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L&M-1-2010 > Peptidchemie - Synthese und Wirkmechanismus von Feglymycin

Peptidchemie - Synthese und Wirkmechanismus von Feglymycin

Peptid mit Potenzial

Frank Dettner, Institut für Chemie, Technische Universität Berlin

Bereits vor über einem Jahrhundert wurde durch Pionierarbeiten Emil Fischers der Grundstein für die Peptidchemie gelegt. Später war das Insulin unter den ersten Wirkstoffen dieser Substanzklasse, die damit in den Blickpunkt der Wirkstoffforschung rückte. Heutzutage eröffnen neben biotechnologischen Verfahren auch optimierte chemische Synthesemethoden von Peptiden Möglichkeiten zum Einsatz bei der Behandlung von Krankheiten. Eine verbesserte Bioverfügbarkeit und Applizierbarkeit von Peptiden ist ein wichtiges Forschungsziel für eine noch breitere Anwendung.

Bis vor wenigen Jahrzehnten galten selbst hochaktive peptidische Verbindungen als Wirkstoffe zur Krankheitsbekämpfung als ungeeignet. Viele der hierfür ausschlaggebenden Gründe konnten mittlerweile überwunden werden, sodass sowohl neuartige als auch altbekannte Verbindungen erfolgreich zur Behandlung eingesetzt werden können [1]. Wichtige peptidbasierte Medikamente auf dem heutigen Markt wirken z.B. gegen Osteoperose (Calcitonin), Diabetes (Exenatide) und Krebs (Leuprolid, Bleomycin). Abgerundet wird das breite Wirkspektrum durch antibakterielle Peptide wie Vancomycin oder Daptomycin sowie unter den antiretroviralen Verbindungen durch das Enfurvitide. Im Bereich der Antiinfektiva ist, bedingt durch die rasche Ausbildung bakterieller und viraler Resistenzen, die Suche nach immer neuen Leitstrukturen ein grundlegendes Problem und wird bisweilen bei Erkrankten zum Wettlauf mit dem Tod. Alarmierenderweise rücken in unseren Tagen nicht nur ehemalige Reserveantibiotika zur Ersttherapie auf, auch bei viralen Infektionen werden etablierte Präparate zunehmend uneffizient.

Ein neuartiger Sekundärmetabolit

Bei einem Screening von Actinomyceten Mitte der 90er-Jahre wurde von L. Vértesy bei der damaligen Hoechst AG – heute Sanofi Aventis (Frankfurt a. M., Deutschland) – der Stamm Streptomyces sp. DSM 11171 als Produzent eines neuen Wirkstoffes identifiziert, dem der Name Feglymycin (1, Abb. 1) gegeben wurde [2]. Dieser leitet sich ab aus dem in der Peptidchemie üblichen one-letter-code des in der Struktur enthaltenen Phenylalanis (F), dem dominierenden Strukturmotiv der Phenylglycine (gly) und seiner bakteriellen Herkunft (mycin). Das 13-mer Peptid ist vorwiegend aus ungewöhnlichen, nicht proteinogenen Aminosäuren aufgebaut, die in ihrer Konfiguration am Cá-Atom fast durchgängig alternierend sind. Im Festkörper werden doppelsträngige antiparallele â-Helices ausgebildet (Abb. 2) [3]. Feglymycin zeigte in früheren ersten Testreihen mäßiges antibakterielles Potenzial, im Zellkulturtest trat eine beachtliche antiretrovirale Wirkung auf [2].

