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L&M-3-2013 > Aptamere als neue Alternative zu Antikörpern

Aptamere als neue Alternative zu Antikörpern

Magnetisierende Wirkung

In der Europäischen Union werden die Maßnahmen zur Sicherung unserer Lebens­mittel immer strenger, gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe dürfen nicht oder nur in Spuren enthalten sein. Die Einhaltung und Überwachung aller gesetzlichen Vorschriften für sichere Lebensmittel stellt eine immense Herausforderung an die Analytik dar. Für rasche Kontrollen kommen seit mehr als drei Jahrzehnten ­Immunotests erfolgreich zur Anwendung und seit wenigen Jahren zeigen Aptamere als neue Alternative zu Antikörpern immer häufiger ihr Potenzial.

Getrieben von den hohen Ansprüchen der Nahrungsmittelhersteller und kontrollierenden Behörden, dringt die Lebensmittelanalytik in immer kleinere Konzentrationsbereiche vor, bereits Spuren von Antibiotika, Mykotoxinen, Pestiziden, Allergenen, Hormonen und anderen unerwünschten Substanzen müssen zuverlässig nachgewiesen werden können. Die Analytik beschreitet hierzu zwei unterschiedliche Wege. Zum einen werden High-End-Methoden für die Spurensuche ein­gesetzt, das prominenteste Beispiel dafür sind moderne LC-MS-Anwendungen. Obwohl diese Methoden die Spitze der Sensitivität markieren, haben sie auch einen entscheidenden Nachteil. Die benötigten Geräte verursachen hohe Kosten, müssen von besonders geschultem Personal bedient werden und wirkliche On-Site-Tests sind damit beinahe unmöglich. Zur Analyse werden die Proben vor Ort genommen, um dann aber die Untersuchung in einem entsprechend ausgestatteten Labor durchzuführen.

Schnelltests auf dem Vormarsch

Um dieses Hindernis zu überwinden, kommen in den letzten Jahren immer häufiger Schnelltests zum Einsatz. Diese einfachen Tests sind leicht zu bedienen, sehr kostengünstig und können in einem minimal ausgestatteten Labor oder oft sogar vor Ort durchgeführt werden. Die Sensitivität kommt meist nicht an jene der Referenzmethoden heran, reicht jedoch aus, um gesetzliche Vorschriften zu erfüllen. Zur Entwicklung von Schnelltests macht man sich häufig die Fähigkeit der spezifischen Erkennung eines Zielmoleküls durch Biomoleküle zu Nutze. Das bekannteste Beispiel für Moleküle mit besonders spezifischen Bindungseigenschaften sind die Antikörper. Ausgehend von den ersten Immunotests im medizinischen Bereich haben unterschiedliche antikörperbasierte Schnelltests alle Anwendungsbereiche der Analytik erobert. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden Immunoschnelltests für kleine Moleküle, für Proteine bis hin zu Nachweisen für Viren und Mikroorganismen entwickelt und erfolgreich auf dem Markt platziert. Auch die Palette der Testanordnungen ist ähnlich breit gestreut wie die der Zielmoleküle. Die einfachsten Systeme, vorwiegend für die qualitative Analyse, sind Lateral Flow Devices (LFDs oder „Streifchentests“). Enzyme Linked Immunosorbent Assays (ELISAs) erlauben bereits sehr genaue Quantifizierungen und moderne Biosensoren der letzten Jahre stellen die Speerspitze der Entwicklungen von Immunotests dar.

