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Bakterielle Infektion auf Rezept

Wie pathogene Bakterien im Kampf gegen Krebs zu nützlichen Helfern werden können

Einen Patienten mit einem soliden Tumor absichtlich mit Bakterien infizieren?
Klingt verrückt, könnte aber möglicherweise in Zukunft als eine alternative Therapie bei Krebspatienten zum Einsatz kommen. Grundlage dafür ist die Eigenschaft verschiedener Bakterien, nach einer systemischen Infektion selbstständig zum Tumor zu gelangen, sich darin anzusiedeln und zu vermehren. Teilweise führt alleine diese Kolonisierung zu einem Wachstumsstopp oder gar zum Rückgang des Tumors. Unabhängig davon könnten solche Bakterien als Shuttle für Krebstherapeutika verwendet werden.

Auf den ersten Blick wirkt die Idee durchaus etwas absurd, Krebs mithilfe einer Bakterieninfektion zu heilen. Sie geht jedoch zurück auf eine Beobachtung, die bereits Anfang des 19. Jahrhunderts gemacht wurde. Spontane Rückgänge von Krebsgeschwüren wurden und werden immer wieder beobachtet. Vaultier erkannte allerdings, dass es einen Zusammenhang zwischen manchen „Spontanheilungen“ und der Tatsache gab, dass diese Patienten an Gasgangrän litten [1].
Was er allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte: Die Infektion wird vom Bakterium Clostridium perfringens ausgelöst, das offensichtlich für den Rückgang der Tumore verantwortlich war. Es war der deutsche Arzt Busch, der 1868 als vermutlich Erster bei einer Krebspatientin eine Infektion absichtlich herbeiführte, um diese von ihrem Tumor zu befreien. Nachdem er ihr inoperables Sarkom zuerst ausgebrannt hatte, legte er sie in ein Bett, das zuvor von einem Patienten benutzt worden war, der an Wundrose (Streptococcus pyogenes) litt. Der Erfolg war leider nur von kurzer Dauer. Zwar bildete sich der Tumor wie erhofft zurück, aber die Patientin starb neun Tage später an den Folgen der Infektion. Weitere Mediziner versuchten sich an dieser Therapiemöglichkeit, unter anderem der amerikanische Arzt Coley. Das von ihm entwickelte „Coley‘s toxin“, eine Mischung aus inaktivierten Streptokokken und Serratia marcescens, ist den Medizinern auch heute noch ein Begriff. Doch auch hier sind die Patienten häufig an den Nebenwirkungen der Behandlung gestorben. Solche Komplikationen waren zur damaligen Zeit aufgrund fehlender Kenntnisse schlichtweg nicht beherrschbar. Sie waren auch der Grund, warum dieser Ansatz nur sporadisch weiterverfolgt wurde und der große Durchbruch ausblieb.

