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Poröse Gläser

Eine Renaissance im 21. Jahrhundert

Poröse Materialien besitzen eine große technische Bedeutung. Sie werden in unterschiedlichen Bereichen wie Katalyse, Trenntechnik, Wärmedämmung sowie als Speichermedien eingesetzt. Innerhalb der Gruppe poröser Materialien haben sich poröse Gläser fest etabliert. Jüngste Entwicklungen auf dem Gebiet der porösen Glaser eröffnen diesen Materialien neue Anwendungsperspektiven in Sensorik und Wirt-Gast-Chemie sowie als Modellporensystem für neue Charakterisierungstechniken.

Poröse Gläser werden bereits seit den 30erJahren des letzten Jahrhunderts nach dem so genannten VYCORProzess durch Extraktion phasengetrennter Alkaliborosilikatgläser hergestellt. Dabei wird zuerst ein Ausgangsglas geeigneter Zusammensetzung erschmolzen und dann in die gewünschte geometrische Form gebracht. Als nächster Schritt schließt sich eine kontrollierte Thermobehandlung im Temperaturbereich zwischen 500 und 750 °C an. Diese initiiert die Phasenseparation im vorher homogenen Glas. Eine der gebildeten Phasen besteht praktisch vollständig aus SiO2. Die zweite stellt eine alkalireiche Boratphase dar. Die Zusammensetzung des Ausgangsglases sowie die Zeit und die Temperatur der thermischen Behandlung bestimmen dabei das Ausmaß der Phasenseparation und damit letztlich das Porenvolumen und den Porendurchmesser des resultierenden porösen Glases. Im letzten Schritt wird die alkalireiche Boratphase durch eine saure bzw. kombiniert saure und alkalische Behandlung entfernt. Im Ergebnis erhält man ein poröses Glas, das zu mindestens 96 % aus SiO2 besteht. Poröse Gläser zeichnen sich durch eine Reihe vorteilhafter Eigenschaften aus. Die Porengröße dieser Materialien kann bei gleich bleibend enger Porenverteilung im weiten Bereich zwischen 1 und 1000 nm kontrolliert eingestellt werden. Sie weisen dabei in Abhängigkeit von der Porengröße spezifische Oberflächen bis über 400 m2/g und Porenvolumina bis 1.5 cm3/g auf. Herstellungsbedingt zeichnen sich poröse Gläser durch hohe mechanische, thermische und chemische Stabilitäten aus. Sie können als Monolithe mit sehr flexibler geometrischer Form und hoher Qualität hergestellt werden. Eine bisher von anderen porösen Materialien nicht erreichbare Eigenschaft stellt die Tatsache dar, dass bei diesen Monolithen nur die makroskopische Geometrie variiert wird. Abbildung 1 zeigt ein typisches Porensystem poröser Gläser. Die Oberflächeneigenschaften poröser Gläser werden wie bei anderen porösen Silikaten hauptsächlich durch Silanolgruppen bestimmt. Ihre Reaktivität ermöglicht vielfältige Ober flächenmodifizierungen bzw. funktiona lisierungen.

Monolithe mit maßgeschneiderten Porenstrukturen

Herstellungsbedingt sind poröse Gläser durch ein Hohlraumsystem mit enger Porenverteilung sowie einer dreidimensional ungeordneten Porenstruktur (Abb. 1) gekennzeichnet. Die Poren weisen keine Vorzugsorientierung auf. Eine einheitlich ausgerichtete Porenstruktur bringt wesentliche Vorteile mit sich. Die Stofftransporteigenschaften des Materials sowie die Zugänglichkeit der aktiven Zentren (nach einer Funktionalisierung) werden erheblich verbessert. Weiterhin ist eine Veränderung der optischen Eigenschaften (optische Anisotropie) zu erwarten. Poröse Glasmonolithe mit einer Vorzugs orientierung der Porenstruktur konnten durch die erstmalige Kombination der thermisch initiierten Phasenseparation in Alkaliborosilikatgläsern mit einem Reckprozess hergestellt werden [1]. Zu diesem Zweck wurde in Kooperation mit Industriep artnern eine spezielle Apparatur entwickelt, bestehend aus einem konventionellen Ofen und einer Reckvorrichtung. Erste Tests zeigen in den resultierenden Monolithen eine Vorzugsorientierung der Poren mit Durchmessern oberhalb von 100 nm (Abb. 2). Durch Variation der Prozessbedingungen (Temperatur, Zugkraft) wurden Monolithe mit unterschiedlichen Graden der Porenausrichtung erhalten. Weitere Möglichkeiten zur Ausrichtung von Poren bestehen in einer speziellen Glasverziehtechnologie von Glasrohrbündeln sowie der Gefriertrocknung.

