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Botanik - Extrem seltener Palmfarn enttarnt

Ein „Rembrandt auf dem Speicher“ …

PD Dr. Stefan Schneckenburger, Botanischer Garten der Technischen Universität Darmstadt

Davon hat schon jeder einmal geträumt: Man findet in einer Ecke auf einem Speicher oder in einem verstaubten Regal eine besondere Kostbarkeit – ein Gemälde, ein verschollenes Manuskript oder ein Mixtecen-Schild aus Mexiko … Leider sind solche Funde doch eine große Ausnahme. Allerdings kann man auch einmal besonderes Glück haben – und wenn es auch „nur“ Botaniker- Glück mit einer ganz besonderen Pflanzenrarität in einem botanischen Garten ist.

Botanische Gärten gibt es in Europa seit etwa 600 Jahren. Aus den Klostergärten der Renaissance entwickelten sich die Forschungsund Lehrgärten der Universitäten, deren Pflanzenbestände vor allem auch durch die aus den neu für Europa entdeckten Kontinenten bereichert wurden. In der Kolonialzeit waren botanische Gärten hochbedeutsame Global Player im „Big Business“ des Pflanzentransfers – Biopiraterie auf höchstem Niveau eingeschlossen. So wäre ohne Botanische Gärten der Kautschukanbau – schon damals ein Multi-billion-dollar-business – niemals in SO-Asien etabliert worden. Heute zeigen sie sich als Horte der Biodiversität im Dienst des Arten- und Naturschutzes, als moderne Forschungs-, Bildungsund Informationseinrichtungen für Schulen, Universitäten und die interessierte Öffentlichkeit – immerhin zählen die 90 botanischen Gärten in Deutschland jährlich mehr als 20 Millionen Besucher. „Kerngeschäft“ sind Erhalt, Ausbau und Bereitstellung einer möglichst hochwertigen Sammlung dokumentierten Pflanzenmaterials. Das bedeutet, dass die Wertigkeit mit dem steigt, was man über eine Pflanze weiß. Ein Beispiel mag dies illustrieren: Interessiert man sich für genetische Variabilität im Hinblick auf z.B. Restitution eines zerstörten natürlichen Standortes einer genau definierten Art, ist es wenig sinnvoll, mit Material aus dem nächsten Gartencenter zu beginnen: Hier handelt es sich meist um Auslesen oder Kreuzungen, die für viele Fragestellungen nicht eingesetzt werden können.


Dioon caputoi – das ca. 105 Jahre alte Exemplar im Botanischen Garten Darmstadt

Hier ist Material genau bekannter Herkunft erforderlich. Und dieses mit einer kultivierten Pflanze möglichst unlösbar verbundene Wissen ist mit Dokumentation gemeint. Ein solche hoher Standard ist natürlich nicht durchgehend zu erreichen und zu halten – ganz besonders in Anbetracht der Tatsache, das Gärten Jahrzehnte bis mehrere Jahrhunderte alte Pflanzen kultivieren, deren Herkunft nicht aufgezeichnet wurde bzw. deren Dokumentation verloren gegangen ist oder bei Abgabe und Tausch nicht „mitgewandert“ ist. Der seit 1814 in Darmstadt bestehende botanische Garten, der heute eine Einrichtung des Fachbereichs Biologie der Technischen Universität ist, verfügte zwischen etwa 1890 und 1930 über sehr gute Kontakte nach Mexiko und die angrenzenden Gebiete der USA. Carl Albert Purpus (1851–1941) – ein Apotheker, unangepasst, eigenbrötlerisch, exzentrisch – war als kommerzieller Sammler für wissenschaftliche Einrichtungen, Gärtnereien, Liebhaber und Pharmaunternehmen unterwegs [1]. Hierbei plünderte er durchaus auch einmal Gräber und Siedlungen der Indigenen oder suchte auf dem Feld von Tierexporten Erfolg. Des Öfteren begangenen Unrechts war er sich mehr als bewusst: Aztekische Altertümer (Ausfuhr verboten) packte er unter eine dicke Ladung Kakteen (Ausfuhr damals noch erlaubt) und schrieb im April 1910: „Hoffentlich kommen die Altertümer an, die ich zwischen Cacteen verpackt habe, damit die mexican. Zoll-Cerberusse sich recht die Finger zerstechen, wenn sie danach fahnden sollten, was ich jedoch kaum glaube.“ Der Gegenpart in Hessen war sein jüngerer Bruder Joseph Anton Purpus (1860–1932), der fast 40 Jahre lang in Darmstadt als Garteninspektor wirkte. Durch das Zusammenspiel der beiden gelangte eine unglaubliche Vielzahl mexikanischer Pflanzen (v. a. auch Kakteen) nach Hessen und von dort aus an andere Gärten, an Liebhaber und in den Handel; Carl Albert erhielt für sein Engagement einen Orden des Großherzogs. Viele dieser Pflanzen sind in den vergangenen hundert Jahren natürlich verloren gegangen – nicht zuletzt taten kriegsbedingte Zerstörungen das Ihrige. Bei kleineren und kleinsten Pflanzen, die in einer Sammlung wenig hervorstechen, ist der Faden der Dokumentation einfach abgerissen, sodass sich durchaus noch das eine oder andere – wohl niemals identifizierbar – in den Sammlungen befinden könnte. Anders sieht es mit sechs „Großpflanzen“ aus, die seit nunmehr über 110 Jahren in der trockenen Sukkulentenabteilung kultiviert werden und – das ist besonders erfreulich – deren Herkunft dokumentiert ist. Denn gerade aus dieser Zeit blieben handschriftlich geführte Akzessionsbücher mit den entsprechenden Angaben erhalten. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesen Exemplaren um die ältesten in menschlicher Obhut gepflegten Pflanzen weltweit handelt – Doubletten in anderen Gärten hat es möglicherweise gegeben, sind aber nicht bekannt. Eine dieser „Purpus-Pflanzen“ hatte darüber hinaus bisher noch einen besonderen Rang: Es handelt sich um einen kurzstämmigen Palmfarn, der unter dem Namen Dioon purpusii kultiviert wurde.


