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MarViRed: rotes Proteinleuchten ein- und ausschalten

Virales Leuchten aus dem Meer

Spätestens seit der Entdeckung des grün fluoreszierenden Proteins aus der Qualle Aequorea gilt der Ozean als Quelle bunt leuchtender Proteine. Das Farbspektrum des Meeresleuchtens wird nun durch ein rot fluoreszierendes
Protein aus Cyanophagen erweitert. Der besondere Clou: Die Zusammensetzung aus zwei Komponenten macht das Virusprotein zu einem potenziellen molekularen Schalter.

Etwa 71 % der Erdoberfläche sind von

Meeren bedeckt. Ein gigantisches Ökosystem, reich an vielfältigem Leben, aber auch an weitgehend unerforschten Regionen. Gerade diese Kombination macht die Ozeane zu einer attraktiven Spielwiese für Forscher. So sieht die Blaue Biotechnologie die Meere als viel versprechende Quelle für aktive Substanzen zum Einsatz in Medizin, Landwirtschaft, Umweltschutz oder Kosmetik. Der Begriff Blaue Biotechnologie mag die Farbskala der „klassischen“ Grünen, Weißen und Roten Biotechnologien erst seit Kurzem erweitern, erfolgreich praktiziert wird sie jedoch schon seit Jahrzehnten.
Das prominenteste Beispiel dürfte das erstmals 1961 von Osamu Shimomura beschriebene grün fluoreszierende Protein (GFP) aus der Qualle Aequorea victoria sein [1]. Wird dieses Protein mit blauem oder ultraviolettem Licht angeregt, fluoresziert es – wie der Name bereits sagt – grün. GFP lässt sich problemlos an andere Proteine fusionieren und ermöglicht es so, deren räumliche und zeitliche Verteilung in lebenden Zellen, Geweben oder sogar Organismen zu visualisieren. Heute sind das GFP und seine durch Mutationen gewonnenen Varianten unschätzbare Werkzeuge der biologischen und medizinischen Forschung. Folgerichtig wurde die Entdeckung und Weiterentwicklung des GFPs 2008 mit dem Nobelpreis für Chemie an Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien gewürdigt.

Viren: Motoren der Evolution

Neben Quallen und Schwämmen stehen planktonische Organismen im Fokus der Blauen Biotechnologie. Zu Recht, wie der Fall des Cyanobakteriums Lyngbya majuscula zeigt. Dies erwies sich als wahre Fundgrube für die Forscher, die mehr als 200 bioaktive Substanzen wie Antibiotika und tumorinhibierende Stoffe nachwiesen. Bis dato von der Blauen Biotechnologie weitgehend unbeachtet, sind die kleinsten, zahlenmäßig dominierenden „Bewohner“ der Meere: Viren. In einem Milliliter Meerwasser tummeln sich zwischen 6 und 20 Millionen von ihnen. Es gibt Schätzungen, die von insgesamt etwa 1031 Viren in den Ozeanen ausgehen. Trotz ihrer geringen Größe führt ihr zahlreiches Vorkommen dazu, dass Viren nach den Prokaryoten die zweitgrößte marine Biomasse stellen. Viren gelten nicht als Lebewesen im eigentlichen Sinne. Sie verfügen über keinen eigenen Stoffwechsel und bestehen lediglich aus genetischer Information, umgeben von einer Schutzhülle. Zum Zwecke der Vermehrung befallen sie daher einen Wirt und kapern dessen Stoffwechsel. Sind neue Viren produziert, erfolgt deren Freisetzung – und damit in der Regel der Tod der Wirtszelle. Viren üben einen erheblichen Einfluss auf die Diversität ihres Ökosystems aus. Einerseits bestimmen sie die Sterblichkeitsrate mit, andererseits transferieren sie als „Shuttle“ genetische Informationen zwischen zwei Wirten. Schnelle Replikations- und hohe Mutationsraten machen Viren zudem zu kleinen Innovationsfabriken, in denen ständig Gene modifiziert bzw. neu „erfunden“ werden. Kommt es zum Austausch von genetischen Informationen mit dem Wirt, unterliegen diese im Virusgenom also quasi einer komprimierten Evolution. Im Ozean lässt sich dies bei Viren beobachten, die photosynthetische Cyanobakterien infizieren. Die als Cyanophagen bezeichneten Viren verfügen in ihrem Genom über eine Reihe „photosynthetischer“ Gene, die sich auch im cyanobakteriellen Wirt finden. Während der Infektion werden diese Gene abgelesen und so die Photosyntheseleistung und damit die Energieproduktion des Wirtes aufrechterhalten. Vergleicht man jedoch Phagen- und Bakterienversion, zeigen sich erstaunliche Unterschiede. So
kann das Phagenenzym PebS zwei bakterielle Enzyme innerhalb der Biosynthese photosynthetischer Pigmente ersetzen und vereint somit die Aktivitäten von zwei Wirtsproteinen [2]. Dieses „Tuning“ von Wirtsproteinen durch Viren, kombiniert mit dem großen Potenzial einiger mariner Wirtsgenome, könnte die Kleinsten im Meer zu ganz Großen in der Biotechnologie machen.

