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Forscher > Dr. Giovanni Galizia > Duftkommunikation in der Ameisenkolonie

Duftkommunikation in der Ameisenkolonie

Freund oder Feind?

Wir Menschen nutzen vor allem unsere Augen wenn es darum geht, uns im täglichen
Leben zurecht zu finden und Dinge zu erkennen. Wir haben Bilder von unseren Freunden und Verwandten und behalten diese im Gedächtnis, sodass wir sie schnell wieder erkennen können. Wohl kann uns manchmal ein Duft – vielleicht ein Parfüm – an jemanden erinnern.

Dieses Gefühl überfällt uns oft überraschend und mag uns sogar verwirren. Auch können wir nicht gleich sagen, an wen uns der Duft erinnert, denn der Duftsinn ist nicht unser wichtigstes Erkennungsorgan. Im Gegensatz dazu leben Insekten in einer Welt der Düfte. Sie kommunizieren miteinander über Düfte und haben viele Duftdrüsen mit denen sie eine Vielzahl von chemischen Molekülen produzieren. Tatsächlich wurden Ameisen schon als „wandelnde chemische Fabriken“ bezeichnet (Hölldobler und Wilson, 1990).

Organisierte Gemeinschaften

Soziale Insekten, wie die Bienen oder Ameisen, leben in großen Gemeinschaften, die wohl organisiert und sehr effizient strukturiert sind. Diese Gesellschaften sind fast
ausschließlich über chemische Kommunikation organisiert.
Es herrscht eine starke Arbeitsteilung: Während die Königin Eier legt und damit auf die Reproduktion spezialisiert ist, kümmern sich Arbeiterinnen um die Belange des Volkes, etwa Futter sammeln, putzen oder Schutz gegen Eindringlinge. Tatsächlich enthält ein Ameisenbau große Schätze: viel Futter und die Brut, Schätze die vor Konkurrenten und Parasiten geschützt werden müssen. Darum ist es in der Evolution der Ameisen wichtig gewesen, Mechanismen zu entwickeln, durch die die Zugehörigkeit einer Ameise zum eigenen Volk identifizierbar wird, d.h. über die eine Ameise Freunde von Feinden unterscheiden kann.

Körpereigene Duftsignaturen

Schon lange ist bekannt, dass Ameisen und andere soziale Insekten ihren Geruchssinn nutzen, um Kolonieschwestern (Freunde) und Eindringlinge (Feinde) sehr
effizient zu unterscheiden. Dazu nutzen sie den Duft, den sie auf ihrer Körperoberfläche, der Kutikula, tragen. Dieser Duft besteht vor allem aus langen Kohlenwasserstoffketten,
die zwischen 20 und 40 Kohlenstoffatomen lang sind und er ist koloniespezifisch. Zwei verschiedene Kolonien haben auch zwei unterschiedliche Duftbouquets auf ihrer Kutikula. Die generelle Annahme war, dass Ameisen den Duft einer anderen Ameise (das „Label“) mit dem eigenen Duft (dem „Template“) vergleichen würden – wobei der Template im eigenen Langzeitgedächtnis gespeichert ist. Sind Label und Template gleich, so handelt es sich um eine Schwester. Sind sie verschieden, so wird der erkannte Eindringling angegriffen und verscheucht.

Unsere Untersuchungen legen einen alternativen und tatsächlich auch einfacheren Mechanismus nahe (Guerrieri et al. 2009): Wir haben verschiedene Gruppen von Arbeiterinnen aus einer Kolonie gebildet und sie unterschiedlich behandelt. Eine Gruppe wurde mit Futter (Honigwasser) versorgt, dem ein Kohlenwasserstoff beigesetzt
war, der nicht auf der Kutikula der Tiere vorkommt, während die andere Gruppe nur mit Honigwasser (und dem Lösungsmittel) behandelt wurde. Bei der ersten Gruppe
wurde die hinzugefügte Substanz über den Stoffwechsel in die Kutikula eingebaut, sodass wir nun zwei experimentelle Ameisengruppen hatten, die sich nur in einer
Substanz auf ihrer Kutikula unterschieden. Dann haben wir diese Gruppen einem Stresstest unterzogen, um zu sehen, ob sie sich gegenseitig angreifen.

