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Schnee und Eis

Faszinierende filigrane Gebilde

Wenn an kalten Wintertagen Schneeflocken vom Himmel zu taumeln beginnen und dichtes Schneetreiben die Landschaft allmählich in eine weiße Decke hüllt, ergreift viele beim Anblick der niederfallenden Pracht ein fast kindliches Glücksgefühl. Ich gestehe, auch zu dieser Sorte Mensch zu gehören und weiß mich dabei in guter Gesellschaft.

Albertus Magnus war nicht nur von diesem Phänomen begeistert, sondern dachte auch darüber nach, warum Schneekristalle immer sechseckige Formen ausbilden. Johannes Kepplerverfasste eine Abhandlung „Vom sechseckigen Schnee“, außerdem ist von ihm ein Brief erhalten, den er zum Neujahr seinem Mentor Johan Matthäus Wacker von Wackenfeld schrieb, wobei er das lateinische „nix“ für Schnee und das deutsche „nichts“ als Wortspiel nutzte: Ja, ich weiß es, gerade Du liebst das Nichts, gewiss nicht wegen seines geringen Wertes, vielmehr des witzigen und anmutigen Spiels halber ,das man wie ein munterer Spatz damit treiben kann. So bilde ich mir leicht ein, eine Gabe müsse Dir umso lieber und willkommener sein, je mehr sie dem Nichts nahe kommt...Wie ich so grübelnd und sorgenvoll über die Brücke gehe und mich über meine Armseligkeit ärgere und darüber, zu Dir ohne Neujahrsgabe zu kommen, da fügt es der Zufall, dass durch die heftige Kälte sich der Wasserdampf zu Schneeverdichtet und vereinzelte kleine Flocken aufmeinen Rock fallen, alle sechseckig und mit gefiederten Strahlen. Ei, beim Herakles, das ist ja ein Ding, kleiner als ein Tropfen, dazu von regelmäßiger Gestalt. Ei, das ist eine höchst erwünschte Neujahrsgabe für einen Freund des Nichts! Und auch passend als Geschenk eines Mathematikers, der Nichts hat und Nichts kriegt, so wie es da vom Himmel herabkommt und den Sternen ähnlich ist! Nur rasch die Gabe meinem Gönner überliefert ,solange sie dauert und nicht durch die Körperwärme sich in Nichts verflüchtigt!

Plättchen und Säulen

Schneekristalle bilden sich in Wolken in Anwesenheit von Aerosolteilchen direkt aus Wasserdampf bei Temperaturen von mindestens – 12 °C bis – 50 °C. Damit Wolkentröpfchen bei Temperaturen über – 40 °C zu Eis kristallisieren können, sind ebenfalls Keime in den Tröpfchen notwendig. Die zunächst winzigen Eiskristalle wachsen aufgrund der Dampfdruckunterschiede zwischen unterkühltem Wasser und Eis als hexagonale Prismen – ähnlich der Form eines Bleistifts – zu mikrometer bis millimetergroßen Plättchen und Säulen heran. Das weitere Kristallwachstum und die Form der Kristalle hängen vor allem von der Umgebungstemperatur und der Luftfeuchtigkeit ab. Bei Temperaturen von – 2 °C und – 15 °C bilden sich bevorzugt Plättchen, bei – 5 °C bevorzugt Stäbchen und bei noch niedrigeren Temperaturen Gemische aus beiden Strukturen.

Schneesterne

Für die Ausbildung der hexagonalen, sternförmigen Verzweigungen sind vor allem die Luftfeuchtigkeit, aber auch die Verweildauer der Kristalle in der Atmosphäre verantwortlich. Einfachere Strukturen bilden sich bei geringer Luftfeuchtigkeit aus, hohes Skelettwachstum wird in feuchter Luft beobachtet. Schließlich können Schneeflocken während ihrer Verweildauer in der Luft teilweise schmelzen und erneut kristallisieren. So erklärt sich die verblüffende Vielfalt dieser filigranen Gebilde. Verbinden sich mehrere Eiskristalle lose miteinander, so spricht man von Schneeflocken. Für das Phänomen des völlig symmetrischen Aufbaus der sechs Äste eines Schneesternswerden zurzeit zwei Theorien gehandelt. Die erste erklärt das Wachstum über die Instabilität der Grenzflächen. Ausgehend vom stabilen Prisma wächst der Kristall bereits bei leichten Änderungen der direkten Umgebung. Außerdem wird dabei Kristallisationswärme frei, die das Wachstum an den Nachbarflächen vermindert. Die Folge davon ist das Wachstum von Ästen mit feinen Verzweigungen. Nach der zweiten Theorie führen thermische und akustische Schwingungen zustehenden Wellen, an deren Maxima die Konzentration von Wasserdampf am größten ist. Dort bilden sich bevorzugt Verzweigungen. Über Resonanzeffekte erfolgt dann das gleichmäßige Wachstum an den Grenzflächen des Kristalls.

