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EvoDevo - Evolutionsforschung

EvoDevo - Evolutionsforschung

EVOlutionary Theory und DEVELOPmental Biology

Prof. Dr. Paul G. Layer, Professor für Entwicklungsbiologie und Neurogenetik am Fachbereich Biologie der TU Darmstadt

Wer im Darwin-Jahr glaubt, es ließe sich in der Evolutionsforschung nur noch über Darwins Bart streiten, sieht sich getäuscht. Unter der Decke brodelt es mächtig zwischen Evolutions- und Entwicklungsbiologen und die Lehrbücher werden um das Kapitel EvoDevo erweitert. Es will ausdrücken, dass Evolutionary Theory ohne Developmental Biology unvollständig bleibt. Wie entstehen neue Tierstämme wirklich?

Mit der Befruchtung eines Eies durch ein Spermium wird ein Individuum mit einer neuen genetischen Ausstattung begründet. Dieser Organismus muss während seiner Embryonal- und Juvenilphase zunächst heranwachsen. Dabei könnte sich zeigen, dass dieses Individuum sich in gewissen Eigenschaften von seinen Artgenossen deutlich unterscheidet. Es muss sich nun gegenüber den Individuen seiner eigenen und denjenigen anderer Arten behaupten. Falls die jeweiligen Umstände es begünstigen, wird sich dieses Individuum zusammen mit einem geeigneten Partner vermehren und möglicherweise eine neue Population und schließlich eine neue Art begründen. Dies ist Speziation (Artbildung) aufgrund natürlicher Selektion und stellt die Lehre der so genannten Populationsgenetik dar, die von Evolutionsbiologen ab den 40er- Jahren formuliert wurde. Für die Entstehung nah verwandter Arten (Mikroevolution) sind diese Abläufe einleuchtend. Bis heute strittig blieb jedoch die Frage, wie es zur Herausbildung der höheren Tiergruppen ( Makroevolution) kommen konnte wie etwa zur Entstehung von Wirbellosen und Wirbeltieren oder auch nur von Echsen und Schlangen, also generell den Verzweigungen im gesamten Stammbaum.

Kambrische Explosion – Explosion der Tierstämme

Ein wesentlicher Grund, die Mechanismen der Makroevolution zu hinterfragen, ergibt sich aus dem Fossilienbefund. Das Alter weltweiter Funde versteinerter Tiere und Pflanzen aus tiefen Erdschichten lässt sich recht genau bestimmen. Auf der etwa 4,6 Milliarden Jahre alten Erde hat organisches Leben vor ungefähr 3,8 Milliarden Jahren eingesetzt. Während dieser ewig langen Zeiträume ist die Entwicklung des gesamten Stammbaums von Tieren und Pflanzen alles andere als gleichmäßig verlaufen, vielmehr sind im Verlauf der Evolution viele Tierarten ebenso plötzlich und massenhaft aufgetaucht, wie andere verschwunden sind. Eine fulminante Periode, die so genannte kambrische (Arten)-Explosion, hat sich vor etwa 550 Millionen Jahren am Übergang vom Präkambrium zum Kambrium ereignet. In dieser Epoche sind teilweise skurrile Tierarten aufgetaucht, welche de facto alle Baupläne zeigten, nach denen die Systematiker die heute noch lebenden Tierarten gliedern: radiärsymmetrische, bilaterale, insektenartige genauso wie auch schon wirbeltierartige. Die meisten Tierbaupläne sind daher wohl innerhalb einer eher kurzen Zeitspanne (< 2% von 3,8 Mrd. Jahren) entstanden. Dieses Faktum einzuordnen, gibt der klassischen Evolutionsbiologie bis heute Rätsel auf. EvoDevo kann „Makro-Sprünge“ molekular erklären Obwohl die frühen Evolutionsbiologen des 19. Jahrhunderts allesamt Embryologen gewesen waren, hat sich mit der Erkenntnis der Trennung von Keim- und Somabahn und der Entwicklung der Chromosomen- und Genkonzepte die populationsgenetische Evolutionsschule herausgebildet. Auch unter synthetischer bzw. neodarwinistischer Theorie firmierend, gestand sie der Embryonalentwicklung keinerlei Bedeutung mehr im Evolutionsgeschehen zu. Die Fortschritte in der Entwicklungsgenetik seit den 70er-Jahren haben den Blick der Evolutionsbiologen jedoch wieder – nolens volens – auf die Embryologie gelenkt. Diese ungemein produktiven Forschungsfelder konnten einfache Mechanismen aufzeigen, wie es zu Übergängen zwischen sehr unterschiedlichen Tiergruppen als Folge von wenigen Mutationsereignissen gekommen sein könnte. Vor allem während der ganz frühen Embryonalentwicklung eines Tieres können geringe genetische Veränderungen große Wirkungen haben. Je früher bestimmte Genwirkungen in einem Embryo auftreten, desto genereller ist ihre Wirkung für den entstehenden Organismus, je später, desto spezieller. Genau dies ist das Geschäft von EvoDevo.