DNA- und RNA-Aptamere als Alternative zu Antikörpern

Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt steigt die Zahl der Publikationen über Aptamere als neue Alternative zu den etablierten Antikörpern kontinuierlich an. Der Begriff „Aptamer“ leitet sich vom lateinischen Wort aptus (=passend) und dem griechischen meros (=Teil) ab und veranschau­licht die „Schlüssel-Schloss-Beziehung“ zwischen Aptameren und ihren Bindungspartnern. Als Aptamere kommen kurze Nukleinsäurefragmente zum Einsatz, entweder RNA oder einzelsträngige DNA. Deren besondere dreidimensionale Struktur ist für die Spezifität und die Affinität zu einem Zielmolekül verantwortlich. Die Bindung an das Target kommt dabei durch eine Kombination aus den sterischen Eigenschaften in Kombination mit elektrostatischen Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen zu Stande. Zur Gewinnung von Aptameren für ein bestimmtes Zielmolekül kommt eine Prozedur namens SELEX zu Einsatz. SELEX steht für Systematic Evolution of Ligands by Exponential Enrichment und bezeichnet die zielgerichtete In-vitro-Evolution von Aptamerkandidaten hin zum bestmöglichen Bindungspartner. Als Start für diesen Prozess dient eine Zufallsbibliothek aus einzelsträngigen Nukle­insäuren. Als Richtwert sollte diese Bibliothek wenigstens 1014 unterschiedliche Kombina­tionen der vier Basen enthalten. Angesichts der vielen Möglichkeiten der Strukturausbildung sollte sich so für beinahe jedes Zielmolekül ein dazu passendes Nukleinsäurefragment finden lassen. Diese Zufallssequenz wird jeweils am 5‘ und 3‘ Ende von einer konstanten Region flankiert, die später als Bindungsstelle für PCR-­Primer dient. Diese Nukleinsäurebibliothek wird nun mit dem am Trägermaterial immobilisierten Target in Kontakt gebracht. Jene Fragmente, die das Target einigermaßen gut binden können, werden so aus der Bibliothek gefischt. Diese interagierenden Fragmente werden nun über eine PCR der konstanten Regionen vermehrt und einer weiteren Runde der Selektion unterzogen. Dieser Prozess wird so oft wiederholt, bis nur mehr die am besten bindenden Fragmente übrig bleiben. Durch die SELEX-Prozedur wurden mittlerweile Aptamere für beinahe alle Arten von Analyten synthetisiert: Bakterien und Viren, Polysaccharide, Proteine, nieder­molekulare Substanzen und selbst Atome stellen kein Problem dar. Da die Anreicherung von Aptameren in vitro erfolgt, bereiten selbst hoch toxische Targets, für die die Antikörperproduktion oft nicht einfach ist, keine Schwierigkeiten. Zwei Datenbanken im Internet [1, 2] unterstützen bei der Suche nach bisher bekannten Aptameren. Sie geben Auskunft über die Nukleinsäuresequenz und bieten auch weitere Informationen zu den Parametern der SELEX-Prozedur sowie Affinitätskonstanten zu den jeweiligen Bindungspartnern.

