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Forscher > Prof. Dr. Johannes Buchmann > Internet-Privacy

Internet-Privacy

Etablierung einer Kultur der Privatheit und des Vertrauens

Das Internet ist eine Technologie mit ungeahnten Möglichkeiten. Aber nicht erst seit den Enthüllungen von Edward Snowden steht Privatheit im Internet im Fokus des weltweiten öffentlichen Interesses. Ihre Bedrohung verunsichert die Menschen. Worauf es jetzt ankommt: die Chancen des Internets wahrzu­nehmen, seine Risiken einzuschätzen und Vertrauen zu gestalten.

Chancen wahrnehmen

Kaum eine Technologie hat unser Leben ­schneller und grundlegender verändert als das Internet. Das Internet ist eine große Chance: für Individuen, Unternehmen und Institutionen. Zum Beispiel: Die fast 3 Mrd. Internetnutzer ­haben einfachen Zugang zu einer riesigen Fülle von Informationen und zu komfortabler, preiswerter Kommunikation. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten für Bildung und Demokratie. In der Wirtschaft ermöglicht das Internet eine neue industrielle Revolution. Nach Mechanisierung mit Wasser- und Dampfkraft, Massenfertigung mithilfe von Fließbändern und elektrischer Energie kommen nun die digitalen Unternehmen. Sie werden z.B. in der Lage sein, hocheffizient individuelle Produkte herzustellen.

Risiken einschätzen

Gleichzeitig sind die Nutzerinnen und Nutzer des Internets besorgt. Gerade nach dem, was in den letzten Monaten bekannt geworden ist. ­Digital Natives, die mit dem Internet aufgewachsen sind, befürchten, von anderen Nutzern beobachtet zu werden. Digital Immigrants wie der Autor, die später zur Internetnutzung gekommen sind, fürchten sich vor der Sammlung und Weitergabe ihrer persönlichen Daten durch die Betreiber von Internetdiensten, weil im ­Internet eine neue Währung entstanden ist: Dienste werden nicht mit Geld bezahlt, sondern mit den Daten der Nutzerinnen und Nutzer. ­Digital Outsiders schließlich, der Name spricht für sich, fühlen sich den Gefahren im Internet hilflos ausgesetzt. Dies sind die Ergebnisse von Umfragen, die vor den Snowden-Enthüllungen stattfanden. Bemerkenswert daran ist, dass die Ausspähung durch den Staat dabei noch eine untergeordnete Rolle spielt. Heute gehört sie sicher zu den stärksten Befürchtungen.

Privatheits-Dilemma

Es besteht also ein Dilemma. Den großen Vorteilen des Internets steht Misstrauen der Nutzerinnen und Nutzer gegenüber. Vertrauen ist aber die Grundvoraussetzung dafür, dass das Potenzial des Internets zum Wohl und Fortschritt der Gesellschaft voll ausgeschöpft werden kann. Das Dilemma kann aufgehoben werden, wenn wir es schaffen, eine Kultur angemessener Privat­heit im Internet zu etablieren. Lassen Sie mich diesen Ansatz etwas näher erläutern.

Privatheit

Was ist Privatheit? Die These spricht bewusst nicht von „Privatsphäre“. Dieser Begriff erzeugt die Vorstellung eines vor der Außenwelt geschützten Bereiches. Privatheit wird aber gerade da wichtig, wo Menschen interagieren. In jeder solchen Interaktion zeigen die Akteure manches und verbergen anderes. Wer diesen Text liest, lernt mich als seinen Autor kennen. So zeige ich mich. Gleichzeitig habe ich viele andere Seiten, die ich hier nicht zeige und auch nicht zeigen möchte. Privatheit wird als die Möglichkeit verstanden werden, dieses sich zeigen und verbergen selbst regulieren zu können. Das ist fundamental. Eben auch im Internet, z.B. in sozialen Netzwerken.

