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L&M-7-2012 > CHEmie-Ranking nein danke!

CHEmie-Ranking nein danke!

Das CHE, das Centrum für Hochschulentwicklung, ist eine in Gütersloh ansässige GmbH, deren Gesellschafter die Bertelsmann Stiftung und die Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz sind. Das CHE verstehtsich (laut eigenen Angaben) als „eine Reformwerkstatt für das deutsche und europäische Hochschulwesen“. Grundgedanke und Leitmotiv des CHE ist die Idee der „entfesselten Hochschule“, die sein ehemaligerLeiter, Prof. Dr. Detlef Müller-Bölling, in einem gleichnamigen Buch im Jahre 2000 vorstellte.

Seit 1998 legt das CHE in jedem Frühjahr eine Rankingliste deutscher und (einiger) ausländischer Universitäten vor, die in der Öffentlichkeit nicht zuletzt deshalb sehr stark wahrgenommen wird, weil sie durch die Wochenzeitung DIE ZEIT in Form eines Studienführers veröffentlicht wird. Das Ranking ist nach Fächern aufgeteilt und soll vor allen Dingen zukünftigen Studierenden dabei helfen, ein ihren Neigungen entgegenkommendes Fach und eine für sie passende Hochschule auszuwählen. Das CHE-Ranking, das sich gegenüber allen in Deutschland durchgeführten Rankings als wichtigstes durchgesetzt hat, erzeugt in Ministerien und Hochschulverwaltungen eine beträchtliche Aufmerksamkeit, weil an und mit ihm angeblich die „starken“ und die „schwachen“ Fächer einer Hochschule erkannt werden können. Die CHE-Rankings sind immer wieder Gegenstand von Artikeln der (Lokal) Presse und werden von hochgerankten Fachbereichen für ihre PRArbeit benutzt. Damit gehen die Resultate dieser Evaluation auch in die Hochschulpolitik ein, was u.a. bei der Verteilung von Mitteln und Stellen eine Rolle spielen kann.

Inwieweit diese Liste für das Fachgebiet Chemie in der Lage ist, den Leistungsstand von deutschen Chemiefachbereichen abzubilden und damit ggf. zukünftigenStudierenden bei der Hochschulwahl zu helfen, ist Gegenstand dieses labor&more-Beitrags.

