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Modellierung und ­Simulationen in der Chemie

Der Aufbruch in eine neue Ära

Mit dem Aufkommen der ersten Großrechner in den ­60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts (Rechen­anlagen, deren Kapazität um ein Vielfaches geringer war als die eines gängigen Laptops heutiger Bauart) wurde die Hoffnung genährt, dass mit einer Fortentwicklung der Computerkapazität bei Speicher und Rechengeschwindigkeit in absehbarer Zeit jedes chemische System mit hin­reichender Genauigkeit berechnet werden könnte.

Enrico Clementi, einer der Pioniere der Quantenchemie und Leiter des Large Scale Scientific Computation Department des Computerherstellers IBM, wird aus dieser Zeit mit den Worten zitiert: „We can calculate everything.“ Man müsse nur die Hardwareentwicklung abwarten. Diese Ansicht schien auf den ersten Blick auch gerechtfertigt, denn man realisierte schon früh, dass sich die Leistungsfähigkeit von Computerhardware etwa alle zwei Jahre verdoppelt. Diese als Moore´sches Gesetz bekannt Regel ist auch heute noch gültig und auch in näherer Zukunft ist kein Ende der Entwicklung abzusehen. Demnach wären die heutigen Rechner etwa 10 000 000-mal schneller als die der 60er-Jahre. Doch ist damit das Problem gelöst? Lassen sich Systeme mit sehr vielen Atomen wie Proteine und Katalysatoren damit standardmäßig behandeln? Die Frage ist mit einem klaren Jein zu beantworten. Der große Erfolg von Simulationsrechnungen in der Chemie ist nicht primär auf die Ver­besserung der Hardwaresituation zurückzuführen, auch nicht auf die routinemäßige Anwendung von bestehenden Standardsoftwarepaketen. Er ist das Ergebnis von sinnvollen Vereinfachungen und intelligenten theoretischen Konzepten. Frei nach dem Motto von Albert Einstein: „Mache deine Modelle so einfach wie möglich, aber nicht einfacher!“ Einstein hat dies sicherlich anders gemeint, als es heute in der modernen Computerchemie verstanden wird. Modifiziert müsste das Motto heißen ­„Mache deine Modelle dort einfach, wo es auf Details nicht ankommt, aber dort komplex, wo kleine Änderungen im System letztlich große Auswirkungen haben!“ Mit diesem ­Konzept sind heute sehr große und komplexe chemische ­Szenarien der theoretischen und numerischen Behandlung zugänglich: Elemen­tarprozesse wie Elektronen- und Protonenübertragungsreak­tionen im aktiven Zentrum von Proteinen, Basis­prozesse von katalytischen Reaktionen an Oberflächen, Grundlagen der Fotosynthese und vieles andere mehr. Dabei geht es nicht mehr primär nur darum, ein System „im Prinzip“ richtig zu beschreiben. Die modernen Computerprogramme erlauben es, qualitativ und quantitativ richtige Voraussagen in Bereichen zu treffen, die der direkten experimentellen Untersuchung nicht oder nur unzureichend zugänglich sind. Damit hat die Computerchemie heute einen ­Status erreicht, von dem die theoretischen Chemiker lange geträumt haben. Während bis noch vor gar nicht so langer Zeit die Qualität von Computerergebnissen in der molekularen Forschung danach bemessen wurde, wie gut sie mit einem bereits bekannten experimentellen Befund übereinstimmen, hat heute vielfach das Experiment im „Cyberspace“ Alleinstellungswert. Dieser Tatsache ist es wohl auch zu verdanken, dass das Nobel-Komitee der Schwedischen Akademie der Wissenschaften den jüngsten Chemienobelpreis an die drei Pioniere der Computerchemie Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel „für die Entwicklung von Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme“ verliehen hat (siehe Kasten). In der Begründung für die Verleihung heißt es: „Heutzutage ist der Computer so wichtig für den Chemiker wie die leistungsfähigsten Experimentiereinrichtungen. Simulationen sind so realistisch, dass sie den Ausgang von Experimenten voraussagen.“ Bis noch vor Kurzem mussten Wissenschaftler, die molekulare Systeme auf einem Computer simulieren wollten, sich entscheiden, ob sie diese auf der Basis der klassischen Theorie von Newton oder der Quantenphysik behandeln wollten. Beide hatten ihr Stärken und Schwächen. Die klassischen Ansätze erlaubten es, große molekulare Systeme wie etwa Proteine und Biomembranen zu behandeln. Als Ergebnis erhielt man die Positionen aller am molekularen Geschehen beteiligten Atome. Die Programme waren aber ungeeignet, um chemische Reaktionen zu behandeln. Hierfür benötigte man Quantenmodelle. Die vollständige Beschreibung großer molekularer Systeme auf rein quantenmechanischer Basis überfordert auch heute noch die Kapazität der größten Rechenanlagen. Die Nobel-Laureaten für Chemie 2013 haben das Tor zwischen beiden Welten aufgestoßen. Dort, wo chemische Veränderun­gen im System zu erwarten sind, wird quantenmechanisch gerechnet, und weitab vom so genannten Reaktionsgeschehen wird mit Newton‘ scher oder gar Kontinuumsmechanik simuliert. Die Arbeiten von Karplus, Lewitt und Warshel öffnen viel neue Tore insbesondere im Hinblick auf die Chemie des Lebens und die Entwicklung neuer Medikamente. labor&more wird in diesem Jahr in lockerer Folge über neue Ansätze zur computerunterstützten Chemie berichten. Wir starten in dieser Ausgabe mit einem Bericht von Dr. Thomas Exner von der Universität Tübingen. Er beschreibt Verfahren zur quantenchemischen Berechnung von NMR- chemischen Verschiebungen in Proteinen.

Foto:
© Michael Levitt| Linda A. Cicero / Stanford News
Service, © Martin Karplus| Bengt Nyman,
© Arieh Warshel| USC, Illustration: © Johan Jarnestadt|
The Royal Swedish Academy of Sciences

Stichwörter:
Computerchemie

L&M 1 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2014.
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