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L&M-2-2013 > Natürliche und synthetische Makrozyklen finden vielfältige Anwendungen in der Wirkstoffforschung und Analytik

Natürliche und synthetische Makrozyklen finden vielfältige Anwendungen in der Wirkstoffforschung und Analytik

Fässerweise Moleküle

Ursprünglich als unscheinbare Nebenprodukte von Polymerisationsreaktionen erhalten, kommen Makrozyklen mittlerweile Schlüsselpositionen in der chemischen und pharmazeutischen Technologie zu. Durch molekulare Erkennung schließen sie Gastmoleküle mit hoher Affinität und Selektivität ein, was für die biomimetische Katalyse, die Formulierung von Medikamenten und in Chemosensoren ausgenutzt wird.

Makrozyklische Verbindungen faszinieren schon seit Generation Chemiker aller Fachrichtungen. Die ersten als solche identifizierten Makrozyklen sind die natürlich vorkommenden Cyclodextrine, durch bakterielle Synthese gebildete zyklische Oligomere von Glucose, die nach ihrer Entdeckung im Jahre 1903 ursprünglich als Schardinger-Dextrine Bekanntheit erlangten. Die Entdeckung der Resorcinarene erfolgte 1940 durch Niederl und Vogel, die der Calixarene kurz danach durch Zinke und Ziegler, die der Kronenether 1967 durch Pedersen (Nobelpreis 1987) und die der Cucurbiturile durch Mock (1981). Im Falle der Calixarene und Resorcinarene gehen die ersten Synthesen ohne Strukturcharakterisierung auf Bayer (1872) und im Falle der Cucurbiturile auf Behrend (1905) zurück. Die chemischen Strukturen sind in Abbildung 1 gezeigt.

Salze lösen sich in organischen Lösungsmitteln

Während bis Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem Fragen der Synthese, Konformation und der Ringspannung in (makro)zyklischen Verbindungen von Interesse waren, hat sich in der Folge der Blickwinkel sehr stark auf industrielle und diagnostisch-medizinische Anwendungen verlagert. Dabei war zunächst der Umstand, dass die Ausbeute an Makrozyklen durch einen Templateffekt drastisch erhöht werden kann, von besonderer Relevanz, da nun eine generelle Methode zur Synthese von Makrozyklen in praktisch bedeutsamen Ausbeuten zur Verfügung stand. Ein zweiter Durchbruch im Feld der Makrozyklen war die Erkenntnis, dass Kronenether signifikant stärkere Bindungen mit Kationen eingehen als deren azyklische Ethylenglykol- Analoga. Diese Tatsache konnte man ausnutzen, um die Löslichkeit von anorganischen Salzen in apolaren organischen Lösungsmitteln mittels Komplexierung der Kationen durch Kronenether drastisch zu erhöhen, was die synthetische Chemie um eine Methode für die Verwendung von oft unlöslichen, anorganischen Reagenzien in apolaren Lösungsmitteln bereicherte (Phasentransferkatalyse). Ein besonders anschauliches Beispiel, nicht nur wegen der stark violetten Farbgebung, ist das Auflösen von Kaliumpermanganat in Benzol durch Zugabe von 18-Krone-6, welches dann als starkes Oxidationsmittel verwendet werden kann. Da die Ammoniumgruppe bezüglich ihrer Größe und Ladungsdichte dem Kaliumion ähnelt, ist es nicht überraschend, dass auch viele organische Amine mit Kronenethern starke Wechselwirkungen eingehen, was zum Beispiel in der Analytik für die Identifikation von (biogenen) Aminen von Bedeutung ist.