Angemessen

Aber was ist angemessene Privatheit? Wie viel sollen wir zeigen oder verbergen? Orientierung bieten drei Grundwerte, die fest in der europäischen Tradition verankert sind: freie Selbst­bestimmung, politische Partizipation und wirtschaftliches Wohlergehen – für die Einzelnen und die Gemeinschaft. Worauf es ankommt: Sich zeigen und verbergen so zu regulieren, dass die genannten zentralen Werte optimal verwirklicht werden können. Diese Abwägung ist Aufgabe für alle. Die einen sehen z.B. große Vorteile in sozialen Netzwerken. Sie haben Zugang zu mehr potenziellen Freunden – das erweitert ihre Selbstbestimmung. Sie können sich mit Gleichgesinnten für ihre politischen Überzeugungen einsetzen. In berufsorientierten Netzwerken erweitern sich die Möglichkeiten, eine passende Tätigkeit zu finden – das ist gut für ihr wirtschaftliches Wohlergehen. Für andere überwiegt die Befürchtung, in sozialen Netzwerken überwacht und manipuliert zu werden – Risiko für Selbstbestimmung, politische Par­tizipation und wirtschaftliches Wohlergehen. Eine solche Abwägung ist nicht nur Aufgabe für die oder den Einzelnen. Sie erfordert einen gesellschaftlichen Diskurs. In diesem Diskurs geht es um Nutzen und Nachteil von Verbergen und sich zeigen. Es geht auch um den Schutz von Schutzbedürftigen, besonders Kindern und Jugendlichen, und um das Interesse der Gesellschaft, das Verbergen da einzuschränken, wo Straftaten verhindert oder aufgeklärt werden müssen.

Kultur

Und wie wird angemessene Privatheit erreicht? Manche scheinen zu denken, die Technik muss es richten. In den letzten Wochen wurde viel darüber diskutiert, ob unsere Verschlüsselungsverfahren noch sicher sind. Zweifellos ist Technik eine wichtige Voraussetzung. Aber Technik alleine reicht nicht. In der letzten Bundestagswahl wurde ein Viertel der Stimmen per Briefwahl abgegeben. Technisch gesehen ist Briefwahl aber nicht besonders sicher. Wer den Wahlbrief öffnet, kann herausfinden, was der Absender oder die Absenderin gewählt hat. Erst durch die Trennung des äußeren Umschlags, der die Wahlberechtigung beweist und des inneren Umschlages, der die Stimme enthält, wird das Wahlgeheimnis gewahrt. Dazu müssen die deutsche Post und die Auszähler vertrauenswürdig sein. Die Kultur in Deutschland garantiert das. Eine entsprechende Kultur muss auch für angemessene Privatheit im Internet sorgen. Wichtige Komponenten sind:
- Bildung, die Menschen befähigt, ihre Privatheitspräferenzen zu bestimmen und umzusetzen.
- Ein Rechtssystem, das Privatheit einklagbar macht.
- Gute Praktiken, z.B. in der Wirtschaft und von Einzelnen, die auch jenseits des gesetzlich Festgelegten Privatheit ­unterstützen.
- Technik, die die Umsetzung von Privatheit ermöglicht.

Wie wird Privatheit beschützt?

Zweierlei ist nötig, um Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Privatheit im Internet zu gestalten. Einerseits Transparenz und Kontrollmöglichkeiten für die Nutzerinnen und Nutzer. Transparenz ist notwendig, um einschätzen zu können, was mit Informationen im Internet ­geschieht, z.B. in sozialen Netzwerken, und welche Risiken entstehen. Kontrollmöglich­keiten erlauben es, eigene Präferenzen auch umzusetzen. Beides ist im heutigen Internet nicht zufrieden stellend. Bspw. greifen manche Apps auf Smartphones auf Adressbücher zu und aktivieren die interne Kamera, ohne darüber zu informieren oder die Möglichkeit zu geben, das abzustellen. Die zweite Bedingung ist genauso wichtig: grundlegende Vertrauenswürdigkeit des Internets. Es muss grundlegende Privatheit garantieren, ohne dass die Nutzerinnen und Nutzer dafür etwas tun müssen. Eigene Kontrolle dient der bewussten Einschränkung oder Erweiterung dieser grundlegenden Privatheit. So sollte Kommunikation im Internet z.B. standardmäßig verschlüsselt werden, ohne dass Nutzerinnen und Nutzer das explizit verlangen. Kommunikation geht nämlich nur die Kommunikationspartner etwas an. Mangelnde Vertrauenswürdigkeit, Transparenz und Kontrollmöglichkeiten führen zu nicht unerheblichen Risiken und hatten in der Vergangenheit negative Folgen. Informationen ­tauchen in nicht beabsichtigten Kontexten auf. So wurden z.B. sexuelle Präferenzen bekannt, ohne dass die Betroffenen das wollten. Informationen bleiben unkontrolliert lange verfügbar, z.B. kompromittierende Partybilder aus der ­Jugend. Identitäten können rekonstruiert werden, obwohl die Nutzer glauben, sie blieben anonym. Das ist bspw. in elektronischen Wahlen problematisch. Diese Risiken haben auch indirekte Folgen: Menschen werden verunsichert und das schränkt ihre freie Selbstbestimmung, politische Partizipation und ihr wirtschaftliches Wohlergehen ein.

