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Ordnungsgemäß nanofunktionalisierte Textilien sind sicher. Das zeigen jüngste Forschungsergebnisse.

Kleine Teilchen, großer Wirbel

Mit Nanoteilchen (gr. nanos = Zwerg) entstehen heutzutage faszinierende ­Produkte mit ganz neuen Funktionalitäten. Dazu gehören auch Textilien, von denen Schmutz einfach abperlt oder die gegen unangenehmen Schweißgeruch helfen. Wie bei jeder neuen Technologie werden gerade beim Thema Textilien Fragen zur Sicherheit laut und in den Medien kontrovers diskutiert, da Textilien alle Menschen betreffen. Ein gerade abgeschlossenes Forschungsprojekt aus Baden-Württemberg bringt nun Licht ins Dunkel.

Abb.1. Das HET-CAM-Modell am bebrüteten Hühnerei erlaubt es, Schleimhautirritationen tierversuchsfrei zu erfassen. Für das TECHNOTOX-Projekt wurde das Testsystem eigens für die Untersuchung der Schleimhautpenetration von Nanopartikeln weiter- entwickelt.

Dringendes Forschungsdesiderat bei nanofunktionalisierten Textilien

Nanofunktionalisierte Textilien und andere faser­basierte Werkstoffe werden bereits in Produkten des täglichen Lebens eingesetzt. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) veröffentlichte 2011 zum Einsatz von Nanomaterialien folgende Feststellung: „Bisher gibt es keine wissen­­schaftlichen Beweise dahingehend, dass Nanomaterialien – wie sie heute hergestellt und verwendet werden – zu Schädigungen von Umwelt und Gesundheit führen.“ Da jedoch zukün­f­­tig ein steigender Verbrauch von nanofunktiona­li­sierten Textilien erwartet wird und möglicherweise neue Nanomaterialien zum Einsatz kommen, die in den bisherigen Risikountersuchungen noch nicht berücksichtigt wurden, besteht weiterhin ein Bedarf an aussagekräftigen Prüfmethoden zur Ex­po­sition durch und Toxikologie von Nanomaterialien.

Die Motivation, das Forschungsprojekt TECHNOTOX zu initiieren, war daher ein dringendes Forschungs­desiderat zur Be­wer­­tung des nanomaterialspezifischen Schadensrisikos für Mensch und Umwelt bei der Herstellung von nanotechnologisch modifizierten Ma­terialien und deren Gebrauch. TECHNOTOX ist die Kurzbezeichnung für den ausführlichen Titel eines Projekts namens „Entwicklung nanotechnologisch funk­tionalisierter Textilien unter Minimierung toxikologischer Risiken“. Das Projekt wurde vom Ministerium für Wirtschaft und Finanzen Baden-Württemberg gefördert. Das Projektkonsortium bildete sich aus Mit­gliedern der Allianz Faserbasierter Werkstoffe Baden-Württemberg. Es setzte sich zusammen aus den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung, vertreten durch das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf, dem Hohenstein Institut für Textilinnovation, vertreten durch den Fachbereich Hygiene, Umwelt & Medizin in Bönnigheim sowie Industrieunternehmen entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette.­ Im Sinne des geforderten Vorsorgeprinzips wurden im Rahmen dieses Verbundforschungsvorhabens Daten zum Verhalten, Verbleib und zur biologischen Wirkung nanofunktionalisierter faserbasierter Werkstoffe in Abhängigkeit von Umgebungsbedingungen erarbeitet, um eine ex­emplarische Risikoabschätzung durchzuführen.

Die Forscher wählten einen komplementären Lösungsansatz, in dem physikalische Materialuntersuchungen zur Exposition direkt an wirkungsbezogene biologische Untersuchungen gekoppelt wurden. Wissenschaft und Wirtschaft arbeiteten in enger Kooperation, um den Wissens­transfer zwischen den innovativen baden-württembergischen Unternehmen zu erhöhen, die Nanomaterialien herstellen und Nanomaterialien be­ziehungsweise nanotechnologisch funktionalisierte Materialien verarbeiten. Gemeinsames Projektziel war die Entwicklung von Konzepten und Methoden für ein Qualitätskontrollsystem, mit dem Textilien bewertet werden können, bei denen insbesondere Gesundheits- und Sicherheitsaspekte im Vordergrund stehen. Als Basis für das Kontrollsystem beschlossen die Verbund­partner, die Risikobewertung exemplarisch an Produkten vorzunehmen, die Carbon-Nanotubes,­ Zinkoxid-, Titandioxid- oder Silberpartikel enthal­ten, da diese Substanzen bereits in Produkten zur Anwendung kommen und im Markt etabliert­ sind. Für die Untersuchungen wurden Modell­partikel charakterisiert, die in nanofunktionalisierten textilen Werkstoffen eingesetzt werden, und Abriebe von Beschichtungen, deren Formulierungen diese Partikel enthalten. Gleichzeitig wurden die toxischen Eigenschaften der Modellpartikel sowie die Abriebe der Beschichtungen mit etablierten In-vitro-Modellen erfasst.