Viele Bakterien können Tumore kolonisieren

In der Zwischenzeit wissen wir wesentlich mehr über Bakterien, das Immunsystem und über zu Grunde liegende molekulare Mechanismen der Wirt-Pathogen-Wechselwirkung. Jetzt sollte es möglich sein, die ursprünglichen Probleme der bakteriellen Infektion zu kontrollieren. Entsprechend wird seit einigen Jahren wieder intensiv an der bakterienvermittelten Krebstherapie geforscht und für viele verschiedene Keime konnte gezeigt werden, dass sie nach systemischer Verabreichung selbstständig in Tumore einwandern und sich dort vermehren. Teilweise führt die Besiedelung dazu, dass der Tumor sein Wachstum einschränkt oder zurückgedrängt wird. Dies gilt für obligat anaerobe Bakterien wie Clostridien oder Bifidobakterien, aber auch für fakultativ anaerobe wie Salmonellen oder E. coli. Die Betonung der Lebensweise ist deshalb relevant, weil die meisten größeren Tumore Regionen aufweisen, die schlecht mit Blut versorgt werden und in denen deshalb ein niedriger Sauerstoffpartialdruck herrscht. Dort sterben die Tumorzellen ab und es bilden sich Nekrosen.
Obligat anaerobe und fakultativ anaerobe Bakterien finden dort aber optimale Wachstumsbedingungen und sind weitgehend vor dem Immunsystem geschützt. Für die Verwendung von Clostridien zur Krebstherapie bedeutet dies auch einen entscheidenden Anreicherungsfaktor. Dabei werden die Bakterien nicht in ihrer vegetativen Form, sondern als Sporen verabreicht. Diese benötigen, um keimen zu können, anaerobe Bedingungen, wie sie im Körper nur in einem nekrotischen Tumor zu finden sind. Durch die Kombination von einem in Liposomen eingeschlossenen Chemotherapeutikum und speziell selektionierten Clostridien, die eine Liposomase sekretierten, konnte das Therapeutikum direkt und ausschließlich im Tumor freigesetzt werden. Mit dieser Kombinationstherapie konnten bisher im Maussystem spektakuläre Erfolge erzielt werden [2]. Allerdings bedeutet die Beschränkung der Clostridien auf nekrotische Tumorbereiche auch eine Einschränkung der Effektivität der Behandlung. Nicht besiedelte Tumorbereiche können häufig weiterwachsen. Hingegen können sich fakultativ anaerobe Bakterien wie Salmonellen grundsätzlich über das komplette Tumorgewebe ausbreiten. Dies könnte einen entscheidenden Vorteil für die Verwendung derartiger Bakterien darstellen.

Die Herausforderung einer sicheren bakterienvermittelten Tumortherapie

Für eine klinische Anwendung spielt zunächst einmal die Sicherheit des Therapieansatzes eine entscheidende Rolle. Deshalb ist die Abschwächung der bakteriellen Pathogenität durch entsprechende Mutationen esnziell. Ein Beispiel für eine solche Mutante, ist der häufig verwendete S. typhimurium Sicherheitsstamm VNP20009, mit dem bereits zwei klinische Studien durchgeführt wurden, allerdings mit geringem Erfolg. Die Tumore der Patienten wurden kaum oder gar nicht kolonisiert [3,4]. Bei VNP20009 ist das Lipopolysaccharid in der Außenmembran verkürzt. Dies führt nach einer Infektion im Vergleich zum Wildtypstamm zu einer dramatisch verringerten Ausschüttung des Zytokins TNF und somit zu einer wesentlichen Reduktion der Gefahr eines toxischen Schocks. Wir konnten in der Zwischenzeit jedoch zeigen, dass TNF eine maßgebliche Rolle bei der Besiedelung des Tumors spielt [5]. Somit ist nun die offensichtliche Herausforderung, ein Bakterium zu konstruieren, das ausreichend pathogen ist, um erfolgreich Tumore zu besiedeln und zu bekämpfen, dabei aber möglichst geringe toxische Nebenwirkungen auslöst.

