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L&M-2-2011 > Neues aus dem Reich der Pilze

Neues aus dem Reich der Pilze

Allgegenwärtig

Die Mykologie als die Wissenschaft von Pilzen ist so alt wie die Wissenschaften an sich. Schon in der Antike behandelte Theophrastos in der Baum- und Holzkunde Pilze als Pflanzen. Die alten Kulturen Südamerikas wussten die halluzinogene Wirkung von Pilzen für ihre religiösen Zeremonien zu nutzen und in den Kräuterbüchern der Renaissance wurden die Pilze unter anderem von Hieronymus Bock mit „eitlen, überflüssigen Feuchtigkeiten der faulenden Bäume“ beschrieben. Während der frühen Neuzeit prägte Carl Linnæus mit seiner „Systema Naturæ“ die bis heute inklusive für die Pilze gültige wissenschaftliche Nomenklatur der Botanik. Noch immer stellt sich für den Laien die Frage: Sind Pilze Pflanzen oder Tiere? „Weder noch“, lautet die Antwort, wenn man
den Ergebnissen moderner morphologischer und molekulargenetischer Untersuchungen folgt.

Die echten Pilze bilden das eigene Reich Fungi. Man unterteilte bis vor Kurzem die Pilze in vier große Gruppen, die eindrucksvolle Namen wie Ständerpilze (Basidiomycota), Schlauchpilze (Ascomycota), Jochpilze (Zygomycota) und Töpfchenpilze (Chytridiomycota) besitzen. Die als ursprünglich geltende Gruppe der Chytridiomycota wird nach neueren Erkenntnissen in drei separate phylogenetische Gruppen unterteilt. Die Töpfchenpilze verfügen über die erstaunliche Fähigkeit der Fortbewegung, wenn auch nur in einem bestimmten Stadium der Vermehrung, gelten Pilze doch im Allgemeinen als nicht mobil. Eine dieser Gruppen, die Neocallimastigomycota, umfasst alle Pilze, die ausschließlich anaerob (d.h. Sauerstoff ist für sie tödlich) in den Mägen von Wiederkäuern leben.
Die zweite basale Gruppe Zygomycota hat ebenfalls keinen gemeinsamen stammesgeschichtlichen Ausgangspunkt. Gleiche morphologische Merkmale ließen bis vor Kurzem diese Annahme zu. Typisch für die Jochpilze ist die namengebende Struktur zur Bildung der Zygospore während der sexuellen Fortpflanzung. Die Fruchtkörper sind mikroskopisch klein und das Luftmyzel wächst häufig flauschig. Hier findet man viele allgemein als „Schimmelpilze“ bezeichnete Arten wieder.
Der Begriff „Schimmel“ steht allerdings nicht für eine verwandtschaftliche Einheit innerhalb der Pilze. Die bekanntesten Vertreter wie Gießkannen-oder Pinselschimmel gehören zur Gruppe der Ascomycota. Auch ein Großteil der bekannten Hefen gehört in diese Verwandtschaft. Gattungen wie Lorcheln (Gyromitra und Helvella), Morcheln (Morchella) und Trüffel (Tuber) sind Beispiele für die Bildung großer Fruchtkörper. Ständerpilze sind Pilzsammlern durch ihre oft makroskopischen Fruchtkörper bekannt, die im Volksmund als „Pilze“ bezeichnet und oft auch gesammelt und verspeist werden. Diese Fruchtkörper stellen jedoch nur einen Teil des Organismus dar. Die Vertreter der Basidiomycota, wie die der anderen Gruppen auch, bestehen aus einem ausgedehnten Myzel, welches das Substrat durchzieht. Viele aus dem eigenen Garten bekannte Pflanzenschädlinge wie Rost- und Brandpilze gehören ebenfalls in die Gruppe der Basidiomycota. Durch morphologische und physiologische Ähnlichkeiten wurden früher die Eipilze (Oomycetes), die Schleimpilze (Mycetozoa) und die Actinobacteria zu den Pilzen gezählt. Molekulargenetische Studien haben gezeigt, dass diese Organismen keine Vertreter des Reiches Fungi sind. Noch nicht abschließend geklärt scheint die Position der intrazellulären, parasitären Microsporidia, die in die enge Verwandtschaft der Pilze gestellt werden.

Pilz ist nicht gleich Pilz – Aufklarung auf Darwins Spuren

Der eigentliche Organismus eines Pilzes besteht vorwiegend aus dem Myzel, zusammengesetzt aus den Pilzhyphen. Hyphen sind mikroskopisch feine Zellfäden, die fast überall vorkommen können. Dass solche Lebewesen trotzdem sehr groß werden, beweist der mit dem heimischen Hallimasch verwandte Armillaria ostoyae in Nordamerika. Ein Vertreter dieser Art gilt als der größte lebende Organismus der Erde. Gegenüber den filamentösen Pilzen bilden Hefen eine Ausnahme. Während Hyphen aus aneinanderge reihten Zellen aufgebaut sind, wachsen Hefen nur als einzelne Zellen, die sich durch Knospung vermehren. Der Begriff Hefe beschreibt lediglich die morphologische Erscheinungsform und stellt keinen Hinweis auf eine gemeinsame Abstammung dar. Ein bekannter Vertreter ist Candida albicans, ein fakultativ pathogener Organismus, bei dem ein morphologischer Wechsel unter anderem durch verschiedene Temperaturen induziert werden kann. Bei anderen Hefen wie z.B. Saccharomyces pastorianus, einem geläufigen Repräsentanten bei der Bierherstellung, sind Hyphen nie beobachtet worden. Dieses Verwirrspiel der Bezeichnungen durchzieht auch andere Bereiche der Mykologie. So werden unterschiedliche Artnamen für ein und denselben Pilz akzeptiert, wenn neben der Beschreibung für die Hauptfruchtform (Teleomorphe – entstanden aus der sexuellen Vermehrung), auch eine Beschreibung für die Nebenfruchtform (Anamorphe – entstanden aus der asexuellen Vermehrung) existiert. Zur Unterstützung der Aufklärung solcher taxonomischen Problematiken bedient man sich heute neben den klassischen morphologischen Merkmalen vor allem auch physiologischer und molekulargenetischer Marker. Ergebnisse werden häufig von phylogenetischen Studien begleitet – man versucht also auf den Spuren von Darwin die Abstammung der Pilze zu erforschen.