Wirt-Gast-Erkennung wird durch austretendes Wasser getrieben

Es stellte sich heraus, dass insbesondere molekulare Container, also kelchförmige (griechisch: calix = Kelch) oder fassförmige Makrozyklen, das größte Potenzial als stark bindende Rezeptoren haben, da deren Wirt-Gast-Wechselwirkungen meist stärker sind als die von flexiblen Verbindungen wie z. B. den Kronenethern. Diese herausragende Stellung der molekularen Container kann mit deren Vororganisation begründet werden: Durch eine vordefinierte Passform des Wirtes zum Gast muss der Wirt keine Deformationsenergie beim Binden des Gastes aufbringen (Emil Fischers Schlüssel-Schloss-Prinzip). Zusätzlich ist der Entropieverlust durch die Bildung eines fixierten Wirt-Gast-Komplexes mit einem rigiden Wirt geringer als für dessen flexible oder azyklische Verwandte. Diese Vororganisationseffekte allein reichen aber nicht aus, um die extrem hohen Bindungskonstanten (Ka bis zu 1015 M-1) der fassförmigen Cucurbit[n]urile (CBn) für bestimmte Gäste (z. B. substituierte Adamantane und Metallocene) in wässrigen Lösungen zu erklären. Für diese recht neue Makrozyklenklasse stellte sich kürzlich heraus, dass eine besondere Art des hydrophoben Effekts die Wirt-Gast-Interaktion energetisch stark begünstigt: In dem hydrophoben Hohlraum der CBn-Makrozyklen können die eingeschlossenen Wassermoleküle kein stabiles Netzwerk von Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden – die eingeschlossenen Wassermoleküle sind energetisch frustriert („High-energy Water“). Daher ist die Komplexierung eines organischen Gastes oder Restes durch den Wirt energetisch begünstigt, da die dadurch freigesetzten Wassermoleküle außerhalb des makrozyklischen Hohlraums wieder ihre optimale H-Brückenbindungsstruktur annehmen können. Die außergewöhnliche Stärke des Effektes zeigt sich an Wirt-Gast-Komplexierungsenthalpien von bis zu ?100 kJ/mol, welche zu einem wesentlichen Teil vom Energiegewinn der freigesetzten Wassermoleküle stammen. Für alle Makrozyklen gilt, dass aufgrund der unterschiedlichen Größen der Hohlräume unterschiedlich große Gäste im Inneren gebunden werden können.

Synthese als Herausforderung

Für den energetischen Vorteil der Wirt- Gast-Erkennung durch die Vororganisierung von rigiden Makrozyklen muss man bei deren Synthese „bezahlen“. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in statistischen Oligomerisierunsgreaktionen die gewünschten Makrozyklen nur dann in praktisch relevanten Ausbeuten erhalten werden, wenn deren Bildung entweder kinetisch oder thermodynamisch begünstigt ist; anderenfalls erhält man vornehmlich azyklische, oligomere oder polymere Produkte. Im Idealfall übernimmt die Natur diese schwierige synthetische Aufgabe, wie z. B. bei der enzymatischen Produktion der Cyclodextrine, was deren Synthese im Tonnenmaßstab und weite industrielle Verbreitung erst ermöglicht hat. Obwohl die ersten Synthesen der heutigen makrozyklischen „Arbeitspferde“ schon um die letzte Jahrhundertwende durchgeführt wurden, steckte die Analytik zu dieser Zeit allerdings noch in ihren Kinderschuhen, sodass die exakten Strukturen und die makrozyklische Topologie der Verbindungen lange im Verborgen blieben. Einige der Studien gerieten gar für mehr als ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit. Heutzutage ist die Wirt-Gast-Erkennung von Makrozyklen ein Kerngebiet der supramolekularen Chemie, angetrieben durch vielfältige praktische Anwendungen.

Biomimetische Katalyse bleibt ein Ziel

Anfangs wurden große Hoffnungen in den Einsatz von Makrozyklen als synthetische Enzymanaloga zur Katalyse chemischer Reaktionen gesetzt, da deren hydrophobe Kavitäten den Bindungs- und Rezeptortaschen von Enzymen und Antikörpern strukturell ähneln. Substrate, die sich im Inneren eines Makrozyklus einlagern, nehmen besondere, oft auch besonders reaktive Konformationen ein, und im Falle von bimolekularen Reaktionen, d. h. bei Einlagerung zweier unterschiedlicher Reaktionspartner, sind die „lokalen“ Konzentrationen viel höher als in verdünnter Lösung. Diese Faktoren (Vororganisation und Konzentration der Substrate) können dazu führen, dass chemische Reaktionen mit erhöhter Geschwindigkeit und veränderter Selektivität ablaufen und in Grenzfällen ähnlich wie durch Enzyme katalysiert werden. Die wohl am besten untersuchten Beispiele sind (fotochemische) Cycloadditionsreaktionen, deren syn/anti- bzw. endo/exo-Verhältnis durch den Einsatz von Makrozyklen wie Cyclodextrinen, Cucurbiturilen oder Metallkäfigverbindungen gesteuert werden kann. Weitere Beispiele für katalytische Aktivität von Makrozyklen sind einfache Hydrolyse- und Diels-Alder-Reaktionen. Trotz beträchtlicher Anstrengungen und anfänglicher Euphorie sind makrozyklische Verbindungen allerdings noch weit vom Einsatz als „echte“ Katalysatoren in industriell relevanten Reaktionen entfernt, sodass weiterhin an einem verbesserten Design von katalytisch aktiven Makrozyklen gearbeitet wird.

