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Brom als Ozonkiller

Spuren(gas)suche in der Stratosphäre

Chlor kennen wir alle als den Schuldigen bei der Zerstörung der Ozonschicht, die in Höhen von 20 bis 30 km das Schutzschild gegen die UV-Strahlung der Sonne darstellt. Weniger bekannt ist allerdings, dass es daneben noch einen weiteren Mittäter gibt: Brom. Im Sommer 2008 gelang es zum ersten Mal überhaupt den spektralen Fingerabdruck von Bromnitrat in der Stratosphäre nachzuweisen [1].

Ozonzerstörendes Potenzial von Bromverbindungen

Bromverbindungen spielen in der Stratosphäre eine bedeutende Rolle beim Abbau von Ozon, obwohl sie in diesen Höhen ungefähr 150 mal niedriger konzentriert sind als Chlor. Brom hat aber ein etwa 60 mal höheres Ozonzerstörungspotenzial als Chlor, unter anderem deshalb, da sich Bromnitrat im Sonnenlicht deutlich schneller aufspaltet als Chlornitrat. Bromnitrat und Chlornitrat werden als Reservoirsubstanzen bezeichnet, da sie nicht direkt an den ozonabbauenden Zyklen beteiligt sind. Erst nach ihrer Aufspaltung wird das Brom als Bromoxid bzw. das Chlor als Chloroxid in der Ozonzerstörung „aktiv“. Da die Konzentrationen von Chlor und Brom in der Atmosphäre aufgrund von internationalen Protokollen zurückgehen werden, wird die Gesamtbelastung der Ozonschicht abnehmen. Durch seine natürlichen Quellen wird dann Brom relativ zu Chlor an Bedeutung gewinnen. Größere Emissionen von Brom durch die ansteigenden Temperaturen am Erdboden infolge des Klimawandels könnten diesen Effekt noch verstärken.

Spuren(gas)suche

Schon vor 20 Jahren waren nahezu alle Substanzen, von denen man annahm, dass sie an den Ozonabbauzyklen wesentlich beteiligt sind, in der Stratosphäre nachgewiesen. Die verwendeten experimentellen Methoden waren meist spektroskopische Fernerkundungsmessungen, sei es durch Absorption von Sonnenstrahlung im ultravioletten, sichtbaren oder infraroten Spektralbereich oder durch Analyse der von der Atmosphäre direkt ausgesandten Infrarot- bzw. Mikrowellenstrahlung. So konnte Chlornitrat schon 1979 mittels eines Infrarot-Fouriertransformspektrometers von einem Stratosphärenballon aus detektiert werden. Bromoxid wurde zehn Jahre später im ultravioletten Spektrum vom Boden aus entdeckt. Bromnitrat allerdings, das in vergleichbaren Konzentrationen wie Bromoxid nur während der Nacht existieren sollte, widersetzte sich standhaft seiner Ergreifung. So dauerte es noch knapp 20 Jahre bis das Spurengas im Sommer 2008 endlich dingfest gemacht werden konnte und zwar mit Messdaten des

Fernerkundungsgeräts MIPAS (Michelson Interferometer zur Passiven Atmosphärischen Sondierung), das auf dem europäischen Umweltforschungssatelliten Envisat die Erde umkreist (Abb.1). MIPAS analysiert mit einer zuvor unerreichten spektralen Auflösung die von der Atmosphäre aufgrund ihrer Temperatur emittierte infrarote Strahlung. Dies erlaubt Messungen unabhängig vom Sonnenstand, also auch während der Nacht, in der sich Bromnitrat hauptsächlich zu verbergen versucht. Die Messgeometrie der Horizontsondierung war ein wichtiger Faktor bei der Entdeckung. Hierbei misst man, nicht wie sonst bei meteorologischen Satelliten üblich quasi senkrecht nach unten zur Erdoberfläche hin (in „Nadirgeometrie“), sondern tangential durch die Atmosphäre hindurch. Dies führt zu wesentlich längeren optischen Wegen und damit zu einer deutlich höheren Empfindlichkeit.

Der Nachweis

Trotzdem reichte eine Einzelmessung von MIPAS nicht zum eindeutigen Nachweis von Bromnitrat aus. Um das Signal-zu- Rausch-Verhältnis weiter zu erhöhen, wurden daher mehr als Tausend Spektren über einen ganzen Monat hinweg in verschiedenen geographischen Breitenbändern gemittelt. Trotzdem ließ sich das Gas nicht so ohne weiteres aufspüren: Es versteckt sich in einem „Wald“ aus Spektrallinien anderer Gase, nicht zuletzt des Treibhausgases Kohlendioxid, die seine eigene Größe um das 300-fache übertreffen. Um den Fingerabdruck von Bromnitrat trotzdem nachweisen zu können, mussten daher erst die Signaturen von 13 anderen „Störgasen“ im gleichen Spektralbereich durch detaillierte Strahlungsübertragungsrechnungen angepasst werden. Aus der Differenz zwischen solchen Rechnungen unter Einschluss von Bromnitrat und solchen, bei denen Bromnitrat nicht berücksichtigt wurden, konnte letztendlich der Nachweis seiner Existenz erbracht werden. Dies war der erste wichtige Schritt hin zu einer vollständigen Charakterisierung von Bromnitrat in der Stratosphäre. In dessen Folge konnte auch die Verteilung des Spurengases in Abhängigkeit von der Höhe in der Atmosphäre und der geographischen Breite ermittelt werden. Dies gelang nicht nur für Messungen der erhöhten Konzentrationen während der Dunkelheit, sondern auch bei Tageslicht - allerdings wurde hier oberhalb von ca. 30 km Höhe die Nachweisgrenze unterschritten.

Indizien und Beweise zur Überprüfung von Modellen

Diese abgeleiteten Verteilungen erlauben es erstmals die angenommenen photochemischen Prozesse zu testen, die zur Bildung und dem Abbau von Bromnitrat in der Stratosphäre führen. Hierzu wurde auf Grundlage von Bromoxid-Messungen durch das sich ebenfalls auf Envisat befindende Instrument SCIAMACHY theoretische Konzentrationen von Bromnitrat abgeleitet und mit unseren Beobachtungen verglichen. Daraus ergab sich im Wesentlichen eine Bestätigung der grundlegenden chemischen Reaktionen. Verbleibende Differenzen zwischen Messung und Modellrechnung könnten auf Defizite im Modell hinweisen. Es ist deshalb nötig, die Messungen zu optimieren und eine größere Datenbasis zu erzeugen. Eine weitere Anwendung der Bromnitratmessungen besteht in der Möglichkeit, die Gesamtmenge an Brom in der Stratosphäre zu quantifizieren. Dies ist eine wichtige Voraussetzung zum vollständigen Verständnis der Quellen von Brom. Neuere Messungen deuten darauf hin, dass langlebige organische Bromverbindungen, die in der Troposphäre auf natürliche Weise oder durch den Menschen emittiert und durch Transport in die obere Atmosphäre gelangen, nicht ausreichend sind, um den stratosphärischen Bromgehalt zu erklären. Zusätzliche Quellen, wie kurzlebige organische Substanzen bzw. der direkte Eintrag von anorganischen Verbindungen in die Stratosphäre sind mögliche Erklärungen. Die neuen MIPAS-Messungen werden dazu beitragen, diese Fragen zu klären und damit Modelle zur Vorhersage der zukünftigen Entwicklung der Ozonschicht und deren Kopplung mit der Veränderung des Klimas auf der Erde zu optimieren.

Fotos: © Dr. Michael Höpfner

L&M 2 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2009.
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