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L&M-1-2009 > Glycobiologie - Bakterielle Adhäsion an der Wirtszell-Glycocalyx

Glycobiologie - Bakterielle Adhäsion an der Wirtszell-Glycocalyx

Ein Platz an der Sonne

Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst und Mirja Hartmann, Otto Diels-Institut für Organische Chemie, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Die Glycocalyx ist eine molekular hoch komplexe Zuckerummantelung, die für alle menschlichen Zellen typisch ist. Verschiedene Mikroorganismen nutzen die Glycocalyx als Ankerplatz und Habitat mit unterschiedlichsten Folgen für die Wirtszelle. Weil bakterielle Adhäsion die Zellbiologie erheblich beeinflusst, kommt den Mechanismen bakterieller Besiedelung von Zellen in der Biologischen Chemie großes Interesse zu.

Wo immer Zellen mit der Außenwelt in Kontakt sind, z.B. im Bereich der Epithelzellen, wird die Zuckerdekoration ihrer Oberfläche von Mikroben als Ankerplatz genutzt. Über spezifische Proteine können sie ihre Anheftung initialisieren, in der Folge die Adhäsion verstärken und schließlich einen gut organisierten Biofilm ausbilden.

Der Biofilm: bakterielle Persistenz

Im Biofilm sind Bakterien einer oder verschiedener Spezies fest und irreversibel an eine Oberfläche adhäriert [1]. Ein selbst produzierter Zuckerschleim verbindet sie miteinander. Über diese Exopolysaccharidschicht können Bakterien durch einen Vorgang, der als „Quorum Sensing“ bezeichnet wird, miteinander in Kontakt treten und dies vorteilhaft nutzen. Biofilmbildung ist vielfach die Grundlage einer für Mikroorganismus und Wirt vorteilhaften Symbiose; dringen allerdings Mikroorganismen in neue Habitate vor oder verändert sich ihr Genmaterial auch nur geringfügig, so können Ungleichgewichte entstehen, auf die der menschliche Körper mit entzündlichen Krankheiten oder sogar Apoptose reagiert [2]. Warum heften sich Bakterien an menschliche Zellen? Vermutlich handelt es sich schlicht um einen idealen Platz für Vermehrung und Persistenz. Bakterien finden im Körperinneren stabile Bedingungen, z.B. geringe pH-, Temperatur- und Salzgehaltschwankungen und ein vielseitiges Angebot an Nährstoffen vor. Für die Anheftung an die hoch glycosylierte Oberfläche eukaryontischer Wirtszellen stehen Bakterien Kohlenhydrat-spezifische Tentakel als Werkzeuge zur Verfügung, die sogenannten Fimbrien, fadenförmige Proteinketten, die ein Bakterium in hundertfacher Ausführung auf seiner Außenseite trägt.

Das erste Andocken: Proteintentakel binden Zucker

Für die Untersuchung bakterieller Adhäsion ist es nun wichtig zu verstehen, welche Rolle die Fimbrien-vermittelte molekulare Erkennung von Kohlenhydraten auf Zelloberflächen spielt. Tatsächlich tragen bakterielle Fimbrien, die aus einer Vielzahl einzelner „Fim-Proteine“ aufgebaut sind, an ihrer Spitze ein Protein, das auf Kohlenhydrat-Erkennung spezialisiert ist, ein „Lektin“. Die wenige Micrometer langen sogenannten Typ-1-Fimbrien tragen an ihrer Spitze das Lektin FimH, das Mannose-spezifische Adhäsion vermittelt. Mannose-spezifische molekulare Erkennung ist für die Adhäsion der uropathogenen Gram-negativen Escherichia coli-Bakterien (Abb. 1) an Epithelzellen besonders wichtig, weil Mannose auf verschiedensten menschlichen Zellen sehr häufig vorkommt.
Das Adhäsin FimH besitzt eine Untereinheit, die á-Mannoside spezifisch erkennt, die sogenannte „Carbohydrate Recognition Domain“ (CRD). Die Details der molekularen Wechselwirkung zwischen der FimH-CRD und á-Mannosiden sind aus Röntgenstrukturanalysen genau bekannt (Abb. 2) [3]. Allein die Wechselwirkung zwischen den richtigen Zuckern (im Falle der Typ-1-Fimbrien sind es Mannoside) und den fimbrialen Lektinen (FimH im Falle von Typ-1-Fimbrien) reicht allerdings für feste Adhäsion nicht aus. So kann die reversible und relativ schwache FimHMannosid- Komplexbildung keinesfalls erklären, wie bakterielle Anheftung verstärkt und der Übergang von reversibler zur irreversiblen Adhäsion bewerkstelligt wird.

Bakterien, Geckos und Kletten – 3 Tieftaucher?