Vertrauen gestalten

Es ist also noch viel zu tun, um Privatheit im Internet zu erreichen. Das Bildungssystem muss Internetkompetenz für alle ermöglichen. Diese wiederum sorgt dafür, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene fundiert entscheiden können, was sie zeigen und verbergen wollen und das auch umsetzen können. Sie ist auch die Grundlage für gute Praktiken; z.B. gilt auch im Internet, dass üble Nachrede inakzeptabel ist. Dazu müssen die Schulen Internetkompetenz in ihre Curricula aufnehmen, sei es als Schulfach oder als Querschnittsthema. Dazu muss das Thema Privatheit auch in Studium, Berufsausbildung und Weiterbildung vorkommen, z.B. bei angehenden Ärzten und Juristen. Privatheit im Internet muss noch stärker im Rechtssystem verankert werden. Rechtsnormen müssen Ver­trauenswürdig­keit, Transparenz und Kontrolle im Internet verlangen. Das ist eine besondere Herausforderung, weil die Gesetze je nach Land sehr ver­schieden sind, das Internet aber global. So ist nicht klar, ob die deutschen Datenschutzgesetze für Facebook gelten, weil Facebook aus Irland operiert. Hier ist eine Harmonisierung nötig, die in Europa – bei allen Schwierigkeiten – auch angestrebt wird. Gleichzeitig müssen die An­bieter im Internet dazu verpflichtet werden, die Privatheitsgesetze anzuwenden, die dort gelten, wo die Nutzerinnen und Nutzer sind. Dies erfordert die Transparenz. Zu wissen, welche Regeln im Herkunftsland eines Dienstes gelten, ist für Nutzerinnen und Nutzer unmöglich. Die Wirtschaft, die die Dienste anbietet, muss Privatheit im Internet unterstützen. Vertrauenswürdigkeit des Internets steigt z.B., wenn Dienstanbieter eine qualitätsgesicherte Privat­heitsschutz-Zertifizierung einführen. Sie soll etwa bestätigen, dass Informationen vor dem Zugriff Unberechtigter geschützt werden und nicht unnötig lange verfügbar sind. Auch mehr Kontrollmöglichkeiten sind erforderlich. Nutzerinnen und Nutzern von sozialen Netzwerken soll ermöglicht werden, leicht und ohne große Nachteile den Anbieter zu wechseln, wenn Zweifel am Schutz der Privatheit aufkommen. Die Umsetzung von Privatheit erfordert entsprechende Technik. Wie in den anderen Bereichen ist auch hier noch viel Forschung nötig. So ist heute noch nicht klar, wie Vergessenwerden im Internet technisch realisiert werden soll. Wer heute ein Foto in einem sozialen Netzwerk postet, verliert die Kontrolle darüber, was mit dem Foto geschieht. Nachträgliches und vollständiges ­Löschen ist oft unmöglich. Die Forschung muss auch immer wieder neue Verschlüsselungsverfahren und andere krypto­grafische Techniken erfinden. Einerseits werden immer wieder neue Angriffe gefunden, die vorhandene Verfahren unsicher machen. Andererseits verlangen neue Anwendungen wie bspw. Cloud-Computing neu­-artigen Schutz. An solchen neuen kryptografischen Verfahren arbeitet der Autor dieses Beitrags.

Fazit

Ich bin davon überzeugt, dass das Internet noch ungeahnte Möglichkeiten bietet, das Leben der Menschen zu verbessern. Eine Voraussetzung dafür ist die Etablierung einer Kultur der Privat­heit und des Vertrauens. Sie erfordert einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, zu dem alle beitragen müssen. Ich halte das für möglich.

Bild: © istockphoto.com | Izabela Habur

Stichwörter:
it-sicherheit

L&M 5 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2014.
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