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L&M-5-2010 > Tumorspionage

Tumorspionage

Auf dem Weg zu individualisierten Krebstherapien

Krebs ist eine multifaktorielle Erkrankung mit hoher Prävalenz auch in Westeuropa. Obwohl bereits umfangreiche Charakterisierungen von möglichen Umgebungseinflüssen und Mechanismen bekannt sind [1], ist die Identifizierung von Markern für Krebsprozesse, die eine gute Prognose zulassen oder verlässlich im klinischen Gebrauch sind, noch nicht ausreichend. Neue Erkenntnisse zur molekularen Pathogenese von Krebs haben jedoch die Entdeckung und Entwicklung neuer Tumortherapeutika grundlegend verändert. Die Hoffnung ist, dass diese Therapien in Zukunft besser auf einzelne Patienten zugeschnitten werden können [2–3].

Ziel von Oncotyrol ist es, Erkenntnisse der Krebsforschung im Bereich der Zellbiologie, der Genetik und der Entzündungsforschung in den klinischen Alltag zu übertragen und innovative, individualisierte und kosteneffiziente Zugänge bei der Prävention, der Diagnose und der Therapie von Krebserkrankungen zu erarbeiten, wobei ein Hauptaugenmerk auf Brustkrebs, chronische Leukämien (CML, ALL) sowie Prostatakrebs gelegt wird (www.oncotyrol.at).
Die Erfassung der gesamten, äußerst umfangreichen genetischen Information (und ihrer epigenetischen Modulation) trägt wesentlich zur Erforschung komplexerer Krankheiten insbesondere von Krebs und seinen molekularen Mechanismen bei. Neueste Entwicklungen von Hochdurchsatzmethoden, nämlich neuer Sequenziertechnologien, ermöglichen es, die gesamte genomische Information (Genom) von gesunden oder Tumorzellen eines Menschen mit erschwinglichem Aufwand zu bestimmen. Während die Bestimmung des ersten menschlichen Genoms noch mehr als 100 Millionen Dollar verschlang, liegen die Kosten für die Sequenzierung eines menschlichen Genoms mit einer 30-fachen Abdeckung momentan bei ca 5000 Dollar mit stark fallender Tendenz und die Untersuchung ist in wenigen Tagen durchführbar.
Damit ist es auch möglich, genetische Variationen wie zum Beispiel Translokationen oder Punktmutationen im Genom, die Auslöser für die Entstehung von Krebs sein könnten, zu detektieren [4]. In Zukunft sollte es daher möglich sein, das Genom eines Patienten zu sequenzieren – vergleichbar der momentanen Anwendung bildgebender Verfahren wie der Computertomografie. Obwohl natürlich noch weitere technologische und kosteneffektive Verbesserungen erforderlich sind und die Sequenzierung hunderter Genome für genetische Studien komplexer Erkrankungen benötigt werden, ist es der Anfang einer neuen Ära: der personalisierten Krebsmedizin. Angesichts der Tatsache, dass dabei unglaubliche
Datenmengen anfallen (1 Lauf eines Sequenzierens liefert 160 Millionen 100 Basen lange Sequenzen und der benötigte Speicherbedarf liegt dafür bei 1TB) ist es nicht verwunderlich, dass der Bioinformatik eine immer zentralere Bedeutung zukommt. Die wesentlichen Aufgaben der Bioinformatik in diesem Zusammenhang sind der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur, das gemeinsame Datenmanagement von Hochdurchsatzdaten und klinischen Daten, integrative Datenanalyse, Netzwerkanalyse und mathematische Modellierung, um etwa Biomarker für Diagnose und Therapie vorhersagen zu können. Der Schlüssel zur personalisierten Medizin:
Management und Integration von klinischen und genomweiten Daten. Wir haben heute noch nie da gewesene experimentelle Möglichkeiten, krebsspezifische molekulare Prozesse genomweit zu untersuchen: die Aktivität von Genen und Proteinen, Protein-Protein-Interaktionen, genomische und genetische Variationen, epigenetische Modifikationen (z.B. Methylierungsmuster), Stoffwechselprodukte, Zellcharakterisierungen, regulatorische RNA. Darüber hinaus gibt es entsprechend klinische, patientenbezogene Informationen, deren Verwendung aus technischer,
ethischer oder rechtlicher Sicht oftmalsschwierig ist. Die Menge und Diversität beider, der experimentellen und klinischen Daten, verlangen es, diese systematisch und gut organisiert zu verwalten und dem Wissenschaftler für die Analyse und Interpretation über Computer zugänglich zu machen. Die ersten Schritte sind meist die Datenerfassung und Eingabe: und die muss im Labor erfolgen. Dabei stützt man sich auf ein Laborinformationsmanagement system (LIMS). Die anschließende Datenvorverarbeitung ist gerade bei Sequenzierungsdaten eine große Herausforderung nicht nur sowohl in der Speicherung der Daten als auch in der Verarbeitung (Algorithmen zum Zusammensetzen und Mappen von Sequenzen sowie Detektion von Variationen), dies geschieht mit neuesten Methoden des High Performance Computing wie zum Beispiel Cloud Computing, wo entsprechend externe Computer-Cluster genutzt werden können. Für die Datenintegration bedient man sich informationstechnischer Lösungen wie zum Beispiel in der Konzeption eines Datawarehouse, wo Daten einzelner Datensätze (das sind im Allgemeinen verarbeitete Daten und keine Rohdaten) und Datenbanken zusammengefasst werden, um systematisch übergreifende Datenabfragen durchführen zu können. Dies erlaubt auch den Zugriff auf Daten für die Anwendung analytischer Methoden und Modellierungen, die erst die Identifizierung diagnostischer Marker, Ziele für Therapien und molekularer Mechanismen ermöglichen.