Poröse Gläser mit hierarchisch strukturierten Porensystemen

Die „klassischen“ porösen Gläser zeichnen sich durch eine monomodale Porenstruktur (d. h. ein Porensystem mit Poren einer definierten Größe) aus. In katalytischen Anwendungen, aber auch anderen Bereichen wie z. B. Chromatografie und Medizin technik, werden jedoch häufig Materialien mit einem zusätzlichen Porensystem und somit einer resultierenden hierarchischen Porenstruktur verlangt. Hierarchisch strukturierte Materialien stehen seit etwa einem Jahrzehnt im besonderen Fokus wissenschaftlicher Arbeiten. Hierbei generieren Mikround Mesoporen eine hohe spezifische Oberfläche und wirken als „Funktionsporen“ in den entsprechenden Anwendungen. Zusätzliche Mesound Makro poren verbessern den Stofftransport im Material und erhöhen damit die Zugänglichkeit der aktiven Spezies in den Funktions poren.
Möglichkeiten zur Erzeugung eines zusätzlichen Makroporensystems in phasenseparierbaren Gläsern bestehen in der Verwendung von Füllstoffen bzw. Temp laten und einer anschließenden Versinterung. Beim so genannten Füllstoffprinzip wird Glaspulver mit einem Füllstoff definierter Korngröße unter Zusatz von Bindemitteln vermischt und zu einem Sinterrohling verpresst, gegossen oder anderweitig geformt und in einem weiteren Schritt zu einem kompakten, stabilen Monolithen versintert. Die Füllstoffe werden nach der Versinterung thermisch, chemisch bzw. chemisch/physikalisch entfernt. Im ein fachsten Fall nutzt man anorganische Salze als Füllstoff, die nach einer Sinterung mit Wasser ausgewaschen werden. In einem weiteren Schritt schließt sich nun der Prozess zur Herstellung der „klassischen“ porösen Gläser via Phasenseparation und Extraktion an [2]. Auf diese Weise wird nun ein zusätzliches Reaktionsporensystem in die Wände des Sinterglases eingebracht. Als Resultat ergeben sich zwei aufeinander aufbauende Porensysteme. Eine typische Porenverteilung solcher Materialien ist exemplarisch in Abbildung 3 dargestellt. Die Herstellung hierarchisch strukturierter Monolithe durch Sinterung erlaubt eine sehr flexible Formgebung (Abb. 3).
Eine weitere, aktuell in der Technik sehr weit verbreitete Methode besteht in der Verwendung von Polymerschäumen als Templat. Dieses Verfahren wird häufig zur Herstellung offenporiger Glaskeramikschäume angewandt. Hierbei werden u. a. offenporige Polyurethanschäume mit einer Glassuspension imprägniert, getrocknet und kalziniert. Zurück bleibt ein Glasgerüst, das die Struktur des ursprünglichen Templates aufweist (Abb. 4). Auch hier wird dann innerhalb der Glaswände durch eine thermisch initiierte Phasenseparation und Extraktion das typische Porensystem eines porösen Glases erzeugt.

Poröse Glasmembranen in der Sensorik

Die Kombination aus variabler geometrischer Form, optischer Transparenz und flexibel funktionalisierbarer Oberfläche eröffnet speziell porösen Glasmembranen vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Chemo- und Biosensorik. Kürzlich wurde ein neuartiger optischer Enzymsensor auf Basis von porösen Glasmembranen zum einfachen Nachweis von Pflanzenschutzmitteln (PSM) in Lebensmitteln vorgestellt [3]. Die Innovation des Konzeptes besteht dabei in der Kombination drei verschiedener makroporöser Glasmembranen mit 62, 74 und 96 nm Porendurchmesser. Eine entsprechend vorbereitete Lösung wird mithilfe eines Durchflusssystems in die Analytkammer transportiert. Ein geringer Überdruck lässt die Lösung zunächst durch die Poren einer porösen Glasmembran (74 nm Porendurchmesser) mit immobilisiertem Enzym strömen. Bei Abwesenheit von Pflanzenschutzmitteln wird das in niedrig konzentriertem Phosphatpuffer gelöste Acetylcholin durch das Enzym Acetylcholinesterase (AChE) in Essigsäure und Cholin gespalten. Dies führt zur Abnahme des pH-Wertes der Lösung. Bei Zusatz von PSM zum obigen Analyten wird die Enzymfunktion gehemmt, woraus durch die Bildung von weniger Essigsäure eine geringere Absenkung des pH-Wertes resultiert. Die pH-Wert-Änderung wird mit dem pH-Sensor, basierend auf einer porösen Glasmembran mit 62 nm Porendurchmesser, detektiert. Dabei tritt das Licht einerLichtemitterdiode LED (74 nm) durch die mit einem speziellen pH-Indikator beladene poröse Glasmembran, wird an dem Indikatorfarbstoff teilweise absorbiert und mittels Reflexionsschicht in Richtung der Fotodioden PD reflektiert. Deren Fotostrom bildet das Ausgangssignal des PSMEnzymsensors. Die optoelektronischen Bauelemente sind in einem miniaturisierten Bauteil (MORESTM) integriert. Eine dritte poröse Glasmembran mit 96 nm Porendurchmesser dient als optische Reflexionsschicht zwischen Enzym- und pH-Indikatormembran. Die Membranen werden zu einem Funktionsstack montiert und in den modularen Gesamtaufbau des Sensors integriert. Dies ermöglicht einen schnellen Austausch nach der Messung und eine externe Reaktivierung.

