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L&M-9-2015 > Die Suche nach dem Unbekannten

Die Suche nach dem Unbekannten

Kombination von Wirkungstest und HPLC-HRMS

Aufgrund der häufigen Anwendung unterschiedlichster organischer Verbindungen, beispielsweise Pharmazeutika, ­Pestizide, Industrie- oder Haushaltschemikalien, gelangen diese über das Abwasser, die Landwirtschaft, Altlasten oder Straßenabläufe in die Umwelt [1–4]. Durch Transformationsprozesse in der Umwelt und bei der Abwasserbehandlung wird die Anzahl der Verbindungen zusätzlich erhöht [1,5]. Diese anthropogenen Stoffe stellen ein potenzielles Risiko ­für die aquatische Umwelt und damit auch für Trinkwasserressourcen dar [2,5]. Für eine toxikologische Bewertung der Belastungen werden biologische Testverfahren herangezogen [6–8]. Hier wird über die Wirkung der in der Probe ­vorhandenen Substanzen das Risiko abgeschätzt. Doch liefern diese Testverfahren keine Strukturinformationen zu den wirksamen Verbindungen. Diese sind aber notwendig, um die Herkunft der Substanzen zu beschreiben. Erst dadurch ist es möglich, gezielt Kontaminationen zu reduzieren.

Mit moderner Technik Spurenstoffe erkennen und bewerten

Zur Erfassung der Vielzahl an Stoffen wird neben der Einzelstoffanalytik das Non-Target-Screening mittels Hochleistungsflüssigkeits - Chromato- graphie, gekoppelt mit einem hochauflösenden Massenspektrometer (HPLC-HRMS), eingesetzt. Das Non-Target-Screening ermöglicht es, auch Subs­tanzen zu erfassen, nach denen nicht gezielt gesucht wird. Doch diese physikalisch-chemische Analysenmethode liefert keine Aussage über die Wirkung der Substanzen, ohne die eine Bewertung einer Kontamination nicht möglich ist.

Eine Lösung stellt der kombinierte Ansatz aus physikalisch-chemischer Analytik und In-vitro-Bioassays dar, die wirkungsbezogene Analytik (WBA). Mit der WBA wird die meist komplex zusammengesetzte Probe zuerst über ein Trennverfahren fraktioniert und anschließend mit einem biologischen Testsystem weiter untersucht [9]. Durch die Zuordnung der Wirkung auf eine Fraktion ist die Identifizierung der wirkungsauslösenden Substanz(en) wesentlich wahrscheinlicher als aus der Originalprobe [9,10]. Die Wirkungen in den einzelnen Fraktionen ergeben ein Muster. Anhand der Veränderung des Wirkungsmusters während eines Prozesses (z.B. Abwasserbehandlung) kann dieser komplementär zu den stofflichen Veränderungen bewertet werden.

Die Hochleistungs-Dünnschichtchromatographie (HPTLC) ist besonders für die WBA geeignet, da hier die Substanzen nach der Trennung lösemittelfrei auf der Platte vorliegen und damit die für die Trennung notwendigen Lösemittel keinen Einfluss mehr auf den anschließenden Biotest haben [11]. Aufgrund dessen, dass es sich hier um ein offenes Trennsystem handelt, werden auch nicht chromatographierbare Substanzen erfasst. Und man ist zudem sehr flexibel bei der Wahl der Detektionstechnik. Außerdem ist durch die parallele Chromatographie von mehreren Bahnen eine schnelle Untersuchung vieler Proben möglich. Eine Weiterentwicklung der HPTLC stellt die automatisierte Mehrfachentwicklung (HPTLC/AMD) dar [12]. Mit dieser Technik ist eine mit der HPLC vergleichbare Gradientenelution möglich. Die Trennung erfolgt bei der HPTLC/AMD stufenweise. Dabei werden für jede Stufe jeweils die Höhe der Laufstrecke und die Fleißmittelzusammensetzung vorher definiert. Nach Zurücklegung der jeweiligen Laufstrecke der mobilen Phase wird das Fließmittel aus der Entwicklungskammer entfernt und die HPTLC-Platte unter Vakuum getrocknet. Anschließend wird die Platte mit einer neuen Fließmittelzusammensetzung und mit einer etwas längeren Laufstrecke nochmals entwickelt. Diese Schritte werden so lange wiederholt, bis eine ­optimale Trennung erreicht wurde. Die Mehrfachentwicklung in Kombination mit einer Gradientenelution führt zu einer Fokussierung der Banden und steigert damit die Trennleistung.

Die HPTLC-WBA besteht aus der Abfolge der Schritte Probenvorbereitung, Trennung, zerstörungsfreie physikalische-Detektion, Detektion der Wirkung, Identifikation und Verifizierung der wirkenden Substanzen (Abb.1). Wobei eine Identifikation nicht für jede Fragestellung zwingend erforderlich ist.