Pilze und die Medizin

Die Kenntnisse über Verwandtschaftsverhältnisse können eine große Hilfe bei der Suche nach neuen Antibiotika, Naturwirkstoffen oder wirtschaftlichen Anwendungen sein. So ist allgemein die pharmazeutische Bedeutung einiger Pilze bekannt. Das erste medizinisch eingesetzte Antibiotikum wurde 1928 von Alexander Fleming durch Zufall entdeckt. Eine unbeabsichtigte Kontamination durch Penicillium notatum auf der Nährbodenplatte hinderte die überimpften Staphylokokken am Wachsen. Den Stoff, der die Bakterien daran hinderte, sich zu vermehren, nannte er schlussfolgernd Penicillin. Pilze bringen dem Menschen in medizinischer Hinsicht aber nicht nur Vorteile, sie können auch Krankheiten verursachen. Sehr langsam weicht das alte Dogma, nur Arten der Gattungen Aspergillus und Candida würden humanpathogen sein. Vor allem immunsupprimierte Patienten sind willkommene Opfer für einige Jochpilze, welche Zygomykosen genannte Pilzerkrankungen hervorrufen können. Hier arbeiten Wissenschaftler vor allem an neuen Diagnoseverfahren, die essenziell für eine Therapie sind.

Vorsicht Pilz!

Nicht unwichtig für Pharmazie und Medizin sind auch die von Pilzen produzierten Naturstoffe. Die bekanntesten sind wohl die Pilzgifte. Schon als Kind bekommt man zu hören, den nicht unattraktiven Fliegenpilz Amanita muscaria var. muscaria stehen zu lassen, obwohl dieser nicht einmal der giftigste Pilz in unseren Gefilden ist. Dabei ist Gift nicht gleich Gift. So wussten schon die alten Azteken in der Nutzung von Arten der Gattungen Stropharia und Psilocybe die Gratwanderung zwischen Vergiftung und Rausch durch Pilze für ihre Belange zu nutzen. Bei Substanzen, die vom Körper nur schlecht oder langsam abgebaut werden können, ist oft nicht einmal der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung offensichtlich.
So blockiert zum Beispiel Coprin aus dem Faltentintling Coprinus atramentarius ein Enzym im menschlichen Körper, das für die Oxidation von Acetaldehyd verantwortlich ist, ein Zwischenprodukt beim Abbau von Alkohol (Ethanol). Dies kann fatale Folgen haben: Noch Tage nach einer üppigen Mahlzeit mit Faltentintlingen kann sich so viel Coprin im Körper befinden, das ein Glas Wein ausreicht, um Vergiftungserscheinungen wie Schwindelanfälle und starke Rötungen im Gesicht hervorzurufen.
Dass Pilze auch für Tiere zum Verhängnis werden können, muss nicht an ihrer Giftigkeit liegen. So gibt es z.B. Nematoden fangende Pilze mit mechanischen Fallen. Tappt ein solcher Wurm in die Falle, gibt es kein Entrinnen mehr. Eine Art Schlinge zieht sich zu und hält ihn fest. Anschließend wird er vom Pilz getötet und verdaut.

Pilz, Mensch und Ameise

Auch in der Nahrungsmittelindustrie spielen Pilze eine sehr große Rolle. Sie sind nicht nur notwendig für die Produktion alkoholischer Genussmittel (Saccharomyces spp.) oder bei der Produktion von hochwertigem Blauschimmelkäse (durch Penicillium roqueforti, einen nahen Verwandten des o.g. Antibiotikaproduzenten). So werden z.B. Zitronensäure, Tempeh oder Sojasoße mithilfe von Pilzen produziert. Aber nicht nur wir Menschen wissen Pilze wirtschaftlich zu nutzen. Ein schönes Beispiel sind die Pilzzuchten der Blattschneiderameisen Südamerikas. Diese zerkleinern die (von ihnen gesammelten) Blätter nicht, um sie selber zu verdauen, sondern nutzen das entstandene Substrat für fürsorglich gepflegte Pilzfarmen aus Vertretern der Gattung Leucoagaricus. Die Ernte besteht letztendlich aus proteinreichen Verdickungen der Hyphen. Diese Symbiose hat ihren Preis: Die Insekten versuchen zu verhindern, dass diese Pilzarten sich sexuell vermehren.

Mein besonderer Dank gilt Dr. Kerstin Hoffmann für ihre Unterstutzung und Mitwirkung an diesem Artikel.

martin.eckart@uni-jena.de

L&M 2 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2011.
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