Die zentrale Frage ist, wie man verfügbare Daten über eine größere Population mit personalisierter Medizin komplementieren könnte. Die Antwort liegt genau in der geschilderten Herangehensweise im Design und der Entwicklung massiver Datenspeicherung, dem Datamining und effektiver webbasierter Abläufe [3], wobei entsprechend klinische Informationen und individuelle Reaktionen und Daten in das System rückgeführt werden müssen. Unserer Erfahrung nach ist heutzutage in der Wissenschaft die Hypothesenbildung getrieben von einer großen Datenmenge, deshalb sollte das Datenmanagement ein integraler Teil der Forschungsaktivitäten sein. Retrospektives Datenmanagement ist nicht nur mit viel Aufwand verbunden, sondern oftmals nicht möglich. Es muss für einen längeren Zeitraum eine Verbindlichkeit für das Datenmanagement geben, da der Aufwand für Infrastruktur und Personal nicht unerheblich sind. Iterative Zyklen zwischen Computeranalysen und Experimenten können nicht nur die Methoden verbessern und entsprechende Daten liefern, sondern ermöglichen auch die Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen [5].

Biomolekulare Netzwerke als Beispiel für integrative Datenanalyse

Biomolekulare Netzwerke ermöglichen eine Integration von medizinischen Informationen. Es lässt sich damit, basierend auf genomweiten Daten, ein größeres Verständnis der Zusammenhänge der Krankheit gewinnen. Zum Beispiel ist es damit möglich, Faktoren, die einen großen Einfluss auf das Krebsgeschehen aufweisen, zu identifizieren, ersichtlich im erstellten Netzwerk, wo diese mit vielen anderen Faktoren verbunden sind. Eine Reihe von Ansätzen der Netzwerkmodellierung hat sich gerade bei Krebs als viel versprechend herausgestellt [6-8]. Der erste Schritt in der Modellierung von Netzwerken besteht normalerweise darin, ein Gen-Netzwerk zu bilden, dabei werden zwei Knoten (Gene) verbunden, sollte ihre Aktivität über eine Reihe von unterschiedlichen Tumorproben/Patienten (signifikant) ähnlich sein. Zusätzlich zur Genexpression kann eine Reihe anderer Ressourcen und experimenteller Daten herangezogen werden, um in das Netzwerk integriert zu werden und neue Einsichten zu gewinnen, die sonst in den komplexen Datensätzen verhüllt blieben. Im Speziellen eignen sich Protein-Protein-Interaktionen (Assoziationen) als komplementäre Datenquelle, aber auch Informationen über Punktmutationen im Genom oder regulatorische Interaktionen. Es können auch klinische Patientendaten wie die Prognose in das Netzwerk integriert werden. So können Tumorproben/Patienten, basierend auf der Aktivität eines Faktors (z.B. Gen), in 2 Gruppen geteilt werden, um zu bestimmen, ob ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen in Zeiträumen ohne ein Wiederauftreten der Krankheit besteht.
Eine andere Möglichkeit der Integration besteht, wenn man quantitative Daten (z.B. Expressionsdaten von Genen mit ähnlichem Profil) bereits bekannten und im Labor bestätigten Interaktionen zuordnet und visualisiert. Das können zu einem Verbund zusammengefasste enzymatische Stoffwechselreaktionen sein (Pathways) oder etwa auch Signaltransduktionspfade. Nicht nur, dass es nahezu unmöglich ist, kausale Zusammenhänge vorherzusagen, es gibt ein weiteres Problem: fehlende oder inkorrekte Daten. Deshalb ist es von größter Bedeutung, zumindest einige dieser Zusammenhänge experimentell zu testen. Nichtsdestotrotz erfreuen sich Pathway- und Netzwerkanalysen großer Beliebtheit, da Proteine „sozial“ sind und nicht individuell im zellulären Kontext agieren, bei komplexen Krankheiten ganze Pathways und nicht nur einzelne Gene dereguliert sind und in vielen Fällen eine robuste Vorhersage der Interaktionen möglich ist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einer experimentellen Prüfung standhält.

Können Immunzellen Auskunft über Tumor und Prognose geben?

