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Die Königsklasse der Medizintechnik: zum Beispiel die künstlichen Niere

Lebensrettend

„ Das Original ist ein Wunder, die Kopie rettet Leben!”
Diesen Satz findet man auf der Homepage des Bundesverbands Medizintechnologie e.V. (BvMed) aus Berlin. Mit künstlichen Organen ist den Patienten zu helfen, deren Organe versagen oder nicht mehr funktionstüchtig sind. Automatisch denkt man dabei zunächst an eine Organtransplantation und dies besonders dann, wenn es um Nieren- oder Leberversagen geht. Erfolgreiche Organtransplantationen z.B. von Herz, Leber oder Niere können jedoch nicht mit dem Anstieg der Patienten auf der Warteliste für ein Organ mithalten. Denn: Obwohl die Zahl der Organtransplantationen in Deutschland in 2010 mit 4.325 Transplantationen so hoch war wie nie zuvor, steigt die Zahl der Patienten auf der Warteliste weiter an und ist zurzeit in Deutschland dreimal so hoch, übertroffen noch von den USA. Hier fiebern heute 110.477 Patienten einer Organtransplantation entgegen, was der Einwohnerzahl einer deutschen Großstadt entspricht (vergl.: www.UNOS.org vom 27.02.2011).

Was wäre, wenn es in dieser fast ausweglos zu nennenden Situation nicht die Therapie mit künstlichen Organen und darunter besonders die künstliche Niere gäbe? Dem genialen Naturwissenschaftler Thomas Graham aus Glasgow, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Grundlagen für die Therapie des Nierenversagens legte, wäre es sicher nicht im Traum eingefallen, dass etwa 150 Jahre später mehr als 1,9 Mio. nierenkranke Patienten der dreimal wöchentlich durchzuführenden Hämodialyse ihr Leben verdanken. Das war nicht vorauszusehen, denn nachdem 1923 Dr. Georg Haas in Gießen weltweit den ersten Menschen mit einer künstlichen Niere behandelte, hat es weiterer 40 Jahre bedurft, bis aus der experimentellen Therapie Routine geworden ist. Diese Entwicklung ist verbunden mit einem fast exponentiellen Anstieg der Zahl der behandelten nierenkranken Patienten, deren Zahl mit > 6 %/Jahr prozentual schneller steigt als die Weltbevölkerung (ca. 1,1 %/Jahr).
Sie wäre unmöglich gewesen, wenn nicht Ärzte und Ingenieure an der konzeptionellen Verbesserung der künstlichen Niere gearbeitet und deren stete Miniaturisierung vorangetrieben hätten. Die Verkleinerung des Filterapparats hat zu dreierlei Konsequenzen geführt: Zu einer leichteren Handhabung, einer Produktion von heute weltweit ca. 220 Mio. künstlichen Nieren (Dialysatoren) pro Jahr und dadurch zu einer steigenden Zahl von Patienten, die bei adäquaten Filterkosten behandelt werden können. Selbstverständlich sind damit auch hohe Qualitätsstandards verbunden, die die Lebensqualität der Patienten verbessern und die Lebenserwartung an der Dialyse erhöht haben. Heute sind in den westlichen Industrienationen Patienten mit langen Therapiedauern keine Seltenheit mehr. Z.B. dialysieren in Japan 20.000 Patienten länger als 20 Jahre und ein Patient kann hier sogar auf 40 Jahre Therapie mit der Hämodialyse zurückblicken [2].

Filtration von pathologischen Retentionsprodukten über Membranen

Wie funktioniert die Blutwäsche mit der künstlichen Niere? Die natürliche Niere besitzt zwei funktionelle Einheiten, den Glomerulus und den Tubulus. Während im Glomerulus harnpflichtige Substanzen filtriert und ausgeschieden werden, findet im Tubulus die Rückresorption von lebenswichtigen Aminosäuren und Proteinen statt. Mit der künstlichen Niere bei der Hämodialyse gelingt es ausschließlich bisher leider aber nur, teilweise die Funktion des Glomerulus zu kopieren (Abb. 2). Und das geschieht so:
Über einen Gefäßzugang und eine Kanüle an der Vorarmvene leitet man das Blut des nierenkranken Patienten außerhalb des Körpers zur künstlichen Niere. In diesem, auch als Dialysator bezeichneten Medizinprodukt findet die Blutreinigung über Membranen statt. Pathologische harnpflichtige Retentionsprodukte werden durch Filtration entfernt. Vom Dialysator gelangt das gereinigte Blut dann mithilfe von Pumpen des Steuerungsgeräts wieder zurück zum Patienten (Abb. 1). Dieser Vorgang sieht auf den ersten Blick einfach aus, ist aber sehr Komplex und soll hier kurz im Detail beschrieben werden. Die moderne künstliche Niere oder der Dialysator gleicht einem Wärmetauschergerät in der technischen Chemie. Er besteht aus einem Polycarbonatrohr von ca. 22 cm Länge und ca. 5 cm im Durchmesser, in das ein Bündel von mehr als 10.000 Kapillarmembranen eingegossen ist. Der Durchmesser der Kapillarmembranen ist extrem klein, üblich sind 200 ?m. Die Wand der Kapillaren ist als Membran ausgeformt und ist weniger als 40 ?m dick. Über die poröse Membranwand der Kapillare werden Wasser und harnpflichtige Substanzen in Abhängigkeit ihres Molekulargewichts oder ihre Größe entweder abfiltriert oder zurückgehalten (z.B. Proteine). Die Durchmesser der Membranporen in der Kapillarwand beträgt zwischen 1nm und 3 nm, wir sprechen dann entweder von Low-Flux- oder High-Flux-Membranen. Die aktuelle wissenschaftliche Literatur beschreibt heute eine höhere Lebenserwartung von Patienten, wenn diese mit High-Flux-Membranen behandelt und damit mehrere Molekülklassen toxischer Substanzen entfernt werden. Während der Dialyse fließt Blut mit einem Volumenstrom von 200–500 ml/min durch das Bündel der Membrankapillaren.