Eine Alternative zur Fermentation

Die Arbeitsgruppe von Prof. R. Süßmuth an der Technischen Universität Berlin hat sich im Bereich der biologischen Chemie neben der Isolierung und Strukturaufklärung von Antibiotika auf die Synthese von peptidischen Naturstoffen bzw. Naturstoffderivaten spezialisiert. Für eine anvisierte genauere Untersuchung molekularer Wirkmechanismen des Feglymycins mussten ausreichende Mengen des Naturstoffes bereitgestellt werden, was 2008 durch die erfolgreiche Entwicklung einer ersten Totalsynthese gelang [4]. Das in Abb. 3 aufgezeigte Retrosynthesekonzept beschreibt den schrittweisen Aufbau des Naturstoffes über eine Folge von Fragmentkondensationen. Zunächst werden Dipeptide und ein Tripeptid zu einem Cterminalen Hexapeptid bzw. N-terminalen Heptapetid verknüpft, woraufhin die abschließende Kondensation dieser beiden Bausteine zum 13-mer führt. Die extreme Epimerisierungsanfälligkeit einzelner Aminosäuren in der Struktur war ausschlaggebend dafür, dass über den gesamten Syntheseverlauf hinweg sehr milde Reaktionsbedingungen gefunden werden mussten. Elementar waren einerseits der konsequente Verzicht auf permanente Schutzgruppen an den Aminosäureseitenketten und der Einsatz benzylischer Funktionen zur Maskierung des N- und C-Terminus. Andererseits musste die Boc- Funktion (tert-Butoxycarbonyl) als temporäre Aminoschutzgruppe gewählt werden. Dieses Vorgehen ermöglichte es, alkalische pH-Werte und die damit einhergehende Epimerisierung zu vermeiden. Zusätzlich wurde auf diese Weise die Löslichkeit aller synthetischen Intermediate garantiert. Mit der Synthese des Feglymycins gelang ein unabhängiger Strukturbeweis, da sowohl chemische als auch physikalische Eigenschaften des erhaltenen Produktes mit denen einer natürlichen Probe von Streptomyces sp. DSM 11171 identisch waren. Zusätzlich wurde der Naturstoff – zusammen mit erhaltenen Zwischenprodukten und darüber hinaus dargestellten enantiomeren Verbindungen – in einer Reihe biologischer Testierungen genauer untersucht.

Besitzt Feglymycin Membranaktivität?

Die Röntgenkristallstruktur des Feglymycins legt einen Vergleich mit membrandurchspannenden Peptiden wie Gramicidin A nahe [5]. Auch bei diesem 15-mer Peptid hat ein alternierender Aufbau der Peptidkette aus R- bzw. S-konfigurierten Aminosäuren die Ausbildung helicaler Strukturen zur Folge. Diese sind in der Lage, sich als Kanäle in Lipiddoppelschichten einzulagern, was durch unkontrollierten Ionenfluss den Zelltod Gram-positiver Bakterien herbeiführt. Bemerkenswerterweise haben erste Ionenkanalexperimente bestätigt, dass Feglymycin unter definierten Bedingungen in der Lage ist, Poren in Lipiddoppelschichten auszubilden – eine Eigenschaft, die aufgrund zahlreicher polarer Funktionalitäten an den Aminosäureseitenketten anfangs nicht erwartet wurde [6]. CD-spektroskopische Untersuchungen wässriger Feglymycin-Lösungen zeigen charakteristische Signale von â-Faltblättern oder â-Helices. Bislang wies die Röntgenkristallstruktur auf â-Helices lediglich im Festkörper hin [6].

Antibakterielle Aktivität neu entdeckt

In jüngst durchgeführten Reihenverdünnungstests besitzt Feglymycin mit minimalen Inhibitorkonzentrationen (MIC) von 1–4 ?g/ml eine beachtliche Aktivität gegenüber einigen multiresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA). Ob, wie im Fall des Gramicidin A, alleine die Perforation von Membransystemen die antibakterielle Wirkung verursacht, ist, wie die Aufklärung des genauen Mechanismus dieses Phänomens, Gegenstand der laufenden Untersuchungen. Zusätzlich denkbar wäre, dass Feglymycin nach einer temporären Einlagerung in Membranen diese Barrieren zu überwinden vermag, um erst anschließend im Zellinneren am eigentlichen Wirkort in Erscheinung treten zu können.