Zur empirischen Analyse der Risikodeterminanten wurden physikalische Materialuntersuchungen, Expositionsmessungen und Untersuchungen des human- und ökotoxikologischen Gefährdungspotenzials für Mensch und Umwelt durchgeführt. Im Kern wurden Versuchsbedingungen geschaffen, in denen variierende Einsatz­mengen an Nanomaterialien zu unterschiedlichem Verhalten bezüglich Emission und Toxi­­kologie führen.

Was geschieht beim Kontakt mit biologischen Systemen?

Die umfangreichen biologischen Wirkungsunter­suchungen umfassten im Projekt TECHNOTOX die experimentelle Simulation realer Expositions­szenarien in biologischen Modellsystemen in den biomedizinischen Laboren der Hohenstein Institute. Diese deckten zum einen humantoxikologische Fragestellungen ab, um den Einfluss der Textilabriebe auf den Menschen zu erfassen.­ Um herauszufinden, ob auch ein Einfluss auf die belebte Umwelt zu erwarten ist, wurden zudem ökotoxikologische Untersuchungen durchgeführt. Angelehnt an das in der Humantoxi­kolo­gie häufig angewandte ADME-Konzept (Adsorption, Distribution, Metabolism, Excretion) wurde vor allem Wert auf die Aufnahmewege von nanopartikulärem Material in den menschlichen Körper (A), deren Verteilung (D), Verstoff­wechselung (M) und Ausscheidung (E) gelegt. So wurden zahlreiche Experimente zur Haut- und Schleimhautpenetration sowie zum zellschädigenden (zytotoxischen) Potenzial­ durchgeführt. Während erwartungsgemäß in den als Positivkontrollen herangezogenen Overload-­Experimenten (Belastung der biologischen Systeme mit einer unnatürlich und unrealistisch hohen Konzentration an Nanopartikeln) z.B. zellschädigende Effekte zu beobachten waren, lieferten die realitätsnahen Textilabriebe beim Kontakt mit Haut-, Leber-, Bindegewebs- und Immunzellen keinerlei Hinweise auf eine Schädigung. Auch konnten keine inflammatorischen Effekte beobachtet werden. Doch damit nicht genug. Neben den zellbasierten In-vitro-Tests wurden die Abriebe der nanofunktionalisierten Textilien in einem gemeinsamen Versuchsansatz der beiden Forschungsinstitute auch an einem eigens entwickelten Lungenmodell auf ihre Toxizität geprüft (Schema s. Abb.1). Dabei wurde die Exposition von Lungenzellen mit nanopartikelhaltigen Aerosolen simuliert und Auswirkungen auf die Zellvitalität bestimmt. Es konnten hierbei­ für die untersuchten Silber-, Titandioxid- und Zink­oxidpartikel sowie Carbon-Nanotubes keine­ zellulären Auffälligkeiten im Vergleich mit den Zellen der Negativkontrolle festgestellt werden.


Abb.2. Ökotoxikologische Untersuchungen wie hier an Embryonen des Zebrabärblings geben Aufschluss über Risiken für Wasserorganismen
(Foto: Hohenstein).

Standardisierte ökotoxikologische Tests an Bakterien, Wasserflöhen und Fischen ergänzten den Datenpool, der zusammen mit den Daten der Partikelmessungen nun die Basis für eine profunde Risikoabschätzung nanofunktionalisierter Textilien bietet. Das ökotoxikologische Potenzial ausgewählter Proben für Wasserorganismen wurde anhand des Leuchtbakterien-, Daphnien- und Early-Larval-Stage-Tests am Zebra­fisch überprüft. Die Validität der Versuche wurde­ ebenfalls durch Overload-Experimente bestätigt.­ Fazit ist, dass von den untersuchten Nanoprodukten in realistischen Konzentrationen und Anwendungsbereichen auch für Wasserorganismen keine akute Toxizität ausgeht.

Werden aus Textilien Nanopartikel in die Luft abgegeben?