Hierbei haben wir zwei Ansätze gewählt. Im ersten Test haben wir in einer Arena die Ameisen aufeinander treffen lassen und aggressives Verhalten quantifiziert. Im zweiten
Test wurden die Ameisen so festgeklebt, dass sie ihre Mundwerkzeuge noch frei bewegen konnten.
Wir haben diese Ameisen dann mit verschiedenen Einzeldüften oder Duftmischungen konfrontiert und über die Mundwerkzeugbewegung deren Aggressionspotenzial quantifiziert (Guerrieri & d‘Ettorre, 2008). Beide Bioassays gaben das gleiche Ergebnis: Ameisen mit einer Komponente weniger auf ihrer Kutikula waren aggressiv gegenüber
denen, die eine zusätzliche Komponente auf der Körperoberfläche hatten, aber nicht umgekehrt. Ameisen erkennen also die Feinde daran, dass sie zusätzliche
Duftkomponenten auf der Kutikula haben, aber sie erkennen nicht ihre Freunde.
In weiteren Untersuchungen haben wir auch zeigen können, dass für diese Erkennungsmechanismen nicht alle Substanzen gleich gut sind. Ein komplexer Kohlenwasserstoff mit zwei Methylgruppen hatte einen stärkeren Effekt als ein Molekül mit nur einer Methylgruppe oder ein linearer Kohlenwasserstoff. Offensichtlich werden
nicht alle Kohlenwasserstoffe für die soziale Erkennung genutzt.

Charakteristische Duftcocktails

Wie erfolgt aber die Dufterkennung? Die „Nase“ der Ameisen ist auf ihren Fühlern: Hier erkennen die Duftrezeptoren die Substanzen in der Umwelt. Die Logik der Duftkodierung ist kombinatorisch: Ein Duft aktiviert viele Rezeptoren und dadurch entstehen charakteristische Aktivitätsmuster im Gehirn, die vom Nervensystem entsprechend ausgewertet werden (Galizia & Szyszka 2008).
Unsere Verhaltensdaten bei Ameisen legen nun den Schluss nahe, dass ein Duft, der das kombinatorische Muster der eigenen Körperoberfläche erzeugt, nicht zur Aggression führt. Aber auch ein Muster, das aus weniger Aktivität besteht (weil Komponenten fehlen), wird nicht beachtet. Dagegen wird ein Duft, in dem zusätzliche
Rezeptoren aktiviert werden (also eine zusätzliche Komponente auf der Kutikula ist), eine aggressive Reaktion hervorrufen. Die Muster werden also nicht nach Ähnlichkeit
beurteilt, sondern nach Inklusion: Ist das Testmuster im eigenen Muster enthalten, so ist es harmlos.
Diese Arbeit stellt nur einen kleinen Schritt auf der Suche nach den Mechanismen dar, mit denen Ameisen und andere soziale Insekten Chemikalien nutzen, um
Individuen zu erkennen. Möglich war diese Arbeit durch eine internationale Kooperation zwischen Biologen, Chemikern, Neurophysiologen und die begeisterte Arbeit eines Doktoranden (V. Nehring) und eines Postdocs (F. Guerrieri). Wir haben einen neuen Erkennungsmechanismus in der Duftwelt entdeckt, aber erst weitere Untersuchungen werden uns zeigen, welche evolutionären, neurophysiologischen und kognitiven Mechanismen der sozialen Erkennung bei Ameisen und anderen sozialen Insekten zugrunde liegen.

Foto: © Dr. David R. Nash

Stichwörter:
Biologie, Fauna, Ameisen, Duft, Ameisenstraße

L&M 3 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2009.
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