Molekularer Aufbau

Im Eiskristall ist jedes Wassermolekül von vier anderen tetraedrisch umgeben, gleichzeitig bilden sechs Wassermoleküle über Wasserstoffbrückenbindungen(WB) einen Sechsring, der wiederum Teil zu zwei benachbarten Ringen ist. Auf diese Weise entsteht unter natürlichen Bedingungen ein hexagonal geordneter Kristall der Raumgruppe Ih. Eis Ih besitzt wegen seiner hexagonalen Gitterstruktur große Hohlräume und daher eine niedrige Dichte, ist aber nur in einem relativ kleinen Druck und Temperaturbereichstabil. Eis Ih ist häufig in unserer Umwelt vertreten und bildet sich durch Ausfrieren von Wasser unter normalen atmosphärischen Bedingungen. Untersuchungen an ultrakaltem Wasser geben Auskunft über die in den winzigen Tropfen vorliegenden Wasseraggregate und liefern damit Basisinformationen über die in der Atmosphäre ablaufenden Kondensations und Kristallisationsvorgänge. Kleinste Aggregate von Wasser werden in einer Gasphase erzeugt, in dem man wenig Wasser in einem Überschuss von Helium in ein Hochvakuum expandieren lässt. Die isolierten ultra kalten Aggregate können dann spektroskopisch untersucht werden. Auf diese Weise konnten Wassercluster (H2O)n mitn = 2 – 10 identifiziert werden. Bei n = 2 – 6 liegen Ringe vor, wobei die maximal mögliche Zahl von WB ausgebildet wird. Je nach Versuchsanordnung liegt beim Wasser Hexamer eine Käfigstruktur oder die fast planare Ringstruktur vor (K.Liu et al., Nature 1996, 381, 501; K. Nauta et al.,Science 2000, 387, 293). Aufgrund seiner geringen Nullpunktsenergie erweist sich der Käfig bei niedriger Temperatur als die stabilste Struktur, bei Erwärmung dagegen die sog. Buchund Prismastruktur. (H2O)8 mit acht unvollständig koordinierten Wassermolekülen an den Kanten besitzt die Form eines Würfels, und beim Nonamer und Decamer sind die Kanten des Würfels durch ein bzw. zwei Wassermoleküle erweitert. Untersuchungen an Eis Nanokristallen zeigen, dass würfelartige Strukturen wie die Cluster mitn = 7 – 10 als Untereinheiten eine Rolle spielen

Vibrationen vom Eis

Allen bekannten Eiskristallstrukturen gemeinsam ist die tetraedrische Koordination von 4 Wassermolekülen über WB um ein zentrales Wassermolekül. Die Bindungsstärke der WB liegt mit einer Bindungsenergie von E~20kJ/mol zwischen der van der Waals Wechselwirkung (E~1kJ/mol) und der kovalenten Bindung (E~400kJ/mol).Die an dem Aufbau dieses Wasserpentamers beteiligten Wassermoleküle lassen sich in sechs verschiedenen Permutationen konfigurieren, in denen das Wassermolekül Protonen sowohl „ab geben“ als auch „akzeptieren“ kann. Jede dieser Konfigurationen ist gleichberechtigt. Deshalb können Anordnungen auftreten, in denen die Wassermoleküle bezüglich der Orientierung der WB völlig geordnet, völlig ungeordnet oder partiell geordnet/ungeordnet vorliegen.
Zwischen jedem Sauerstoffpaar befindet sich ein Wassermolekül, das die beiden Sauerstoffe über eine WB bindet. Jedes Sauerstoffatom bindet zwei Wasserstoffatome an sich und ist mit zwei weiteren Wasserstoffatomen über eine WB verbunden. Beispiel für eine völlig ungeordnete, statistisch verteilte Konfiguration der Protonen ist Eis Ih (Abb. 2). Die Wassermoleküle sind dabei über die asymmetrische Anordnung der Protonen in WB gebunden. Die ungeordnete Konfiguration finden wir praktisch bei allen bisher beschriebenen Eismodifikationen mit Ausnahme von Eis II und Eis XII.
Neben Eis Ih existiert bei tieferen Temperaturen eine weitere, kubische Modifikation Ic (Abb. 3) mit ungeordneten Protonen, die bei Normaldruck metastabil bezüglich der hexagonalen Form ist. Ihre Dichte entspricht der von Ih.
Bisher gab es lediglich Hinweise, dass Eis Ic auch in der Atmosphäre vorkommt .Andererseits konnte unter Laborbedingungen gezeigt werden, dass sich bei homogener Keimbildung in wässrigen Lösungströpfchenkubisches Eis Ic bildet und sein Dampfdruck bei 180 –190 K etwa10 % höher ist als der von hexagonalem Eis (J. E. Shilling et al.; Geophys. Res.Lett. 2006, 33, L17801). Mit diesen Datenlassen sich die kürzlich in Zirruswolkengemessenen, unerwartet hohen Dampfdrücke erklären. Noch ist nicht geklärt, auf welchem Wege und wie schnell sich in einer Eiswolke kubisches in hexagonales Eis umwandelt. Die thermodynamischen und kinetischen Parameter dürften aber von enormer Bedeutung für die Wolkenforschung sein und wohl auch in Klimamodelle eingehen. Eis Ic könnte auch das Auftreten von Halo-Erscheinung erklären. Zu den bemerkenswertesten überlieferten Halophänomenen gehört das „Römische Phänomen“ vom 20. März 1629, das uns vom Jesuitenpater Christoph Scheiner (1573 –1650) aus Rom überliefert ist. Halos entstehen durch Lichtreflexionen an Eiskristallen in der Atmosphäre und zeigen charakteristische Ablenkwinkel, aus denen man auf Art und Orientierung der Kristalle in der Atmosphäre schließen kann. Der Ablenkwinkel von 28° in Bezug auf die Sonne kann mit oktaedrischen Eis Ic-Kristallen erklärt werden, deren Auftreten in der Atmosphäre bisher als unwahrscheinlich galt.