Im Gegenstrom führt man im Zwischenraum der Kapillaren eine isotone Spül- oder Dialysierflüssigkeit mit > 00 ml/min, wobei der Raum zwischen Blut- und Dialysierflüssigkeit durch eine Vergussmasse aus Polyurethan abgetrennt ist. Pro Dialysetherapie werden etwa 120 L Spüllösung gebraucht. Ziel ist dabei ein optimaler Konzentrationsgradient für harnpflichtige Substanzen über die Membran. Die maximal mögliche Entfernungsrate wird allerdings nur dann erreicht, wenn die Dialysierflüssigkeit auch in das Zentrum des Membranbündels gelangen kann. Ondulierte Kapillarmembranen oder textile Fäden als Abstandshalter garantieren die so geforderte homogene Verteilung der Spüllösung im Filter.

Kapillarmembranen sind Hightech-Produkte

Die Extrusion oder das Spinnen dieser haarkleinen Röhrchen mit einer Wand als Membran erfordert hohes technisches Knowhow, das nur in wenigen Ländern der Welt beherrscht wird. Es ist erstaunlich, dass zurzeit pro Jahr mehr als 450 Mio. Kilometer Kapillarmembranen für die Dialyse bei stets gleich bleibender Qualität bereitgestellt werden. Diese Länge entspricht der dreifachen Entfernung Erde-Sonne und ein Lichtstrahl brauchte dafür mehr als 24 Minuten. Welche Qualitätsanforderungen zählen heute? Neben einer homogenen Geometrie der Kapillarmembran, mit der der Blutfluss kontrollierbar und Gerinnungseffekte zu vermeiden sind, gilt es besonders Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Membran ist keine Einbahnstraße und Verunreinigungen aus der Spülflüssigkeit, z.B., bakterielle Endotoxine, können in das Blut des Patienten gelangen, wenn diese nicht in der Membranwand adsorbiert werden. Dies gelingt durch den Einsatz von solchen Membranpolymeren, die aromatische Komponenten enthalten wie z.B. Polysulfon (PSu) oder Polyamid (PA). Der extrakorporale Blutkreislauf des Dialysepatienten bietet außerdem eine Vielzahl von Einflussmöglichkeiten für den behandelnden Arzt, wodurch die heute geforderte patientenspezifische individualisierte Behandlung erleichtert wird. Der Dialysator mit seinen mehr als 10.000 Kapillarmembranen steht dabei im Zentrum des Verfahrens. Seine Bauweise und Position im extrakorporalen Blutkreislauf lassen es zu, Behandlungsparameter direkt zu beeinflussen. Die Kontrolle der Körpertemperatur des Patienten und damit seine Kreislaufstabilität ist über die Wärmetauscherfunktion des Filters möglich, die Entfernung von Wasser durch Ultrafiltration über den Transmembrandruck und die Elektrolytbilanz des Patienten können über diffusive oder konvektive Transportmechanismen über die vorgegebenen Konzentrationsgradienten und Ultrafiltration gesteuert werden. Entsprechende Sensoren stehen für eine Feedback-Kontrolle zur Verfügung oder werden noch erforscht. Der Dialysator ist keine exakte Kopie der menschlichen Niere. Aufgrund der vielfältigen Eigenschaften seiner Kapillarmembranen ist er aber in der Lage, einen Teil der Nierenfunktionen so nachzubilden, dass die Dialyse zur lebensrettenden Therapie für fast 2 Mio. Patienten geworden ist.

joerg.vienken@fmc-ag.com

L&M 2 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2011.
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