Bekämpfung von HIV

25 Jahre nach der Entdeckung des HI-Virus referierte Luc Montagnier 2008 in seinem Nobel-Vortrag über die Chancen auf Heilung der HIV-Infektion und über Möglichkeiten prophylaktischer Impfung [7]. Hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) ermöglicht zwar mittlerweile, den Ausbruch der Immunschwäche AIDS zu verhindern und die HIV-Infektion ein Leben lang zu kontrollieren, jedoch gelingt die vollständige Eradikation des Virus bis zum heutigen Tage nicht. Zusätzlich erschweren Resistenzausbildungen durch Virusmutation sowie teilweise erhebliche Nebenwirkungen von Medikamentencocktails die Therapie. Das von der Firma Roche vermarktete 36-mer Peptid Enfurvitide blockiert nicht wie die meisten Therapeutika virale Enzyme im Zytoplasma infizierter Zellen, sondern inhibiert bereits vor der Neuinfektion den Fusionsvorgang zwischen Wirtszelle und Virus. Feglymycin besitzt in Zellkultur in menschlichen MT-4-Zellen gegenüber Enfurvitide-resistenten HIV-1 NL4.2 Stämmen mit einem IC50-Wert von 1.0 ?M beachtliche Aktivität und ist interessanterweise nicht zytotoxisch. Zudem sind synthetische Vorläufermoleküle und dargestellte enantiomere Verbindungen aktiv. Die ersten Resultate geben Grund zu der Annahme, dass die N-terminale Region des Naturstoffes für die pharmakologische Wirkung verantwortlich ist – die absolute Konfiguration dieses Molekülteils scheint hingegen keinen Einfluss zu haben, da spiegelbildliche Derivate vergleichbare Aktivitäten zeigen [4]. Synzytien-Assays verdeutlichen dies eindrucksvoll. Hierzu werden CD4+ T-Zellen (eine Mischung aus HIV-1 infizierten HUT-78-Zellen und nicht infizierten SupT1- Zellen) lichtmikroskopisch über einen Zeitraum von 24 Stunden beobachtet (Abb. 4). Fortgeschrittene Infektionen äußern sich in der Bildung polyenergider Zellen (lat. Synzytien). Diese Zellanhäufungen sind das Resultat von direkten Fusionen gesunder Zellen mit infiziertem Zellmaterial, wodurch extrazelluläre Bewegung von Viren für Neuinfektionen unnötig wird. Mit reproduzierbaren IC50-Werten von bis zu 3 ?g/ml unterbindet Feglymycin als neuartiger Fusionsinhibitor dieses Phänomen, was nach aktuellen Studien über einen bislang unbekannten Mechanismus verläuft [8].

Zusammenfassung und Ausblick

Der Lösung der Röntgenkristallstruktur im Jahre 2005 folgten 2008 die Totalsynthese, erste Untersuchungen zu einer membrandurchspannenden Wirkung sowie viel versprechende Studien bezüglich der anti- HIV-Aktivität. Die bereits in den 90er-Jahren für das Feglymycin beschriebene schwache antibakterielle Wirkung konnte durch die jüngst nachgewiesene hohe Aktivität gegenüber MRSA-Stämmen korrigiert werden, sodass diese Verbindung auch als Leitstruktur für die Suche nach neuen antibakteriellen Wirkstoffen dienen könnte. Die Zusammenführung sich ergänzender Expertisen ermöglicht zukünftig mit großer Wahrscheinlichkeit ein tief greifenderes Verständnis der molekularen Wirkmechanismen des Feglymycins und das rationale Design neuer Substanzen mit verbesserten pharmakologischen Eigenschaften. Das Potenzial des Naturstoffes scheint noch lange nicht ausgeschöpft zu sein.

>> frank.dettner@gmail.com

Literatur:
[1] Vorherr, T. (2008) PharmaChem 9, 13-16
[2] Vértesy, L. et al. (1999) J. Antibiot. 52, 374-382
[3] Bunkóczi, G. et al. (2005) Angew. Chem. Int. Ed. 44,
1340-1342
[4] Dettner, F. et al. (2009) Angew. Chem. Int. Ed. 48, 1856-
1861
[5] Hotchkiss, R.D. & Dubos, R.J. (1940) J. Biol. Chem. 132,
791-792
[6] http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2009/2108/
[7] Montagnier, L. (2009) Angew. Chem. Int. Ed. 48,
5815–5826
[8] Schols, D. et al. (2009) Antiviral Res. 82, A25

Stichwörter:
Naturstoffe, Sekundärmetabolit, Peptid, HIV, Feglymycin

L&M 1 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2010.
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