Lineare Tetrapyrrole: ungeahnte spektrale Weiten

In unserer Arbeitsgruppe an der Ruhr-Universität-Bochum untersuchen wir Phagenproteine cyanobakteriellen Ursprungs. So wurde von uns bereits der bemerkenswerte Reaktionsmechanismus des Phagen PebS in der Pigmentbiosynthese aufgedeckt. Das hierbei gebildete Pigment zählt zu den offenkettigen Tetrapyrrolen, die auch als Biline bezeichnet werden (Abb. 1). In Cyanobakterien sichern bestimmte Helferproteine die korrekte Anknüpfung der Biline an die Lichtsammelkomplexe [3]. Auch diese „Bilinshuttle“ kommen in Phagen vor und wurden durch uns erstmals näher untersucht. Im Gegensatz zu ihren cyanobakteriellen Verwandten weisen die Phagenproteine eine überraschende Eigenschaft auf: Bei Bindung des Bilins entsteht ein rot fluoreszierender Komplex, der von uns als
MarViRed (Marine Virus Red) bezeichnet wurde. Anregungs- und Fluoreszenzmaxima im roten Spektralbereich jenseits der 600 nm, eine große Helligkeit und eine geringe Größe machen MarViRed zu einem potenziell attraktiven Fluoreszenzmarker für den Einsatz in der biologisch/medizinischen Forschung. Dies sah auch die Jury der dritten Runde des Wettbewerbs „Transfer.NRW Science to Business – PreSeed“ des NRW-Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung so und kürte das Projekt „MarViRed – neuartige Fluoreszenzmarker aus marinen Viren“ zu einem der 11 Sieger. Ein Ziel des Vorhabens ist es, MarViRed durch gerichtete Evolution zu einem infrarot fluoreszierenden Protein (IFP) mit einem spektralen Arbeitsbereich jenseits der 650 nm weiterzuentwickeln. Dieser Spektralbereich ist in der Forschung besonders gefragt, da hier die störende Autofluoreszenz biologischer Proben minimiert ist, Gewebe somit „transparenter“ und Wissenschaftlern ein tieferer Einblick in den Organismus ermöglicht wird. Einen viel versprechenden Ansatz zur Entwicklung von IFPs bieten Proteine wie MarViRed, die Biline als Chromophor tragen. Die lange Resonanzkette des Bilins ermöglicht die Nutzung eines Spektralbereichs von derzeit bis zu 750 nm.

MarViRed: ein potenzieller molekularer Schalter?

Neben der Eignung zum klassischen Fluoreszenzmarker verfügt MarViRed über die Möglichkeit, als molekularer Schalter eingesetzt zu werden. So ermöglicht es die reversible Bindung des Bilins in Abhängigkeit vom Faltungszustand des Proteins, die Fluoreszenz von MarViRed quasi „ein-“ oder „auszuschalten“. Dies könnte völlig neue Anwendungsgebiete wie das Echtzeitmonitoring von Prozessen wie Translation, Proteinfaltung oder sogar Infektionen
ermöglichen.

nicole.frankenberg@rub.de

L&M 1 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2011.
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