Wir haben kürzlich biomolekulare Daten mit klinischen Daten bei Dickdarmkrebs integriert, um neue prognostische Biomarker zu identifizieren. Zu diesem Zweck wurde eine Datenbank implementiert, die vorverarbeitete und normalisierte Daten (klinische Daten, Genexpression (qPCR), FACS-Daten zur Zellcharakterisierung und Daten von Gewebemikroarray-Untersuchungen) einer Kohorte von mehr als 1700 Patienten beinhaltet [9]. Die hohe Dimensionalität und Komplexität der Daten führten allerdings wahrlich zu einer Herausforderung in der Datenanalyse. Durch geeignete statistische (Überlebensanalyse) und bioinformatische Methoden (Netzwerkanalyse) konnten neue Hypothesen formuliert werden, z.B. dazu, dass ein Einfluss der Umgebung des Tumors (Tumormicroenvironment) auf den Tumor besteht. Und in der Tat konnte gezeigt werden, dass die Dichte und Lokalisierung von Immunzellen, die den Tumor umgeben und durch bestimmte Oberflächenmarker charakterisiert werden können, eine deutlich bessere Prognose für Dickdarmkrebs erlauben als die bis dahin verwendete Klassifizierungsmethode, beruhend auf Tumorhistopathologie [10]. Die nächste große Herausforderung wird darin bestehen, die biomolekularen Interaktionen zwischen Tumor- und Immunzellen besser zu charakterisieren. Die ultimative Frage aus bioinformatischer Sicht ist jedoch, ob durch ein mathematisches Modell, basierend auf Informationen über die Immunzellen in der Umgebung eines Tumors, das Tumorgeschehen (z.B. die Größe des Tumors) vorhergesagt werden kann. Es handelt sich dabei um ein mehrskaliges Problem, das heißt, dass das Modell mehrere Skalen umfassen muss (molekulare Interaktion in den Zellen und zwischen den Zellen, Anzahl, Lokalisierung unterschiedlichster Zelltypen und Gewebe innerhalb eines und zwischen mehreren Organen). Dabei ist nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche Komponente zu berücksichtigen [11] (siehe Abb. 3).

zlatko.trajanoski@i-med.ac.at
www.icbi.at

Abb. 1/2. Beispiel für ein biomolekulares Netzwerk und eine Heatmap für Genexpressionsprofile von Krebsproben

Abb. 3 Simulation von Tumor-Immunzell-Interaktionen, anhand eines 2-dimensionalen Tumorwachstumsmodells dargestellt (Tumor ist magenta und Immunzellen (CD4 und CD8+ T-Zellen) sind grün gefärbt)

Literatur

[1] Hanahan D, Weinberg RA: The hallmarks of cancer. Cell (2000) 100:57–70.
[2] Ocana A, Pandiella A: Personalized therapies in the cancer „omics“ era. Mol Cancer (2010) 9:202.
[3] Deisboeck TS: Personalizing medicine: a systems biology perspective. Mol Syst Biol (2009) 5:249.
[4] Drmanac R, Sparks AB, Callow MJ, Halpern AL, Burns NL, Kermani BG, Carnevali P, Nazarenko I, Nilsen GB, Yeung G, Dahl F et al: Human genome sequencing using unchained base reads on self-assembling DNA nanoarrays. Science (2010) 327:78–81.
[5] Hackl H, Stocker G, Pornpimol C, Mlecnik B, Bindea G, Galon J, Trajanoski Z: Information technology solutions for integration of biomolecular and clinical data in the identification of new cancer biomarkers and targets for therapy. Pharmacol Ther (2010) in press.
[6] Pujana MA, Han JD, Starita LM, Stevens KN, Tewari M, Ahn JS, Rennert G, Moreno V, Kirchhoff T, Gold B, Assmann V et al: Network modeling links breast cancer susceptibility and centrosome dysfunction. Nat Genet (2007) 39:1338–1349.
[7] Kreeger PK, Lauffenburger DA: Cancer systems biology: a network modeling perspective. Carcinogenesis (2010) 31:2–8.
[8] Mlecnik B, Tosolini M, Charoentong P, Kirilovsky A, Bindea G, Berger A, Camus M, Gillard M, Bruneval P, Fridman WH, Pages F et al: Biomolecular network reconstruction identifies T-cell homing factors associated with survival in colorectal cancer. Gastroenterology (2010) 138:1429-1440.
[9] Mlecnik B, Sanchez-Cabo F, Charoentong P, Bindea G, Pages F, Berger A, Galon J, Trajanoski Z: Data integration and exploration for the identification of molecular
mechanisms in tumor-immune cells interaction. BMC Genomics (2010) 11 Suppl 1:S7.
[10] Galon J, Costes A, Sanchez-Cabo F, Kirilovsky A, Mlecnik B, Lagorce-Pages C, Tosolini M, Camus M, Berger A, Wind P, Zinzindohoue F et al: Type, density, and location of immune cells within human colorectal tumors predict clinical outcome. Science (2006) 313:1960-1964.
[11] Anderson AR, Quaranta V: Integrative mathematical oncology. Nat Rev Cancer (2008) 8:227-234.

L&M 5 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2010.
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