Eis unter Druck

Wird hexagonales kristallines Eis Ih bei tiefen Temperaturen höheren Drücken ausgesetzt, entstehen neue Phasen (Abb.4), die danach auch bei Normaldruck(meta)stabil bleiben, solange die Temperatur hinreichend niedrig ist. Die Strukturenunterscheiden sich in der Konnektivität der Ringe und in der Position der Wasserstoffatome in den H-Brücken. Derzeit sind außer den bei Normaldruckexistierenden Phasen Ih und Ic die elf Eisphasen Eis II-XI sowie XII bekannt. Außerdem wurde über zwei amorphe Wasserstrukturen berichtet: amorphes Eisniedriger und hoher Dichte.
Alle Eisphasen II – XII besitzen höhere Dichten (1,17 – 1,31) und meist ungeordnete oder teilweise ungeordnete Protonenstrukturen. Nur bei Eis II, das rhombisch kristallisiert, wurde eine völlig geordnete Protonenstruktur gefunden. Eis V besitzt eine Dichte von 1,23 und zeigt eine sehr komplexe Struktur mitstark verzerrten Tetraedern. Die Elementarzelle enthält 28 Wassermoleküle,die in Anordnungen zwischen vier und acht Wassermolekülen besetzt sind. Für die Protonen wurde eine mittieferen Temperaturen zunehmende Ordnung festgestellt, die aber nicht vollständig erreicht wird. Für Eis VI wurde eine Struktur beschrieben, bei der zwei gleichartige Gitter um je eine halbe Gitterkonstante gegeneinander verschoben sind. Eis VII ist selbst oberhalb des Siedpunkts von 100 °C noch kristallin. Das „heiße“ Eis existiert bei extrem hohen Drücken von 1 GPa und kann nur im Labor hergestellt werden. Im Eis VIII mit einer Dichte von 1,31 durchdringen sich zwei Netzwerke, von denen jedes einzelne dem von Eis Ic entspricht .Bis vor wenigen Jahren waren nur Eisstrukturen bekannt, in denen intakte Wassermoleküle über die asymmetrische Anordnung des Protons in der WB gebunden sind. Seit langem wird vermutet, dass sich diese Asymmetrie unter sehr hohen Drücken verringert und im Grenzfall eine symmetrische Anordnung des Wasserstoffatoms zwischen den Sauerstoffatomen auftritt. Dies ist auch tatsächlich der Fall: Setzt man Eis VIII einem Druck von etwa 60 GPa aus, erhält man Eis X mit einander sich durchdringenden Diamantgittern. Hier kann man nicht mehr zwischen intramolekularen OH Bindungen und intermolekularen WB unterscheiden, denn alle OH Bindungen sind gleich lang. Bei den O…H…O Brücken handelt es sich damit um elektronenreiche Dreizentrenbindungen, die ursprüngliche, molekulare Struktur ist damit völlig aufgehoben(Chemie unter höchsten Drücken: eine Herausforderung für die chemische Intuition. W. Grochala etal., Angew. Chem. 2007, 119, 36943717).Der derzeitige, aktuelle Forschungsfokus ist auf die amorphen, glasartigen Wassermodifikationen gerichtet(R. Ludwig, Angew. Chem. 2006, 118, 3480 –3483). Glasartiges Wasser kann unterhalb der sog. GlasübergangstemperaturTg=136 K vorliegen. Obwohl es sich um Festkörper handelt, erweisen sich die Strukturen als ungeordnete, flüssigkeitsähnliche Gebilde. Bisher wurden zwei amorphe Eisphasen gefunden, das niedrigdichte amorphe Eis (LDA, lowdensityamorphousice) und das hochdichte amorphe Eis (HDA,highdensityamorphous ice). Erwärmt man LDA und HDA, gehen beide in hochviskose, unter kühlte Flüssigkeiten über, die als niedrigdichte (LDL, lowdensityliquid)und hochdichte Flüssigkeiten (HDL, highdensityliquid) bezeichnet werden. Unterkühlte Wassertröpfchenbilden sich auch in Schicht und Kumuluswolken und spielen für den Strahlungshaushalt der Erdatmosphäre eine bedeutende Rolle.

Foto: © Dr. Gerhard Schilling

L&M 1 / 2008

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2008.
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