Abb.1 Schema des Ablaufs der wirkungsbezogenen Analytik mit der HPTLC.

Leuchtende Helferlein

Eine Quelle von anthropogenen Spurenstoffen in der aquatischen Umwelt stellen ehemalige Industriestandorte dar. Im vorliegenden Fall sollte geklärt werden, ob ein durch Produktionsrückstände kontaminiertes Areal über das Grundwasser das Oberflächenwasser eines in der Nähe liegenden Baches beeinflusst (Abb.2) wird. Dazu wurden Proben aus der Schadstofffahne und dem Abstrom des Baches entnommen. Zur Steigerung der Nachweisgrenze wurden 200ml der Wasserproben bei pH 2 und 7 mittels Festphasenextraktion (SPE) auf ein Extraktvolumen von 1ml angereichert. Da die meisten Schadstoffe bislang nicht identifiziert werden konnten, wurde zur Klärung der Frage ein kombinierter Einsatz aus WBA mittels HPTLC-Leuchtbakterien-Detektion und Non-Target-Screening mithilfe eines HPLC-QTOF/MS-Systems gewählt. Der Einsatz des Leuchtbakteriums Aliivibrio fischeri hat sich für ein Screening auf möglichst viele Stoffe als besonders geeignet herausgestellt, da die Biolumineszenz des Bakteriums durch eine Vielzahl von Substanzen beeinflusst wird.


Abb.2 Übersichtsplan zum möglichen Eintrag von Schadstoffen in
einen Bach aus einem kontaminierten Areal.

Beim HPTLC-Biolumineszenz-Hemmtest wird die entwickelte Platte in eine Leuchtbakteriensuspension getaucht und anschließend die Biolumineszenz-Hemmung in einer Dunkelkammer durch eine CCD-Kamera detektiert. Substanzen, die auf den Stoffwechsel von Aliivibrio fischeri wirken, erscheinen auf dem Graustufenbild als dunkle Bande vor einem hellen Hintergrund. Zur halbquantitativen Auswertung wird über die Graustufen des Bildes ein Hemmwert-Chromatogramm bzw. ein Gamma-Wert-Chromatogramm (t-Wert = Hemmung [%]/ (100-Hemmung [%])) ­berechnet. Damit ein Vergleich der Stärke der Wirkung von Banden aus einer Probe bzw. zwischen Proben möglich ist, werden unterschiedliche Volumina der Probe aufgetragen. Anhand der Auftragevolumina und der Hemmwerte für die einzelnen Hemmzonen lässt sich für jede Hemm­bande eine Dosis-Wirkungs-Beziehung ermitteln. Als Bezugspunkt für den Vergleich dient das Volumen, das aufgetragen werden muss, um eine Hemmung von 50% für die ausgewählte Hemmbande zu erreichen. ­Dieses Volumen wird aus der zugehörigen Dosis-Wirkungs-Beziehung ­berechnet. Der Kehrwert des berechneten Auftragevolumens für 50% Hemmung stellt das reziproke iso-Hemmvolumen (RIHV) dar. Je größer das RIHV, desto toxischer ist die Hemmzone auf Aliivibrio fischeri. Der schematische Ablauf diese Auswerteverfahrens ist in Abbildung 3 dargestellt.


Abb.3Schematische Darstellung des Ablaufs zur Ermittlung des reziproken iso-Hemmvolumens (RIHV) für die getrennten Hemmzonen.

Viel drin – viel Arbeit: die Messresultate

Für die wirkungsbezogene Detektion wurden vom SPE-Extrakt je nach Belastung der Probe wenige Mikroliter bis 300µl auf die HPTLC-Kieselgel-Platte aufgetragen. Nach der Auftragung erfolgte die Trennung mit einem 16-stufigen HPTLC/AMD-Gradienten und der anschließenden Detektion der Biolumineszenz-Hemmung. Parallel dazu erfolgte das Non-Target-Screening aus den SPE-Extrakten. Da die Messung mit der HPLC-QTOF/MS sehr empfindlich ist, musste zuvor noch die belastete Probe verdünnt werden.

Wie erwartet ist für die belas­tete Probe bei der HPTLC-Bio­lumineszenz-Detektion eine Vielzahl an Hemmbanden zu erkennen, welche meist noch einen hohen RIHV-Wert besitzen. In Abbildung 4 sind die RIHV-Werte für die Hemmzonen in einem halblogarithmischen Säulendiagramm für die SPE bei pH 2 dargestellt. Die Probe aus dem untersuchten Bach zeigte keine auffällige Bande. Die ermittelten RIHV liegen alle in einem Bereich, der typisch für ein Oberflächenwasser ist.