Erhöhte Wasserlöslichkeit von Wirkstoffen

Ein Schwerpunkt der gegenwärtigen Forschung ist der Einsatz von Wirt-Gast (Rezeptor- Analyt)-Systemen in wässriger Umgebung, da umweltbezogene und diagnostisch- medizinische Anwendungen meist auf Wasser als Lösungsmittel festgelegt sind. Azyklische Rezeptoren, die mittels Wasserstoffbrücken- oder Ionenbindungen teilweise vielversprechende Affinitäten und Selektivitäten in apolaren organischen Lösungsmitteln zeigen, versagen oft vollkommen beim Einsatz in wässrigen Medien, da Wasser selbst starke Wasserstoffbrückenbindungen ausbildet und elektrostatische Wechselwirkungen effizient abschirmt. Makrozyklen sind unter diesen Umständen azyklischen Rezeptoren meist klar überlegen, insbesondere wenn die Gast-Affinität zusätzlich durch den oben besprochenen hydrophoben Effekt verstärkt wird. Durch die makrozyklische Komplexierung kann die Löslichkeit organischer Gastmoleküle meist deutlich erhöht werden. Das kann man sich u. a. bei schwer löslichen Wirkstoffmolekülen zu Nutze machen, welche Patienten z. B. intravenös verabreicht werden sollen. In Grenzfällen soll die Freisetzung des Wirkstoffs langsam vonstattengehen – durch die Einbettung in einen molekularen Container kann genau diese pharmaco-kinetische Eigenschaft des Wirkstoffes moduliert werden (Wirkstoffdepot). Durch die Abschirmung des Wirkstoffs von der wässrigen Umgebung können zudem enzymatische oder chemische Zersetzungsreaktionen deutlich verlangsamt werden, ein Umstand, der in der Formulierung von Medikamenten mittels Zusatz von Cyclodextrinen bereits marktreife Anwendungen gefunden hat. In der Tat ist die pharmakologische Verwendung von Makrozyklen bisher auf Cyclodextrine und deren Derivate beschränkt, was unter anderem auf deren mittlerweile günstige Verfügbarkeit und deren geringe Toxizität zurückzuführen ist. Neuerdings wird auch der Einsatz von Cucurbituril-Wirkstoff-Komplexen diskutiert, da diese oft stabiler sind, einen langsameren kinetischen Zerfall als Cyclodextrinkomplexe aufweisen und zudem erste toxikologische Studien äußerst viel versprechend sind [6]. Ein sulfoniertes Calixarenderivat wurde zur Gabe bei Methylviologen- Vergiftung vorgeschlagen, da dieser anionische Wirt eine große Affinität zu diesem kationischen Xenobiotikum aufweist.

Fotostabile und stark fluoreszierende Farbstoffe

Konzeptionell verwandt ist der Einsatz von Farbstoffmolekül-Makrozyklus-Komplexen um die scheinbar unvermeidbare aber stets unerwünschte Selbstaggregation von organischen Fluorophoren zu unterdrücken und gleichzeitig durch die Abschirmung des Chromophors von Quenchern wie z. B. Sauerstoff, deren Fluoreszenzquantenausbeute und Fotostabilität zu erhöhen. Makrozyklen finden daher als Additive in Farbstofflasern oder in Farbpigmenten Einsatz. Spektakuläre Beispiele, wiederum erzielt mit stark-bindenden Cucurbituril-Wirten, sind die um einen Faktor 30 vergrößerte Fotostabilität von Rhodamin-6G relativ zum freien Farbstoff in Wasser und die Deaggregation von wasserlöslichen Perylenebisdiimid- Farbstoffmolekülen, was deren Fluoreszenz-Quantenausbeute von nahezu 0 % auf 100 % erhöht.