Ein Spiel mit Molekülen, Modulen und Monstern

Die Entwicklungsbiologie fragt, wie genetische Information in lebende Strukturen umgesetzt wird. Nach der Befruchtung muss zunächst festgelegt werden, wo Kopf und Schwanz, wo der Rücken und Bauch zu liegen kommen und was links und rechts im Embryo wird. Um dies molekular zu verstehen, sind zwei entwicklungsgenetische Konzepte besonders bedeutend, nämlich das von konservierten Signalkaskaden und das der Master-Kontrollgene. Zentral für das Verständnis der Wirkungsweise von Genen ist, dass sie an- und abgeschaltet werden müssen. Diese zeitliche und räumliche Regulation von Genen erfolgt durch Signalmoleküle (meist Proteine, z.B. Wachstumsfaktoren), die aus einer Zelle selbst oder von anderen Zellen im Organismus stammen. Die hierbei wirksamen Signalwege findet man im ganzen Tier- und Pflanzenreich. Besonders bedeutend für die Frühentwicklung eines Organismus ist es, dass Masterkontrollgene elementare Prozesse im jungen Embryo steuern. Hierzu gehört eine Gruppe von so genannten Hox-Genen, die man in allen Tiergruppen findet. Auch sie sind sehr früh in der Evolution entstanden und blieben offenbar über rund eine Milliarde Jahre hinweg völlig erhalten. Wird ihre jeweilige Wirkung nur gering verändert, so kann dies zu drastischen Veränderungen im entstehenden Embryo führen, wie man es an einem spontan auftretenden zusätzlichen Beinpaar (siehe Centerfoldbild) oder der Bildung eines Doppelkopfes (Abb. 1) bei Hühnerembryonen sehen kann.


Abb. 1: Doppelkopf eines Hühnerembryos mit vier Augen, wobei die mittleren zwei Augen nicht vollständig getrennt sind. Hier waren wohl weniger augenspezifische Gene, wie z.B. Pax6 (siehe Text) fehlgesteuert, als vielmehr schon ganz frühe Gene, die eine teilweise Zwillingsbildung angeregt hatten.

Baustelle Auge

Die griechische Mythologie erzählt vom Zyklopen, dem Einäugigen. Wir finden in unseren Hühnerembryonen vermehrt Missbildungen der Augen, finden drei-, vier-, ja fünfäugige Embryonen. Was ist da los? Ein Mitglied der Hox-Genfamilie, das so genannte Pax6-Gen, ist für die Augenentwicklung unverzichtbar. Überall dort, wo dieses Gen angeschaltet wird, ist dies der Befehl für die betroffenen Zellen, genau dort die Baustelle für ein Auge zu eröffnen. Die Informationen zum Bau eines bestimmten Augentyps werden sich aber erst durch nachgeschaltete Signal- und Genkaskaden ergeben müssen. Dieser Befehl gilt praktisch für das gesamte Tierreich, egal, ob es sich um ein Grubenauge einer Schnecke, das Komplexauge einer Fliege, Augen einer „einfachen“ Muschel oder das Wirbeltierauge einer Maus handelt.