Die Rankingliste des Jahres 2012 für das Fach Chemie bezieht alle Studienfächer der Chemie ein, so wie sie an den Universitäten und technischen Hochschulen gelehrt werden, jedoch nicht die der Biochemie und der Lebensmittelchemie. Neben den deutschen werden auch einige Universitäten aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden berücksichtigt, was vom CHE als „Internationalisierung“ bezeichnet wird.
Befragt wurden insgesamt 63 Fachbereiche, von denen 60 geantwortet haben. Eine bibliometrische Analyse (sieheunten: Zitationen) wurde vom FZ Jülich durchgeführt; sie beruht im Wesentlichen auf Zitationsdatenbanken des Web of Science (WoS). Das CHE bezeichnet diese Daten, zu denen noch Erfindungsmeldungen kommen, als „Fakten“.
Den Fakten stehen so genannte Urteile gegenüber. Diese ergeben sich einerseits aus Studierendenbefragungen, wobei insgesamt 13 576 Chemiestudenten der Fachsemester 3 – 7 einbezogen wurden. Diese zunächst eindrucksvoll klingende Zahl wird stark relativiert, wenn man erfährt, dass nur 15,4 % der Studierenden die Fragebogen überhaupt beantwortet haben. Andererseits gibt es eine (die allerdings über viel Erfahrung und Kenntnisse verfügenden Emeriti ausschließende) Professorenbefragung, bei der von 902 angeschriebenen Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen immerhin fast die Hälfte (46,1 %) geantwortet haben. Die einzelnen Rücklaufzahlen unterscheiden sich drastisch. Während z. B. von der Humboldt Universität Berlin gerade einmal 19 Studierende ihren (Online-) Fragebogen ausfüllten (niedrigste Zahl in Deutschland), waren es an der Ludwig Maximilians Universität in München immerhin 109. Die meisten anderen Rücklaufzahlen liegen zwischen 20 und 40. Da insgesamt ja fünf Semester erfasst wurden, haben sich durchschnittlich etwa 6 bis 8 Studierende pro Fachsemester beteiligt. Ob ein erfahrener Statistiker dieses noch als relevant bezeichnen würde, sei dahingestellt. Für einen Laien (wie den Autor) dürfte die Faktenbasis des Rankings sehr schmal sein, zumal aus ihr nicht hervorgeht, wie groß die relativen Rücklaufzahlen einzelner Hochschulen waren und wie sich die Antworten auf die Einzelsemester verteilen. Es ist durchaus vorstellbar, dass für einige Semester gar keine Antworten vorliegen.
Abgefragt werden in der Chemie Daten zu insgesamt 20 Kriterien, die von Auslandsaufenthalten der Studierenden der jeweiligen Hochschule, über die Betreuung und die Ausstattung der Bibliothek sowie die Qualität der Labore bis hin zu eher vagen Konzepten wie Studierbarkeit, Wissenschafts- und Berufsbezug reichen. Dass ein Student im 3. oder 4. Semester den Berufsbezug seines Studiums erkennen kann, ist wenig wahrscheinlich. Bei der Frage nach der Laborausstattung dürfte es ähnlich sein, da ja in der Mehrzahl der Fälle das (Anfänger) laboratorium das bis dato einzige sein dürfte, das die jungen Studierenden kennen gelernt haben. Was soll da also ein (notengebender) Vergleich?
Aus diesen Einzelkriterien werden dann 5 Kategorien herausdestilliert, die in der endgültigen Rankingliste der ZEIT erscheinen. Für die Chemie sind dies die Kriterien Forschungsgelder, Zitationen, Ausstattung Praktikumslabore, Betreuung und Studiensituation insgesamt.
Über all diese Kriterien kann man diskutieren, aber genau das erfolgt nicht. Für die Lern- und Leseschwachen unter den zukünftigen Chemiestudenten werden vielmehr die Kriterien nicht in ausführliche und kritische Texte übersetzt, sondern in bunte Farbpunkte. Grün bedeutet Spitze, gelb bedeutet Mittelbereich und babyblau (das zur Ampel fehlende Rot war offenbar zu aggressiv) steht für Schlusslicht. Ein Blick auf die Gesamttabelle lehrt dann, dass Eindhoven bei allen fünf Kriterien Spitze ist (fünfmal grün – bei allerdings nur 16 Rückläufen), gefolgt von der LMU, Jena und Bayreuth bis zu Hamburg (immerhin 44 Rückläufe), das die rote, d. h. blaue Laterne erhält.
Eine die ratsuchenden Abiturienten ernst nehmende Bewertung hätte ihnen erklärt, was z. B. unter Zitationen zu verstehen ist, ob es sich hierbei überhaupt um wissenschaftliche Daten und nicht um fehlerbehaftete Wertungen handelt und was sie mit ihrem Anfängerstudium zu tun haben. Auch Forschungsgelder sind ein überaus komplexer Gegenstand, bei dem man im Übrigen auch einem Anfänger durchaus die Erkenntnis zumuten kann, dass viel Geld nicht automatisch gut ist. Auf jeden Fall nicht besser. Die Erläuterungen zu diesen Themen im „Studienführer“ beschränken sich auf Kürzestsätze, falls sie überhaupt gegeben werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie( DGS) hat jüngst eine sorgfältige fachliche und wissenschaftspolitische Beurteilung des CHE-Rankings (www.soziologie.de/che) für das Fach Soziologie vorgelegt und kommt zu dem Schluss, dass das CHE-Rankinggravierende methodische und empirische Mängel aufweist. Die DGS fordert „die soziologischen Institute an deutschen Hochschulen dazu auf, nicht länger durch ihre Teilnahme an diesem Ranking den Eindruck zu erwecken, dass sie ein empirisches Vorgehen unterstützen, das die Soziologie aus fachlichen Gründen ablehnen muss“.
Für die Chemie gilt Ähnliches und Fachbereiche, Studierende und Kollegen sind gut beraten, zu dieser Umwandlung einer komplexen wissenschaftlichen Realität in drei Farbpunkte nicht weiter (und ohne Vergütung) beizutragen.
Den zukünftigen Chemiestudierenden, die in Deutschland noch immer damit rechnen können, unabhängig vom Ort in gut (im internationalen Vergleich: hervorragend) ausgestatteten Instituten von engagierten Hochschullehrern und -lehrerinnen ausgebildet zu werden, sei geraten, die 7,95 Euro für den Studienführer und vor allen Dingen ihre kostbare Studien-/ Lesezeit für etwas Sinnvolleres auszugeben. Einzelheiten über alle Fachbereiche Chemie erfährt man gründlicher und umfassender auf deren Homepages bzw. über die Homepage der Gesellschaft deutscher Chemiker (gdch.de). Beim Studium der dortigen Seiten wird man zwar nicht unbedingt entfesselt, aber fesselnde und verlässlichere Informationen findet man allemal.

L&M 7 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 7 / 2012.
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