sehr, sehr weit entfernt, deren (risikofreie) Erforschung sollte dennoch möglich sein – unkritische Forschungs­tabus haben noch nie geholfen. Geoengineering ist jedoch weit mehr als ­Climate Engineering. Es geht um die aktive Gestaltung des Erdsystems auf unterschiedlichen Raumskalen, um so einen bestimmten erwünschten Zustand zu erhalten. Die ethische Rechtfertigung dafür liegt auf mehreren Ebenen. Einerseits gibt es für den Planeten Erde keinen Gleichgewichtszustand, den es einzuhalten gälte; vielmehr hat sich die Erde seit jeher, auch vor dem Einwirken des Menschen, als extrem dynamisch und veränderlich erwiesen. Andererseits betreiben auch andere Organismen als Homo sapiens ein Geoengineering, und zwar durchaus im globalen Maßstab. Man denke nur an die fotosynthetisch aktiven Organismen, denen wir die Existenz von freiem Sauerstoff in der Atmosphäre und damit auch unsere eigene Existenz verdanken. Oder an die riffbildenden und bodenbildenden Organismen, die in großem Stil landschaftsprägend sind. Auch Homo sapiens „darf“ also – und hat dies seit dem Neolithikum auch getan – seine Umwelt nach seinen Bedürfnissen gestalten. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis muss dieses Gestalten jedoch dem oben genannten „ökologischen Imperativ“ von Hans Jonas folgen, wenn es nicht selbstzerstörerisch sein soll. Und noch ein Hinweis ist wichtig: Bio-Geoengineering, ein Geoengineering mithilfe der Biosphäre, erscheint besonders viel versprechend und risikoarm. Es ist immer da möglich und sinnvoll, wo die Biosphäre das Erdsystem direkt oder indirekt beeinflusst, also wenn es etwa um Klima, Wasser- und Stoffkreisläufe, Schutz vor Hochwasser, um Verwitterung oder Erosion geht. Dieses Potenzial der Biosphäre im Geoengineering ist bisher noch längst nicht erschöpfend erforscht und tatsächlich hatten die Menschen vor der industriellen Revolution dazu ein wohl viel umfassenderes Wissen. Ein überraschendes neues Beispiel hierfür liefern die großangelegten landschaftsgärtnerischen Maßnahmen der vorkolumbianischen amerikanischen Bevölkerung, die uns Charles C. Mann jüngst in seinem Bestseller „1491 – new revelations of the Americas before Columbus“ vor Augen führt. Heute sind es wohl die Chinesen, die mit ihrem riesigen Aufforstungsprogramm das weltweit größte Bio-Geoengineering-Projekt betreiben, um gleich einen ganzen Problemkomplex aus Erosion, Staubentwicklung und Wasserversorgung zu lösen. Man darf also hoffen, dass (Bio-)Geoengineering Schule macht – ohne sie wird Nachhaltigkeit nicht zu erreichen sein.

Literatur

Ehrlich P.R. & Ehrlich, A.H. (2013) Proc R Soc B 280, 20122845, http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2012.2845
Galaz, V. (2012) Ecology and Society 17(1): 24
Hungate, B.A. & Hampton, H.M. (2012) Nature climate change, 2, 151–152
Read, W.V. et al. (2013) Science 330, 916–917
Rockstroem, J. et al. (2009) Nature 461, 472–475
Temmermann, S. et al. (2013) Nature 504, 79–83
Zalasiewicz, J. et al. (Eds.)(2011)
Phil. Trans. Roy. Soc., 276 pp.
Links: www.climateengineering.eu/
www.umweltbundesamt.de/uba-info-medien/4125.html/ www.royalsociety.org/policy/publications/2009/geoenginee ringclimate/

Stichwörter:
geoengineering

L&M 4 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2014.
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