Großes Potenzial für Bioassays

Wenn die Bindung eines Gastes (Analyt) zum Makrozyklus mit der Änderung einer einfach quantifizierbaren physikalischen Größe einhergeht (z. B. Änderungen in der Absorption oder Emission, Änderung der elektrischen Leitfähigkeit oder des elektrischen Potenzials) kann ein solches System als Chemosensor verwendet werden. In diesem Einsatzbereich sind Makrozyklen komplementär zu Antikörpern, wenngleich sie nur eine geringere Selektivität und Spezifizität als ihre biologischen Konkurrenten erreichen können. Die Synthese von Makrozyklen ist allerdings wesentlich preiswerter als die Klonierung von spezifischen Antikörpern; zudem kann die Beobachtung der Bindung des Analyten an einen Makrozyklus problemlos kontinuierlich in homogener Lösung erfolgen. Außerdem eröffnen makrozyklische Rezeptoren den Zugang zu niedermolekularen Analytklassen wie z. B. kurzkettigen Alkanen und Aminen oder auch Schwermetallionen, deren Detektion in Luft oder Wasser von großer Bedeutung ist, für die aber keine Antikörper zugänglich sind. Die selektive, wenn auch nicht spezifische Bindung von Makrozyklen mit derartigen „kleinen” Molekülen ist auch für Enzymassays von großem Nutzen. Decarboxylasen wandeln beispielsweise L-Aminosäuren durch CO2-Abspaltung in die zugehörigen biogenen Amine wie z. B. Histamin um, allesamt natürliche Metabolite für die keine Antikörper zur Verfügung stehen. Makrozyklen mit Kationenrezeptor- Eigenschaften, wie beispielsweise sulfonierte Calixarene oder auch die Cucurbiturile, binden bei physiologischem pH die Produkte der enzymatischen Reaktion stärker, da diese im Vergleich zu den zwitterionischen Aminosäure-Substraten eine höhere positive Gesamtladung besitzen. Führt man die enzymatische Reaktion in Gegenwart eines Fluoreszenzfarbstoffs durch, der zunächst im Makrozyklus eingeschlossen ist, wird dieser durch das sich bildende Produkt kontinuierlich verdrängt. Da die Fluoreszenz des Farbstoffs stark umgebungsabhängig ist, kann auf diese Art und Weise die enzymatische Reaktion direkt verfolgt werden. Die resultierenden Assays, die auf dem Indikatorverdrängungsprinzip basieren, werden als supramolekulare Tandemassays bezeichnet, die mittlerweile für verschiedenste Enzyme und Enzymklassen entwickelt wurden. Tandemassays nutzen Fluoreszenz als Detektionsmethode und sind somit auch für den Einsatz im „High-throughput Screening“ prädestiniert, um die Wirkung von pharmakologisch relevanten Enzyminhibitoren und Aktivatoren zu untersuchen.

Literatur
[1] J. Szejtli, Chem. Rev. 1998, 98, 1743-1754. [2] V. Böhmer, Angew. Chem. Int. Ed. 1995, 34, 713-745. [3] J. Lagona, P. Mukhopadhyay, S. Chakrabarti, L. Isaacs, Angew. Chem. Int. Ed. 2005, 44, 4844-4870. [4] F. Biedermann, V. D. Uzunova, O. A. Scherman, W. M. Nau, A. De Simone, J. Am. Chem. Soc. 2012, 134, 15318- 15323. [5] J. K. M. Sanders, Chem. Eur. J. 1998, 4, 1378-1383. [6] V. D. Uzunova, C. Cullinane, K. Brix, W. M. Nau, A. I. Day, Organic & Biomolecular Chemistry 2010, 8, 2037- 2042. [7] J. Mohanty, W. M. Nau, Angew. Chem. Int. Ed. 2005, 44, 3750-3754. [8] F. Biedermann, E. Elmalem, I. Ghosh, W. M. Nau, O. A. Scherman, Angew. Chem. Int. Ed. 2012, 51, 7739-7743. [9] R. N. Dsouza, A. Hennig, W. M. Nau, Chem. Eur. J. 2012, 18, 3444-3459.

Foto: © Simulation: www.molcad.de

L&M 2 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2013.
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