Zapfenförmige Staubblattblüten („männliche Blüten“) von Dioon caputoi

Bei Palmfarnen oder Cycadeen handelt es sich weder um Palmen noch um Farne, sondern um sehr altertümliche Samenpflanzen, die seit etwa 250 Mio. nachgewiesen sind – der Name bezieht sich ausschließlich auf die habituelle Ähnlichkeit. Carl Albert war in Botanikerkreisen sehr hoch angesehen – so gilt er bis heute als der bedeutendste Einzelsammler der mexikanischen Flora. Und so verwundert es nicht, dass eine ganze Reihe von Arten nach ihm benannt wurde – so auch diese, die ein amerikanischer Kollege in Mexiko entdeckt und benannt hatte. Purpus seinerseits hatte kurz darauf Pflanzen in dem Glauben, es handele sich um „seine“ Art in der entlegenen Sierra de Mixteca, einem seiner bevorzugten Arbeitsgebiete, gesammelt und zwei davon nach Darmstadt geschickt. Sogar Standortfotos stellte der hervorragende Fotograf zur Verfügung – auch das einer seiner Erwerbsquellen. Und unter diesem Namen wird die Pflanze seit über 100 Jahren in Darmstadt gepflegt, wobei sie eine Stammhöhe von nur etwa 60 cm erreicht hat. Alle paar Jahre bildet sie Staubblattblüten aus; es handelt sich um eine männliche Pflanze. Im Rahmen der Betreuung einer Sammlung ist es angeraten, sich immer einmal der Korrektheit der Etiketten zu versichern oder Nachbestimmungen vorzunehmen. Vor einigen Jahren wurde nun dabei klar, dass die Bestimmung des alten „Methusalems“ als Dioon purpusii nicht zutreffend sein konnte – dafür waren zu viele Abweichungen feststellbar, nicht zuletzt auch vom in digitalisierter Form im Netz verfügbaren Originalbeleg der Art. Aber um was handelt es sich denn bei der Pflanze, die seit Menschengedenken in Darmstadt kultiviert wird?


Links & Rechts: Staubblattblüten von Dioon edule<(i>, Pollenschuppen sind kurz zugespitzt, wollig behaart. Mitte: Staubblattblüten von Dioon caputoi<(i>, Pollenschuppen sind lang angezogen und werden bald verkahlend.

