Chemie
>
Hintergrund, Physik und Materialwissenschaft der Kryobestattung
Hintergrund, Physik und Materialwissenschaft der KryobestattungSeven steps to heavenSterben müssen wir alle. Die Art der Bestattung allerdings obliegt unserer Wahl. Neben Erd- und Feuerbestattung wird auch die Kryobestattung angeboten. Dabei wird der Leichnam in flüssigem Stickstoff glasig erstarrt und anschließend zu Granulat zertrümmert, das anschließend gefriergetrocknet wird. Als molekular intaktes Biomaterial kann es unter Bäumen kompostieren. Das Reizvolle – zumindest für Naturwissenschaftler – an dieser Methode sind auf jeden Fall die vielen Prozesse der Materialphysik, die post mortem auf die Verstorbenen zukommen. Sterbliche Überreste und Biomaterial
Ist das genetische Lebensprogramm erst einmal abgelaufen, geht es rasch dem Ende entgegen. Vor dem Tod gibt es kein Entrinnen. Was von uns letztlich, abgesehen von geschaffenen Werten und vielen Erinnerungen, bleibt, ist nichts weiter als durchschnittlich 70 kg Biomasse aus Wasser, einer Vielzahl von unterschiedlichen Proteinen, Fetten, Membranlipiden, eingelagerten Metallionen, Salzen und noch ein paar Kleinigkeiten mehr. Andererseits eine ganze Menge, umschreiben diese Begriffe doch die wichtigsten molekularen Vertreter des Forschungsgebiets der biologischen weichen Materie [1]. Im Trauerfall erscheint diese eher nüchterne Betrachtung der sterblichen Überreste fehl am Platz, dennoch gehört es zu den Pflichten der Hinterbliebenen, dieses Biomaterial rasch zu entsorgen. Leichen auf Friedhöfen zu begraben ist zwar mit unserer kulturell verankerten Tradition nach einem ehrfürchtigen Gedenken an die Verstorbenen zu vereinen, aber andererseits tritt immer häufiger der Wunsch nach einer ökologisch korrekten Bestattung zutage, die sich mit Würde und angemessenem Totenkult vereinbaren lassen muss. Der Schock der Kälte Naturgemäß erfordert die Kryobestattung mehrere Schritte. Der erste folgt dem herkömmlichen Schema. Der Leichnam wird in einen Sarg gelegt und um die bei der Erdbestattung notwendige Fäulnis zu vermeiden, wird der Leichnam – wie manch frisch gekaufter Sonntagsbraten zur späteren Verwendung – bei –18 °C für eine gewisse Zeit eingefroren. Das körpereigene Wasser friert dabei zu Eiskristallen und chemische Reaktionen und biologische, enzymatische Verfallsprozesse verlangsamen sich dabei dramatisch. In einem zweiten Schritt wird der Leichnam samt Sarg in flüssigen Stickstoff getaucht, dessen Temperatur von –196 °C als Schockfroster dient. Bei Leichen hat er eine ganz besondere Aufgabe. Die bereits eingefrorenen Totenkörper werden dadurch noch weiter abgekühlt. Es mag auf ersten Blick vollkommen unsinnig erscheinen, bereits eingefrorene organische Materialien noch weiter zu frosten. Allerdings ist dies für die Kryobestattung allein aus physikalischen Gründen unverzichtbar. Dazu müssen wir uns in der dritten Stufe einen kleinen Ausflug in die molekulare Welt gestatten. Muskelfasern, Bindegewebe und Knochenmaterial bestehen letztlich aus den verschiedensten Proteinen und diese sind nichts anderes als lange, kettenförmige Moleküle. Dazwischen befinden sich noch, je nach vorausgegangenem Lebensstil, Fette und andere kleine Moleküle als „Lösungsmittel und Weichmacher“. Wie bei allen Materialien bestimmt die Molekülbewegung deren Elastizität und somit die Beweglichkeit des ganzen Körpers [2,3]. Je stärker sich die Moleküle bewegen können, desto deformierbarer und elastischer ist der ganze Materialkörper. Selbst bei –18 °C bewegen sich diese Moleküle noch kräftig hin und her. Der Glasübergang der Leiche