Vom Verschwinden der Beine

Ein weiteres Beispiel dafür, wie durch Veränderung weniger Schalter(gene) Makroevolution möglich wird, ist die Entwicklung von Gliedmaßen (Beine, Arme, Flügel). Entlang der Längsachse des Embryos, genau an den Positionen der zukünftigen Gliedmaßen, werden einerseits bestimmte Hox-Gene aktiviert, welche deren Bildung einleiten. Ferner werden – wie für den Embryo einer Echse im Schemabild gezeigt (Abb. 2) – zudem zwischen Vorder- und Hinterextremität die Hox-Gene c6/c8 aktiviert, um in diesem Bereich die Bildung weiterer Gliedmaßen zu hemmen. Haben diese Gene vielleicht etwas damit zu tun, dass Schlangen keine Beine haben? Dass es sich beim Übergang von Echsen zu den Schlangen um einen zweistufigen Prozess gehandelt haben muss, weiß man aus fossilen Schlangenfunden, die noch zwei Hinterbeine aufweisen, ebenso wie es bei den primitiven Schlangen wie den Pythons und Boas, noch angedeutet findet. Tatsächlich hat sich die hemmende Wirkung von c6/c8 bei Schlangen räumlich nach vorne über die Lage der Vorderbeine hinaus ausgedehnt (Abb. 2, Mitte). Dass stammesgeschichtlich jüngere Schlangen (z.B. Vipern) auch noch die Hinterbeinanlagen verloren haben, hängt mit einer zweiten Hox-Gengruppe zusammen, welche die Bildung der Hinterbeine vollends unterdrückt.


Abb. 2.: Wie Schlangen während der Evolution ihre Beine verloren:
Nur zwei genetische Veränderungen waren notwendig, um zunächst durch räumliche Ausbreitung der Hox-Genwirkung 1 nach vorne (Pfeil und Schraffur) die Bildung von Vorderbeinen („alte“ Schlangen, z.B. Pythons) und dann durch eine zusätzliche 2. Hoxgenwirkung (magenta unterlegt) das hintere Beinpaar bei jungen Schlangen zu unterdrücken. Gleichzeitig wurde der Rumpf drastisch verlängert.

Einheit in der Vielfalt

Die Entwicklungsbiologie macht einsichtig, wie die Natur mit einer begrenzten Anzahl von Genen und Signalkaskaden alle Organismen gebaut hat, welche in Jahrmilliarden der Evolution entstanden sind. Durch Kombination weniger molekularer Module ließen und lassen sich beliebig viele Organismen wie aus einem Baukasten „basteln“, die wesentlich – was ihre Evolvierbarkeit angeht – nicht durch äußere Merkmale, sondern durch ihren „molekularen Phänotyp“ gekennzeichnet sind. Die faszinierende Vielfalt in der Natur lässt sich also auf eine verborgene Einheit auf molekularem Niveau zurückführen. Im Fachjargon als deep homology bezeichnet, hat sie schon der große Goethe erahnt, wenn er sagte „Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der anderen: Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, auf ein heiliges Räthsel.“ (Goethe, 1798 in „Metamorphose der Pflanzen“) Die Natur wirft Wesentliches offenbar nicht weg.


Abbildung rechts: Mit einfachen Färbemethoden lässt sich die Normalentstehung
oder auch Fehlbildungen des Skeletts im Embryo bis in kleinste Details verfolgen, wie etwa hier beim Zebrafisch.

Stichwörter:
Biologie, Evolution, Evolutionsforschung, Entwicklungsbioliogie

L&M 5 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2009.
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