Hervorragende Selektoren

Verglichen mit Antikörpern haben Aptamere ­einige Vorteile, die jedoch auch mit Einschränkungen einhergehen. Hinsichtlich ihrer Sensitivität sind Antikörper und Aptamere in sehr ähnlichen Bereichen angesiedelt, wenngleich Immunoassays aufgrund der ausgereiften Technologie für die Detektion besonders geringer Konzentrationen vorzuziehen sind. Ein großer ­Vorteil der Aptamere besteht in ihrer he­r­vorragenden Selektivität. Da die Nuklein­säure­fragmente aufwändig durch In-vitro-Evolution an ihr Target angepasst werden, können unerwünschte Kreuzreaktionen beinahe ausgeschlossen werden. Durch die Möglichkeit der so genannten Konterselektion während der SELEX-Prozedur können Aptamerkandidaten mit unerwünschten Bindungseigenschaften aktiv aus dem Pool der Fragmente entfernt werden. Als vor ­etwas mehr als einem Jahrzehnt die Entwicklung von Aptameren noch in ihren Kinderschuhen steckte, wurden häufig RNA-Aptamere eingesetzt. Obwohl hinsichtlich der Vielzahl an Faltungsmöglichkeiten die RNA wesentliche Vorteile gegenüber der DNA hat, muss dies mit dem Nachteil der mangelnden Stabilität teuer erkauft werden. In der Praxis stellte sich aber genau die Unempfindlichkeit von DNA-Aptameren gegenüber äußeren Einflüssen als ihr großer Benefit heraus. DNA ist ein besonders stabiles Biomolekül, das selbst Hitze und Kälte sowie ungewöhnliche pH-Bedingungen und hohe Salzkonzentrationen unbeschadet übersteht. Genau diese Stärke lässt auf eine große Zukunft der Aptamere hoffen. Selbst lange Lagerung kann die Aktivität der Aptamere nicht wesentlich vermindern. Ein weiterer großer Vorteil der Aptamere ist, dass sie ­jederzeit leicht und sehr kostengünstig ­synthetisiert werden können. Ist ihre ­Sequenz einmal bekannt, kann genau dasselbe Aptamer bei allen Herstellern von Oligonukleotiden kommerziell erworben werden. Dadurch verschwinden einerseits Batch-to-Batch-Variationen durch Immunisierungen und andererseits kann der Einsatz von Tieren zur Antikörpergewinnung vermieden werden. Basierend auf den Aptameren wurden ähnliche Testformate entwickelt, wie sie für Immunoassays schon lange üblich sind. Aptamere lassen sich sehr einfach kovalent an kolloidale Goldnanopartikel koppeln. Mit diesen funktionalisierten Goldpartikeln wurden für zahlreiche Analyten LFDs zur raschen qualitativen Analyse entwickelt. Auch für quantitative Tests kommt ein Testaufbau zum Einsatz, der im Wesentlichen dem ELISA gleicht. In den so genannten Enzyme Linked Aptamer Assays (ELAAs) wird ein immobilisiertes Capture-Aptamer verwendet, um einen Analyten aus einer Probe zu fischen und ein zweites, enzymgekoppeltes Detektions­aptamer wird für die Katalyse einer Farbreaktion eingesetzt. Da sich DNA-Fragmente wesentlich leichter als Antikörper an die unterschiedlichsten Oberflächen koppeln lassen, eröffnet sich so ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten für Biosensoren. Antikörper haften meist nur durch Adsorption an einer Oberfläche, Aptamere werden aber grundsätzlich kovalent gebunden. Die Stärke der kovalenten Bindung erlaubt eine einfache Regeneration von Bio­sensoren. Der einmal gebundene Analyt kann wieder von der Sensorfläche weggewaschen werden – und das selbst unter sehr harschen Bedingungen. Alle oben beschriebenen Testformate sind bereits für Nachweise im Bereich der Lebensmittelsicherheit zu Einsatz gekommen. Aptamere konnten dabei auf zwei unterschiedlichen Gebieten Fuß fassen, nämlich zum Nachweis von Pathogenen in Nahrungsmitteln und zur Detektion von ­toxischen Substanzen. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über bisher entwickelte Aptamere für die Lebensmittelanalytik.

Die Zukunft der Aptamere

Obwohl bisher zahlreiche Aptamere mit Potenzial für die Untersuchung von Nahrungsmitteln entwickelt wurden, blieben kommerzielle Anwendungen bisher rar. Die Aptamertechnologie hinkt in der Entwicklung den Immunotests um etwa zwei Jahrzehnte hinterher und so sind die wesentlichsten Gebiete für Schnelltests bereits mit sehr weit optimierten antikörperbasierten Nachweissystemen besetzt. Aptamertests kämpfen oft noch mit Kinderkrankheiten, vor allem die fehlende Robustheit wird kritisiert. Dennoch bietet diese Molekülklasse mehr Entwicklungspotenzial für die nächsten Jahre als alle anderen Technologien. Vor allem die aufstrebende Sensortechnologie profitiert von den einzigartigen Eigen­schaften dieser Nukleinsäurefragmente. Kein anderes Biomolekül kann derart einfach modifiziert werden, um es an Sensor­oberflächen zu koppeln und das zu sehr geringen Kosten. Außerdem erlaubt die Stabilität von DNA gegenüber äußeren Einflüssen die Regeneration von Sensoren und dadurch eine vielfache Verwendung. Sowohl die Wissenschaft als auch die Industrie sind gefordert, die unterschiedlichsten Testformate für bekannte und neu entwickelte Aptamere weiter zu verbessern und dabei den Fokus auf die Robustheit für den praktischen Einsatz zu legen.

Literatur
[1] The Ellington Lab Aptamer Database: http://aptamer.icmb.utexas.edu [2] Aptamer Base: http://aptamer.freebase.com/

Foto: © istockphoto.com| Nathan Jones

L&M 3 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2013.
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