Ein wesentlicher Baustein in der Gefährdungs­analyse ist die zahlenmäßige Bestimmung der luftgetragenen Nanopartikeln, die aus der Produktion und dem Gebrauch von mit Nanopartikeln funktionalisierten Textilien stammen. Die Prüfmethode des ITV beinhaltet deshalb einen mechanischen Stresstest sowie Partikelanalyse in der Luft. Dieser Stresstest kann in der Art und Intensität entsprechend den Anforderungen an die Belastbarkeit des Textils variiert werden, da Textilien während ihres Lebenszyklus unterschiedlichen mechanischen Belastungen standhalten müssen. Beispielhaft ist in Abbildung 3 das Partikelemissionsspektrum eines spröden nanoskaligen Bindersystems dargestellt, das sich bei mechanischer Belastung von der Pol­y­esterfaser gelöst hat. Selbst in diesem worst-case-Szenarium liegt der zahlenmäßige Anteil freigesetzter Nanopartikel nur im Bereich weniger Prozent der Gesamtemission. Überraschenderweise wurde bei diesen Prüfungen erkannt, dass aus allen Textilien, behandelt und unbehandelt, unter entsprechender mechanischer Belastung Nanopartikel freigesetzt werden. Bei unbeschich­teten Textilien aus synthetischen Fasern lag die Freisetzung jedoch nur im Bereich der Nachweisgrenze und bei nanofunktionalisierten synthetischen Fasern auch nur knapp darüber. Die höchsten Nanopartikelfreisetzungsraten traten jedoch bei der mechanischen Beanspruchung von naturfaserbasierten (nicht nanofunktionalisierten) Textilien auf. Die Modellpartikel aus Zinkoxid, Silber, Titandioxid und Carbon-Nanotubes wurden auf Polyamid- und Polyester-Waren aufgetragen. Die Nanopartikelemissionen daraus sind sehr gering und liegen deutlich unter der Hintergrundbelastung mit Nanopartikeln – beispielsweise in einem Bürogebäude. Bei Anwendung von nanoskaligen Additiven sind meist keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Emissionen von behandelten und un­behandelten Mustern messbar, sofern die vom Hersteller empfohlenen Verarbeitungsbeding­ungen eingehalten wurden. Die Menge der freige­setzten Partikel ist vor allem von der verwendeten Formulierung für die Beschichtung und den Ausrüstungsprozessparametern abhängig. Das bedeutet: Ob Nanopartikel aus Textilien freigesetzt werden oder nicht, ist also letztlich eine Frage der Qualität der Ausrüstung.


Abb.3. Polyester-Filament mit sprödem Bindersystem auf SiO2-Basis
mit TiO2-Partikeln sowie die ermittelte zahlenmäßige Größenverteilung der emittierten Partikel während der mechanischen Belastung.

Die Ergebnisse des TECHNOTOX-Projektes sind ein wichtiger Schritt in Richtung sicherer Nanotextilprodukte und nützen den Endverbrauchern sowie den Unternehmen entlang der textilen Kette. Die Projektpartner entwickelten hierzu einen zweistufigen kostenoptimalen Prüf­ablauf: In Stufe 1 wird geprüft, ob ein Material beim Stresstest Nanopartikel emittiert. Die Nach­weisgrenze liegt bei einer Anzahl von 2.000 Partikeln pro Kubikzentimeter in der ursprünglich schwebstofffreien Prüfkammerluft. Die Prüfkammer hat ein Volumen von 45l, die Textilprobengröße beträgt 50cm². Faserförmige Stäube können durch eine Modifikation der Messtechnik­ ebenfalls erfasst werden. Ab einer Konzentrations­erhöhung von 20.000 Nanopartikeln pro Kubikzentimeter erfolgt Stufe 2, in der das human- und ökotoxikologische Potenzial bestimmt wird. Der Test kann Materialentwicklungen begleiten oder als Qualitätstest für Verbraucherprodukte eingesetzt werden. Er hilft, Vorhersagen für die Freisetzungswahrscheinlichkeit von Nanopartikeln aus Textilien zu treffen sowie das human- und ökotoxikologische Materialverhalten zu kontrollieren. Der Weg zur Zertifizierung unbedenklicher Nanotextilprodukte ist damit bereitet.


Abb.4. Prinzip des TECHNOTOX-Lungenmodells. Nanopartikelhaltige Aerosole werden erzeugt und in einen Reaktionsraum eingeleitet, wo sie mit Lungenzellen in Kontakt kommen. Mittels Partikel­detektion wird bestimmt, welche Partikelgrößen und -konzentrationen tatsächlich vorliegen. Die exponierten Lungenzellen werden auf Schädigungen hin untersucht.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Hersteller und den Verbraucher?

Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurde eine Standardvorgehensweise ausgearbeitet, mit der das Mensch- und Umweltrisiko nano­tech­no­lo­gisch­ funktionalisierter Textilprodukte bereits während­ der Produktentwicklung charakterisiert­ werden kann. Die Vorgehensweise kann den Herstellern helfen Fehlentscheidungen sowie -investitionen zu vermeiden, die Produktqualität zu sichern und Informationen zu generieren, die als wichtige Entscheidungsgrundlage für das Risikomanagement­ von Unternehmen dienen. Hierbei können die Tests der beiden Forschungs­einrichtungen, die nach Standardvorgehensweise­ durchgeführt werden, von der Industrie genutzt werden.

Es bleibt außerdem festzuhalten, dass von den untersuchten Nanoprodukten bei sachgemäßer Ausrüstung und Anwendung weder für den Menschen noch für die untersuchten Umweltorganismen eine Gefahr ausgeht, wodurch weit verbreitete Vorbehalte gegen diese Technologie entkräftet werden konnten.

Gefördert vom Ministerium für Finanzen und Wirtschaft
Baden-Württemberg und unterstützt durch die Allianz Faserbasierte Werkstoffe Baden-Württemberg e. V.

L&M 4 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2014.
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