Poröse Gläser als Modellsystem für Diffusion und Reaktion

Die in-situ-Untersuchung von Diffusion und chemischer Reaktion an porösen Katalysatoren stellt eine große Herausforderung dar. Dazu kann beispielsweise die IR micro-imaging- Technik eingesetzt werden. Sie ermöglicht die Aufzeichnung von orts- und zeitaufgelösten IR- Spektren. Mikroporöse Glasmembranen stellen in diesem Zusammenhang ein nahezu ideales Modellsystem dar [4]. Zur Messung wurden poröse Glasmembranen mit einem durchschnittlichen Porendurchmesser von 2 nm oberflächlich mit Perhydropolysilazan versiegelt, um den Durchfluss entsprechender Komponenten nur in einer Richtung zu erlauben. Als Beispiel wurde die Diffusion von Cyclohexan im Porensystem der Membranen gewählt. Abbildung 5 zeigt die Diffusionsfronten von Cyclohexan in einer beschichteten porösen Glasmembran in Abhängigkeit von der Zeit. Aktuelle Arbeiten beschäftigen sich mit der direkten Untersuchung chemischer Reaktionen an diesem System. Dabei dient eine poröse Glasmembran nach Modifizierung mit einer Aktivkomponente (Metallnanopartikel) direkt als heterogener Katalysator. Mit der IR micro- Imaging-Technik sind somit erstmals orts- und zeitaufgelöste Darstellungen von Diffusionsprofilen und Reaktionsverläufen möglich.

Nanoconfinement

Aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften stellen poröse Gläser auch ein nahezu ideales Wirtssystem zur Untersuchung von Confinement-Effekten dar. Einen Ansatzpunkt bildet dabei die Beeinflussung des kristallinen Zustandes polymorpher Substanzen. Man nutzt dabei aus, dass viele Substanzen in einer nanoporösen Umgebung völlig andere Eigenschaften als in der Bulk-Phase zeigen wie z. B. Reaktivität, Schmelzpunkt und die Kristallmodifikation. Dies kann man sich zu Nutze machen, um beispielsweise die Eigenschaften von Pharmazeutika zu verbessern.
In diesem Zusammenhang wurde u.a. das Schmelz- und Kristallisationsverhalten von Acetaminophen (Paracetamol) in porösen Glasmembranen mit unterschiedlichen Porendurchmessern untersucht [5]. Dabei wurde nachgewiesen, dass in Abhängigkeit von den Abkühlbedingungen drei verschiedene Modifikationen von Acetaminophen erhalten werden können, wobei eine der Modifikationen im Bulk nicht reproduzierbar darstellbar ist. Für die Untersuchungen wurde Acetaminophen in die Membranen infiltriert und dann kontrolliert abgekühlt. Über DSC-Messungen konnte in Abhängigkeit des Porendurchmessers eine Verschiebung des Schmelzpunktes (charakteristischer Peak in der DSC-Kurve) der thermodynamisch stabilen, monoklinen Form beobachtet werden. In großen Poren (103 nm) unterscheidet sich diese Verschiebung nur geringfügig vom Schmelzpunkt der Bulk-Phase (Abb. 6 A). Wird die Schmelze schlagartig abgekühlt und isotherm bei 80 °C kristallisiert, kommt es zur Bildung einer weiteren Phase, die Form III des Acetaminophens, die nur in einer nanoporösen Umgebung existent ist und sich in ihren Eigenschaften wie z.B. dem Schmelzpunkt deutlich von der monoklinen Form unterscheidet (Abb. 6 B). Derartige Untersuchungen sind beispielsweise für das Design neuer Drug Delivery- Systeme von großer Bedeutung. Monolithe auf der Basis poröser Gläser werden derzeit auch in weiteren innovativen Anwendungsgebieten wie der Energie- und Informationsspeicherung sowie der Membrantechnologie getestet.

Literatur

[1] A. Barascu, J. Kullmann, B. Reinhardt, T. Rainer, H. Roggendorf, M. Dubiel, D. Enke, Journal Amer. Ceram. Soc., 2012, eingereicht und akzeptiert.
[2] B. Reinhardt, D. Enke, F. Syrowatka, Journal Amer. Ceram. Soc. 95 (2), 2012, 461
[3] W. Fichtner, M. Berthold, R. Müller, H. Kaden, D. Enke, D. Jakob, T. Hahn, in: Dresdner Beiträge zur Sensorik, Band 24, G. Gerlach, H. Kaden (Herausgeber), 7. Dresdner Sensor-Symposium, „Neue Herausforderungen und Anwendungen in der Sensortechnik“, TUDpress, 2005, 279.
[4] J. Kullmann, T. Titze, C. Chmelik, J. Kärger, D. Enke,L. Prager, Colloids and Surfaces A, 2012, eingereicht.
[5] M. Beiner, G.T. Rengajaran, S. Pankai, D. Enke,M. Steinhard, Nano Letters 7, 2007, 1381.

Foto: © Prof. Dr. Dirk Enke

L&M 7 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 7 / 2012.
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