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Millimetergroßes „Riesenatom“ erzeugt

Darmstädter Forscher beteiligt an wegweisendem Physik-Experiment

Die seltsamen Gesetze der Quantenphysik gelten im unsichtbaren Mikrokosmos der Atome und Moleküle. Dass ein Quantensystem aber auch Millimetergröße erreichen kann, bewies ein Physiker-Konsortium in einem wegweisenden Experiment am Fallturm Bremen. Der Theoretische Physiker Reinhold Walser von der TU Darmstadt war maßgeblich an Simulationen des Experiments beteiligt.

Der Bremer Fallturm mit Kapsel. Hier wurde das Bose-Einstein-Kondensat hergestellt. Bild: ZARM - University of Bremen

Es ist immer wieder beeindruckend, wenn der Applaus Tausender Konzertbesucher sich von einem chaotischen Geräuschbrei in ein rhythmisches Kollektivklatschen verwandelt. Ähnliches passiert, wenn Physiker aus einigen Millionen Atomen ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat herstellen. Um einen solchen Phasenübergang hervorzurufen, kühlen Forscher eine Atomwolke fast bis auf den absoluten Temperaturnullpunkt (-273 °C) ab. Laut Quantenphysik stellt jedes Atom eine Materiewelle dar. Bei sinkender Temperatur dehnen sich diese Materiewellen immer weiter aus, bis sie sich schließlich gegenseitig überlagern. Ähnlich wie Ozeanwellen, die sich gegenseitig zu einer Riesenwelle verstärken, wird dann aus den Millionen einzelner Materiewellen eine einzige große Materiewelle, das Bose-Einstein-Kondensat, kurz BEC. Da das BEC den Gesetzen der Quantenphysik folgt, wird es oft „Riesenatom“ genannt.

Albert Einstein und der indische Physiker Satyendranath Bose sagten die Existenz von BECs schon 1924 voraus, im Labor hergestellt werden sie seit 1995. Ein wichtiger weiterer Schritt, nämlich die Herstellung eines BEC in der Schwerelosigkeit, an die Physiker große Hoffnungen knüpfen, ist nun einem Physiker-Team um Ernst Rasel von der Universität Hannover gelungen, deren Projekt den Namen „Quantus“ trägt.

Der Versuch

Mit Unterstützung der Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) bauten sie die gesamte Apparatur für die Erzeugung und den Nachweis des BEC, die normalerweise ein ganzes Labor füllt, in eine mannsgroße Metallkapsel ein und ließen diese 120 Meter tief vom Fallturm Bremen fallen. Während des fast fünf Sekunden langen freien Falls herrschte in der Kapsel Schwerelosigkeit. Die ersten Sekunden werden für die BEC-Herstellung benötigt. Danach wurde das Kondensat aus dem Magnetfeld, das es festhielt, entlassen und dehnte sich während der verbleibenden Sekunde bis zum gedämpften Aufprall in der Schwerelosigkeit auf einen Millimeter Größe aus, wie die Forscher mithilfe einer CCD-Kamera in der Kapsel nachwiesen.

„Unser Bose-Einstein-Kondensat ist das größte bislang erzeugte“, sagt der Theoretische Physiker Prof. Dr. Reinhold Walser vom Institut für Angewandte Physik der TU Darmstadt. Er erstellte ein Computermodell des frei fallenden BECs, das dessen Wachsen in der Schwerelosigkeit simulierte. Der Erfolg des Teams beweise, dass es möglich ist, BECs zuverlässig auch im Weltraum herzustellen, schreiben Paulo Nussenzveig und João C. A. Barata von der Universität Sao Paulo in einem Kommentar in Science.

Die Anwendung

Im All könnten die Riesenatome sehr nützlich sein. „Aus BECs lassen sich Sensoren für die Lage oder Drehungen von Satelliten bauen, die deutlich präziser sind als heutige Sensoren“, sagt Walser. Je größer ein BEC, desto präzisere Sensoren lassen sich bauen. Ihre Genauigkeit könnte beispielsweise für Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins nötig sein. Schwerelose BECs im Weltraum könnten außerdem dazu beitragen, eine grundlegende Frage der Physik zu beantworten. Bislang gibt es nämlich für das ganz Große, Planeten und Sterne, sowie das ganz Kleine, Moleküle, Atome und Elementarteilchen, zwei voneinander getrennte Theorien, nämlich die Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenphysik. Ein frei fallendes makroskopisches Quantensystem ist etwas, was die beiden Welten verbindet und daher zu einer einheitlichen Theorie beitragen könnte. „Unser Ziel ist es, BECs im Weltraum zu erzeugen, am liebsten auf der ISS“, sagt Walser.

Das Projekt

Das Projekt QUANTUS ist ein Zusammenschluss deutscher und europäischer Forschungseinrichtungen, darunter die Leibniz Universität Hannover, die Universität Ulm, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Universität Hamburg, das Max-Planck-Institut für Quantenoptik, die Technische Universität Darmstadt, die Ecole Normale Superieure de Paris, das Midlands Ultracold Atom Research Center in Birmingham, das DLR Zentrum für Raumfahrtsysteme und das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen. Finanziert wurde es durch die Deutsche Agentur für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Mitteln des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie und durch den Exzellenzcluster QUEST (Centre for Quantum Engineering and Space-Time Research) an der Leibniz Universität Hannover.

Quelle: Technische Universität Darmstadt

L&M 3 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2010.
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