Langes und mühsames Suchen – gerade diese Gattung ist in der Fachliteratur nicht besonders gut aufgearbeitet – brachte letztlich den Erfolg und ein ganz überraschendes Ergebnis: Es handelt sich tatsächlich um ein Dioon, aber mit Dioon caputoi um eine andere Art der Gattung, die mit knapp 10 Arten in Mexiko und dem benachbarten Honduras beheimatet ist. Nur Dioon edule ist weiter verbreitet, die anderen besiedeln nur (noch?) kleine, reliktartige Areale. D. caputoi wurde erst 1980 als eigenständig erkannt [2] und nach dem italienischen Botaniker Guiseppe Caputo benannt. Es handelt sich um die seltenste und trockenheitsresistenteste Dioon-Art: heute weiß man, dass in der Natur nur noch knapp 300 Exemplare vorkommen. Kürzlich im Rahmen von Artenschutzprojekten durchgeführte Untersuchungen erbrachten das überraschende Ergebnis, dass die insgesamt vier doch sehr kleinen (Rest-)Populationen, die sich auf einem Areal von etwa 20 x 20 km verteilen, genetisch außerordentlich variabel sind [3]. Bedauerlicherweise zeigen sie kaum natürliche Verjüngung. In der Gegend waren die vergangenen Jahre sehr niederschlagsarm und zum anderen richten die Ziegenherden auch an den pflanzlichen „ Dinosauriern“ größere Schäden an. Zwar liegen die bekannten vier Standorte alle abgelegen innerhalb der Tehuacán-Cuicatlán Biosphere Reserve, sind aber augenscheinlich zu wenig vor Störungen (auch durch Sammler?) geschützt. 1910 konnte Joseph Anton Purpus noch schreiben, die Art „wuchs ziemlich häufig, meist vereinzelt an den felsigen Hängen, ganz sonnig oder in den Arroyos öfter im spärlichen Schatten leicht belaubter Bäume in der trockenen, eine xerophile Vegetation tragenden Region bei etwa 1700 bis 2200 m über dem Meere.“ Wie ist nun der Darmstädter Fund hier einzuordnen? Zunächst ist ein Exemplar dokumentierter Herkunft einer stark bedrohten Art in Kultur – ein Zuwachs an Biodiversität der Sammlungen botanischer Gärten. Beachtlich ist trotz allem die lange Kulturdauer von über 100 Jahren und im Kontrast dazu die geringe Größe der augenscheinlich nur außerordentlich langsam wachsenden Pflanze. Ein solcher Zeitraum ist kaum zu planen oder vorauszusehen – glückliche Umstände spielen hierbei eine wichtige Rolle. Irgendwie geartete Vermehrungsprogramme lassen sich mit dieser wie erwähnt männlichen Pflanze kaum beginnen – zur Erzeugung von Samen wäre ein weibliches Exemplar nötig, das dann auch noch – sieht man einmal von der Möglichkeit der Kryokonservierung von Pollen ab – synchron blühen müsste. Darüber hinaus weiß man über die Modalitäten einer erfolgreichen Pollenübertragung bei Cycadeen nicht allzu viel. Die Darmstädter Pflanze zeigt insgesamt etwa 5–6 kurze Seitentriebe an der Basis des Stammes. Diese könnte man abnehmen und zur vegetativen Vermehrung verwenden – Erfolg allerdings nicht garantiert! Davon soll aber – sollten keine zwingenden Gründe vorliegen – abgesehen werden, denn bei diesen Operationen besteht doch ein nicht unerhebliches Infektionsrisiko für die Pflanze, von der man derartige Kindel abnimmt. So werden wir uns nach Kräften bemühen, den augenscheinlich recht vitalen „alten Herren“ weiter zu pflegen und zu erhalten. Vielleicht gelingt es noch, anhand eines genetic fingerprint in Zusammenarbeit mit den mexikanischen Kollegen herauszubekommen, wo nun Purpus die Pflanze genau gesammelt hat. Auf Ähnliches hoffen auch andere: Purpus fand zwischen 1910 und 1920 eben in der Sierra de Mixteca einen sensationellen Ritualschild, den er illegal über Mittelsmänner in die USA verkaufen konnte; heute wird er (als einer von insgesamt nur drei bekannten Stücken als qualitativ bester) im Museum of the American Indian der Smithsonian Institution in Washington aufbewahrt (http:// www.nmai.si.edu/searchcollections/item.aspx?irn=117453&catids =2&objtech=General:%20Surface%2modifications|Mosaic&sr c=1-4). Das Geheimnis des genauen Fundortes nahm Purpus allerdings mit ins Grab. Amerikanische Archäologen hoffen, anhand der Sammellisten und der durch die genauen Fundortangaben auf den Pflanzenbelegen dokumentierten Streifzüge diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen …

L&M 4 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2010.
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