Für ein besseres Verständnis der Mechanismen bakterieller Adhäsion ist es hilfreich, sich die Natur der eukaryontischen Glycocalyx einmal genauer vor Augen zu führen. Es handelt sich um eine nanodimensionierte, in ihren molekularen Details schlecht überschaubare Schicht, welche die ganze Zelle umgibt. Modellhaft lässt sich diese „atmosphärische Umgebung“ der Zelle als Anordnung von Oligosaccharidbausteinen beschreiben, in der Zucker wie molekulare Antennen als Ligandenmuster aufgestellt sind (Abb. 3 oben). Dieses Gedankenmodell hat den Vorteil, dass es sich in In-vitro-Experimenten umsetzen lässt, wozu z.B. sogenannte Glycoarrays [4,5] verwendet werden können. Im „High-Throughput-Screening“-Verfahren können mittels Glycoarrays recht viele verschiedene Zucker-Rezeptor- Wechselwirkungen relativ schnell evaluiert werden. Solche Untersuchungen zeigen typischerweise, dass Kohlenhydrat-Protein-Wechselwirkungen erstaunlich schwach sind, so schwach, dass sich ihre biologische Signifikanz kaum erklären lässt. Allerdings kann man davon ausgehen, dass unterschiedliche Multivalenzeffekte für eine ausreichend feste und spezifische Kohlenhydrat- Erkennung sorgen [6]. Dabei ist es wichtig, die Physikochemie von Multivalenz in biologischen Systemen genau zu studieren und Multivalenzeffekte in Lösung von solchen auf Oberflächen zu unterscheiden. [7] Multivalenzeffekte auf Oberflächen zu bedenken, ist bei der Betrachtung bakterieller Adhäsion besonders relevant. Dabei erinnert das Szenario der Wechselwirkung hundertfach fimbriierter Bakterien mit der nanodimensionierten Glycocalyx-Oberfläche einer Wirtszelle an andere beeindruckende Adhäsionsphänomene, die in der makroskopischen Natur bekannt sind. Ein Paradebeispiel für erfolgreiche Adhäsion liefert der Gecko.
Er ist in der Lage, sich kopfüber mit nur einem Zeh an einer frisch polierten Glasplatte zu halten. Millionen extrem feiner Haarstrukturen („Spatulae“) unter seinem Fuß passen sich genau an die Oberfläche an, auf der sich der Gecko bewegt und dabei hält die Summe einzelner van der Waals-Wechselwirkungen den Gecko an der Decke [8]. Einen anderen, sogar makroskopischen Adhäsionsmechanismus beherrschen Kletten, deren Anheftungsprinzip auf Widerhaken beruht und im Klettverschluss (Engl.: velcro) nachgeahmt wird. Da auch Bakterien auf ihrer Außenseite sozusagen fein behaart sind (neben Typ-1-Fimbrien tragen z.B. E. coli noch eine Vielzahl anderer feingliedriger Proteinfäden), mag auch bei der bakteriellen Adhäsion ein „velcro-Effekt“ mit entscheidend sein. So könnte effektive Adhäsion durch das Zusammenspiel spezifischer molekularer Zuckererkennung und zahlloser unspezifischer Wechselwirkungen beim „Eintauchen“ bakterieller Fimbrien in die hochkomplexe Glycocalyx-Schicht resultieren. Viele unserer Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein velcro-Effekt für die bakterielle Adhäsion eine Rolle spielt [9]. Derzeit versuchen wir, diese Hypothese in verschiedenen Adhäsions-Assays zu detaillieren und zu untermauern, wobei wir unterschiedlich komplexe Zuckermatrices entwickeln, um die Beiträge von velcro-Effekten und Zucker-Lektin-Erkennung für die bakterielle Adhäsion zu spezifizieren.

Deep Impact: Sonnenuntergang auf der Zelloberfläche?

Fimbrien-vermittelte Adhäsion an eine Wirtszell-Glycocalyx kann nicht ohne Folgen für die Zelle bleiben. Bestätigt sich unsere Hypothese über die makromolekularen Gesichtspunkte bakterieller Adhäsion, könnte dies wiederum entscheidende Bedeutung für die Glycocalyx-Biologie haben, denn eine tiefgreifende und weitreichende Wechselwirkung von Bakterien mit der eukaryontischen Glycocalyx z.B. könnte zu physiologisch kritischen Konsequenzen führen. Gerade die Flexibilität von Biomembran und extrazellulärer Matrix ist ja für die vielfältigen Zellfunktionen unerlässlich. Durch eine konformationelle Einschränkung von Zelloberflächen-Glycanen sind die Beweglichkeit von Membranglycolipiden und -glycoproteinen und damit auch Zelloberflächen- und Membraneigenschaften betroffen (vgl. Abb. 3). Wenn man nun davon ausgeht, dass die Glycocalyx-Funktion für die Zelle essentiell ist, so könnte ihr Verkleben unmittelbar pathologisch wirken. Dies ist eines der spannendsten Probleme in der Glycobiologie.

Foto: © Prof. Dr. Thisbe Lindhorst

[1] Garrett, T.R. et al. (2008) Prog. Nat. Sci. 18, 1049-1056
[2] Sgouros, S.N. & Bergele, C. (2006) Postgrad. Med. J. 82, 338-342
[3] Choudhury, D. et al. (1999) Science 285, 1061-1065
[4] Laurent, N. et al. (2008) Chem. Commun. 4400-4412
[5] De Paz, J.L. et al. (2006) Methods Enzymol. 415, 269-292
[6] Mammen, M. et al. (1998) Angew. Chem. 110, 2908-2953
[7] Mulder, A. et al. (2004) Org. Biomol. Chem. 2, 3409-3424
[8] Qu, L. et al. (2008) Science 322, 238-242
[9] Sperling, O. et al. (2006) Org. Biomol. Chem. 4, 3913-3922

L&M 1 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2009.
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