Abb.4 Vergleich der Messresultate für die Probe aus der Schadstofffahne und dem Bach. Links: Die halblogarithmische Darstellung der reziproken iso-Hemmvolumina für die detektierten Hemmbanden. Rechts: Masse-Retentionszeit-Diagramme (Punktwolken) für die mittels HPLC-HRMS detektierten Komponenten.

Beim Non-Target-Screening konnten im SPE-Extrakt für die Probe aus dem kontaminierten Bereich trotz Verdünnung mehr als 4.100 Komponenten gemessen werden. Im unverdünnten SPE-­Extrakt aus der Bachprobe lassen sich noch mehr als 1.200 Komponenten bestimmen. Der Vergleich der beiden Datensätze zeigt, dass beide Proben mehr als 20 gemeinsame Komponenten besitzen. Dies deutet auf eine leichte Beeinflussung des Bachs durch das kontaminierte Areal hin. Beim Biolumineszenz-Hemmtest sind dagegen keine Auffälligkeiten erkennbar. Dies kann zum einen an der geringen Konzentration durch die Verdünnung und zum andern an der geringen Wirkung (hohe EC50-Werte) der Substanzen liegen.

Zur Ermittlung der für die Hemmung verantwortlichen Komponenten wurden 75µL des Wassers der belasten Probe direkt auf zwei HPTLC-Platte aufgetragen. Mit der ersten Platte wurde die Biolumineszenz-Hemmung für die aufgetrennte Probe detektiert. Von der zweiten Platte wurden die einzelnen Fraktionen mithilfe eines Extraktors (TLC-MS Interface, Camag, Schweiz) eluiert und in Vials aufgefangen. Anschließend erfolgte die Messung der HPTLC-Extrakte am HPLC-QTOF/MS. In dem für die direkt gemessene Wasserprobe erhaltenen Masse-Retentionszeit-Diagramm (Punktwolke) wurden die Komponenten markiert, die mit den Komponenten der HPTLC-Extrakte übereinstimmen (Abb.5). Dabei ist zu sehen, dass nur ein geringer Anteil von den mittels HPLC-QTOF/MS gemessenen Komponenten für die Hemmung verantwortlich ist.


Abb.5 Links: Die Trennung der unbehandelten Wasserprobe aus dem kontaminierten Bereich mittels HPTLC/AMD und Detektion der Biolumineszenz-Hemmung. Farblich markiert sind die extrahierten Zonen.
Rechts: Das Masse-Retentionszeit-Diagramm für die detektierten Komponenten. Grau sind die Komponenten aus der unbehandelten Wasserprobe eingezeichnet und passend farblich markiert diejenigen Komponenten, die mit den Komponenten der HPTLC-Extrakte übereinstimmen.

Durch die Kombination der wirkungsbezogenen Analytik und des Non-Target-Screenings ist es möglich, eine Aussage über die Relevanz der gemessenen Verbindungen zu treffen und damit ein Auswahlkriterium für die Komponenten zu schaffen, für die eine oftmals auf­wendige Identifizierung durchgeführt werden soll. Mithilfe weiterer spezifischer Bio­tests, z.B. des Acetylcholinesterase-Hemmtests auf potenziell neuro­toxische Verbindungen, lässt sich das Gefährdungspotenzial der Kontaminanten auf die Umwelt noch besser beurteilen. Es ist davon auszugehen, dass beide komplementären Analysenmethoden in Zukunft zur Beurteilung von Wasserproben eine wichtige Rolle spielen werden.

Literatur
[1] Farré, M.l. et al. (2008) Trac-Trends Anal. Chem. 27(11), 991–1007
[2] chwarzenbach, R.P. et al. (2006) Science 313(5790), 1072–1077
[3] Kümmerer, K. (2009) J. Env. Man. 90, 2354–2366
[4] Pal, A. et al. (2010) Sci. Total Environ. 408(24), 6062–6069.
[5] Escher, B.I. & Fenner, K. (2011) Environ. Sci. Technol. 45(9), 3835–3847.
[6] Farré, M. & Barceló, D. (2003) Trac-Trends Anal. Chem. 22(5), 299–310
[7] Kokkali, V. & van Delft, W. (2014) TrAC Trends Anal. Chem. 61(0), 133–155.
[8] Tuikka, A.I. et al. (2011) Ecotoxicol. Environ. Saf. 74(1), 123–131.
[9] Brack, W. (2003) Anal. Bioanal. Chem. 377(3), 397–407
[10] Weiss, J. et al. (2011) Anal. Bioanal. Chem. 400(9), 3141–3149.
[11] Choma, I.M. & Grzelak, E.M. (2011) J. Chrom. A 1218(19), 2684–2691.
[12] Burger, K. (1984) Fresen. J. Anal. Chem. 318(3): 228–233.

Bild: © istockphoto.com|?DenisovDmitry

L&M 9 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 9 / 2015.
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