Gezielte Expression von therapeutischen Stoffen – Bakterien als Transporter

Mit wenigen Ausnahmen reicht die Besiedelung von Tumoren mit abgeschwächten Bakterien nicht aus, um den Tumor komplett zu entfernen. Die Mikroorganismen können aber als Transporter für therapeutisch wirksame Stoffe verwendet werden. Solche Moleküle könnten zum Beispiel bakterielle Toxine oder „pro-drug converting enzymes“ sein, die Vorstufen in toxische Substanzen umwandeln, aber auch Zytokine. Um zu verhindern, dass diese Moleküle nicht bereits auf dem Weg der Bakterien zum Tumor oder in gesunden Organen Schaden anrichten, ist es wichtig, die Expression dieser Moleküle auf das Tumorgewebe zu beschränken. Dazu können bakterielle Promotoren genutzt werden, die Genexpression ausschließlich im Tumorgewebe gewährleisten. Zur Definition derartiger Promotoren haben wir zwei komplementäre Methoden verwendet. Einerseits wurde eine so genannte „promotor-traplibrary“ untersucht. Sie besteht aus transformierten Salmonellen, die Expressionsplasmide besitzen, auf denen zufällige Stücke des Salmonellengenoms einen GFP-Reporter kontrollieren. Werden tumortragende Mäuse mit derartigen Bakterien infiziert, können durch mehrere positive und negative Selektionsschritte Transformanten heraussortiert werden, die den GFP–Reporter ausschließlich im Tumor exprimieren. Sequenzieren der Plasmide führte bisher zur Definition von 14 regulatorischen Genomsequenzen, die eine tumorspezifische Genexpression ermöglichen (Abb. 2).
Im zweiten Ansatz haben wir das Transkriptom von tumorbesiedelnden Salmonellen mit dem Transkriptom von Salmonellen verglichen, die die Milz besiedelt hatten (Abb. 1). Daneben wurden auch verschiedene In-vitro-Bedingungen in die Analysen einbezogen. Mit diesem Ansatz konnten wir verschiedene Gene definieren, deren Expression auf den Tumor beschränkt war und deren Promotoren nun weiter charakterisiert werden. Einige dieser Gene hatten wir bereits mithilfe der „promotortrap-library“ gefunden. Darüber hinaus wurden aber weitere sehr hochexprimierte tumorspezifische Gene detektiert. Möglicherweise war die metabolische Belastung der tumorspezifischen Expression für die entsprechenden Transformanten der Bibliothek zu hoch, sodass sie die Plasmide verloren haben. Dies zeigt auch die Notwendigkeit des komplementären Ansatzes.
Ursprünglich hatten wir erwartet, dass wir ausschließlich Gene bzw. Promotoren finden würden, die für das anaerobe Wachstum und Überleben der Bakterien im Tumor notwendig sind. Dies war aber nicht der Fall. Zwar fanden wir tatsächlich solche Elemente, darüber hinaus aber auch Gene und Promotoren, die beispielsweise im Aminosäuremetabolismus eine Rolle spielen. Somit hilft der von uns verwendete Ansatz nicht nur die Tumortherapie mit rekombinanten Bakterien spezifischer zu machen, sondern wir lernen dabei auch viel über die Physiologie der Bakterien und ihre Anpassungsfähigkeit an verschiedene Wachstums- und Umweltbedingungen. Dies wird schlussendlich entscheidende Hinweise liefern für maßgeschneiderte, sichere, therapeutisch effiziente Bakterien. Die identifizierten Kontrollelemente werden es erlauben, auch hoch toxische, therapeutische Moleküle zu verwenden und effizient im Tumor zu exprimieren. Somit ist mit unserer Arbeit ein wichtiger Schritt gelungen, die bakterienvermittelte Krebstherapie tatsächlich weiter in die Nähe der Anwendung zu bringen.

sara.leschner@helmholtz-hzi.de
kathrin.wolf@helmholtz-hzi.de
siegfried.weiss@helmholtz-hzi.de

Abb. 1: Schematische Darstellung der Genexpressionsanalyse. Normale und tumortragende Mäuse werden intravenös mit Salmonellen infiziert.
Dem Schema entsprechend wird von Gewebeproben die bakterielle RNA für die Expressionsanalyse isoliert und weiterverarbeitet. Die tumorspezifische
Expression der Gene wird durch qPCR bestätigt.

Abb. 2: Tumorspezifische Expression. Durchflusszytometrische Analyse von Tumor-, Milzund Lebergewebe einer Maus, die zuvor mit einem als tumorspezifisch definierten Klon der „promoter-trap-library“ infiziert wurde. Um das GFP-Signal von der Autofluoreszenz des Wirtsgewebes unterscheiden zu können, wird die Fluoreszenzintensität (dargestellt in einer willkürlichen Einheit) des grünen Kanals (FL-1) gegen den orangefarbenen (FL-2) Kanal gemessen. Die Unterscheidung ist möglich, da
die Autofluoreszenz ein wesentlich höheres orangefarbenes/grünes Emissionsverhältnis aufweist als die GFP-positiven Salmonellen.

Literatur
[1] Barbe, S. et al. (2006) J.Appl.Microbiol. 101, 571-578
[2] Cheong, I. et al. (2006) Science 314, 1308-1311
[3] Toso, J.F. et al. (2002) J.Clin.Oncol. 20, 142-152
[4] Heimann, D.M. & Rosenberg, S.A. (2003) J.Immunother. 26,179-180
[5] Leschner, S. et al. PLoSOne 4:e6692

L&M 5 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2010.
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