Durch weitere Absenkung der Temperatur während des Frostens im flüssigen Stickstoff wird aber dieses Molekülgewackel noch weiter eingeschränkt, bis bei sehr tiefen Temperaturen die Moleküle fast unbeweglich erscheinen. Die sichtbare Folge ist so dramatisch wie simpel: Die Körper werden extrem spröde und brechen wie Glas. Wasserentzug durch Gefriertrocknen mit anschließender Reinkarnation Im fünften Schritt wird dieses Granulat gefriergetrocknet [4]. Hierbei wird dem organischen Pulver unter Vakuum das Wasser entzogen. Während dieses Prozesses sublimiert das Wasser vollständig. Aus Eis wird Dampf – eine flüssige Phase wird vermieden. Das Granulat wird somit staubtrocken. Der sechste Schritt ist wieder profaner. Das trockene Pulver muss noch von metallischen Rückständen – etwa Prothesen, Zahnersatz und dergleichen – mithilfe von Sieben und Metallabscheidern befreit werden. Schon reduzieren sich die Lebensspuren dabei auf etwa 25 kg organisches Trockenpulver in kompostierbarer Zusammensetzung. Im siebten und letzten Schritt können die gereinigten, gefriergetrockneten und vollkommen geruchsfreien sterblichen Überreste begraben werden. Sinnigerweise schlagen die Stickstoffökobestatter dazu einen kleinen Sarg aus Mais- oder Kartoffelstärke vor, der praktisch klimaneutral innerhalb eines Jahres vollkommen verrottet. Einer „Reinkarnation“ auf molekularer Ebene steht nichts mehr im Wege und die über das Grab gepflanzten Rosen recken sich, human-biodynamisch gedüngt, stramm gen Himmel. Abgesehen von der spannenden Wissenschaft um die Kryobestattung mag dies für viele ein tröstlicher Gedanke sein. Fazit Die Methode der Kryobestattung ist eine faszinierende Anwendung moderner Methoden der Materialforschung. Andererseits sind viele Prozesse auf molekularer Ebene noch nicht verstanden, sodass sich der Ablauf noch optimieren ließe. Abb. 1: SiO2 Fensterglas, kristalline vs. amorphe Struktur. Die Anordnung der Atome ist in amorphen Strukturen nicht regelmäßig. Die Atom- und Molekülpositionen entsprechen einer „eingefrorenen Flüssigkeit“. Aus der dadurch sehr eingeschränkten Moleküldynamik ergibt sich immer ein sehr sprödes Bruchverhalten. Gläser brechen leicht. Abb. 2: Der Glasübergang bei langen kettenförmigen Molekülen: Die Moleküle können sich bei hohen Temperaturen auf großen Skalen bewegen, wie etwa durch die dicke „Röhre“ angedeutet. Im eingefrorenen Zustand ist dies nicht mehr der Fall, die „Röhre“ wird immer enger, die Ketten unbeweglicher. Das Material wird dabei spröde, denn die eingebrachte Energie, etwa durch hochfrequente Deformationen, kann nicht mehr schnell genug „dissipieren“, d.h. von der Umgebung aufgenommen werden. Schnelle Deformationen, ausgelöst durch bestimmte Frequenzen in einer externen Bewegung, bringen das Material daher zum Brechen. Literatur:
[1] Glaser, R. (2004). Biophysics: An Introduction, Springer, Berlin, Heidelberg, Wien |
L&M 5 / 2010Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download Der Autor:Weitere Artikel online lesenNewsSchnell und einfach die passende Trennsäule findenMit dem HPLC-Säulenkonfigurator unter www.analytics-shop.com können Sie stets die passende Säule für jedes Trennproblem finden. Dank innovativer Filtermöglichkeiten können Sie in Sekundenschnelle nach gewünschtem Durchmesser, Länge, Porengröße, Säulenbezeichnung u.v.m. selektieren. So erhalten Sie aus über 70.000 verschiedenen HPLC-Säulen das passende Ergebnis für Ihre Anwendung und können zwischen allen gängigen Herstellern wie Agilent, Waters, ThermoScientific, Merck, Sigma-Aldrich, Chiral, Macherey-Nagel u.v.a. wählen. Ergänzend stehen Ihnen die HPLC-Experten von Altmann Analytik beratend zur Seite – testen Sie jetzt den kostenlosen HPLC-Säulenkonfigurator!© Text und Bild: Altmann Analytik ZEISS stellt neue Stereomikroskope vorAufnahme, Dokumentation und Teilen von Ergebnissen mit ZEISS Stemi 305 und ZEISS Stemi 508ZEISS stellt zwei neue kompakte Greenough-Stereomikroskope für Ausbildung, Laborroutine und industrielle Inspektion vor: ZEISS Stemi 305 und ZEISS Stemi 508. Anwender sehen ihre Proben farbig, dreidimensional, kontrastreich sowie frei von Verzerrungen oder Farbsäumen. © Text und Bild: Carl Zeiss Microscopy GmbH |