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L&M-9-2015 > Das Glaukom

Das Glaukom

Spielt Autoimmunität eine Rolle?

Das Glaukom, auch „grüner Star” genannt, ist eine der häufigsten Ursachen für irreversible Erblindung weltweit. Durch bislang nicht vollständig geklärte Mechanismen kommt es zum progressiven Verlust retinaler Ganglienzellen. Ein erhöhter Augeninnendruck gilt dabei als der Hauptrisikofaktor für ­Entstehung und ­Progression der Erkrankung. Dennoch kommt es häufig auch nach signifikanter ­Senkung des ­Augeninnendrucks in den Normbereich zum Fortschreiten der Erkrankung. Ein Drittel der Patienten weist zusätzlich niemals erhöhte Augeninnendruckwerte auf. Die Erforschung ­weiterer patho­genetischer Mechanismen und die Entwicklung anderer Therapien sind daher essenziell. Seit einigen Jahren steht die mögliche Beteiligung einer autoimmunen Komponente bei der Glaukom­erkrankung im Fokus unserer Forschung.

Das Glaukom – the „silent thief” of sight

Bei den Glaukomerkrankungen handelt es sich um eine neurodegenerative Erkrankung, die durch ein langsames, aber fortschreitendes ­Absterben von retinalen Ganglienzellen und ­ihren Axonen definiert ist und weltweit eine der häufigsten Erblindungsursachen darstellt [1]. Das Absterben retinaler Ganglienzellen und ­eine Schädigung des Sehnervs führen bei betroffenen Patienten zu Gesichtsfeldausfällen und morphologischen Veränderungen der Sehnervenpapille. Als Hauptrisikofaktor für die Entstehung und Progression des Glaukoms gilt ein erhöhter intraokularer Druck (IOD), aber auch oxidativer Stress [2], zytotoxische Eigenschaften von Glutamat [3], Störungen des Fettstoffwechsels, vaskuläre oder genetische Faktoren können ursächlich für die Erkrankung sein [4]. In den letzten Jahren rückte zudem immer mehr die mögliche Beteiligung natürlich vorkommender Autoantikörper an der Glaukompathogenese in den Fokus der Forschung. So gelang uns durch die Identifikation von krankheits­spezifischen Veränderungen in den komplexen Mustern von Autoantikörpern im Serum von Glaukompatienten der Nachweis einer autoimmunen Beteiligung bei der Glaukomerkrankung. Unser Nachweis von spezifischen Veränderungen in den Mustern der Autoantikörper von Glaukompatienten im Vergleich zu Gesunden eröffnet die Möglichkeit, neue diagnostische und therapeutische Optionen zu entwickeln. Dabei konnten sowohl hoch- als auch herunterregulierte Antikörper detektiert werden [5]. Unklar ist bisher allerdings, ob die veränderten Autoantikörper in einem kausalen Zusammenhang mit der Erkrankung stehen und als Ursache auftreten oder ob ihr Vorkommen als Epiphänomen während fortschreitender neurodegenerativer Prozesse angesehen werden kann. Während hochregulierte Antikörper in klassischen Autoimmunerkrankungen als autoaggressiv angesehen werden, wird bei erniedrigt vorliegenden Antikörpern die Abnahme eines anti-apoptotischen Einflusses und potenziell neuroprotektiver Mechanismen diskutiert [5].


Zusammenfassung des Einflusses von Risikofaktoren und einem Ungleichgewicht der natürlichen Immunität in der Pathogenese des Glaukoms.
verändert nach [5]


Querschnitt durch eine Retina vom Hausschwein. Dargestellt ist eine immunhistologische Färbung von retinalen Ganglienzellen (rot) und TUNEL-positiven Zellen (grün). Die Zellkerne wurden mit Dapi gefärbt und sind blau dargestellt.

Der y-Synuklein-Antikörper besitzt anti-apoptotische Eigenschaften

Ein Autoantikörper, der in Glaukompatienten herunterreguliert ist, ist anti-y-Synuklein [6]. ­Synukleine sind zytosolische Proteine, die in neuronalen Geweben vorkommen und mit der ­Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen assoziiert sind. y-Synuklein zeigt in Sehnerv und Retina von Glaukompatienten im ­Vergleich zu Gesunden unterschiedliche Loka­lisationen, jedoch sind seine physiologischen Funktionen bislang nur unzureichend erforscht. In Zellkulturexperimenten mit neuroretinalen Zellen konnten wir zeigen, dass die Gabe von y-Synuklein-Antikörpern einen positiven Effekt auf die zuvor gestressten Zellen hat, der in einer erhöhten Lebensfähigkeit der Zellen resultiert [6]. Um einen glaukomähnlichen Schaden zu imitieren, wurden die Zellen im Versuchsverlauf durch Gabe von H2O2 bzw. Glutamat gestresst. Während durch die Gabe von H2O2 eine Erhöhung des oxidativen Stresses ausgelöst wird, führt die Behandlung mit Glutamat zu einer toxischen Erhöhung der zellulären Calciumkonzentration. Zur genaueren Analyse der Effekte von y-Synuklein-Antikörpern auf die Proteine neuroretinaler Zellen, sowie zur Untersuchung der involvierten Signalwege wurden massenspektrometrische Analysen der behandelten und unbehandelten Zellen durchgeführt. Dabei konnten wir eine veränderte Expression von Proteinen nachweisen, deren Beteiligung an apoptotischen Signalwegen bereits bekannt ist. Es zeigte sich, dass diese Proteine durch die ­Applikation des y-Synuklein-Antikörpers in einer anti-apoptotischen Weise reguliert werden. Die Ergebnisse der massenspektrometrischen Analysen der Zellkulturexperimente konnten nachfolgend mittels Antikörper-Microarray validiert werden [6].


Immunhistologische Färbung von neuroretinalen Zellen. In Blau sind die Zellkerne dargestellt, grün ist eine Antikörperfärbung gegen 14-3-3 und die Zellwand ist rot angefärbt. Die Antikörperfärbung gegen 14-3-3 zeigt die Lokalisation des Antikörpers in der Zelle. 14-3-3 ist ein weiterer Antikörper, dessen Herunterregulation in unseren Studien mit einem Verlust protektiver Effekte assoziiert ist [9]

Verlust protektiver Eigenschaften durch Veränderungen der natürlichen Autoimmunität

Erhöhte Konzentrationen an Autoantikörpern können bei einer Vielzahl autoimmuner Erkrankungen beobachtet werden und tragen durch autoaggressives Verhalten zu Pathogenese und Progression der jeweiligen Erkrankungen bei. Der Einfluss herunterregulierter Antikörper hingegen ist bislang nur unzureichend untersucht. Unsere Studien zeigen, dass Veränderungen der natürlichen Autoimmunität Einfluss auf regulatorische Eigenschaften neuroretinaler Zellen nehmen. Vermutet wird, dass die Herunterregulation potenziell neuroprotektiver Antikörper die Zellen empfindlicher gegenüber schädlichen Einflüssen macht – wie etwa einem erhöhten IOD, wie er bei vielen Glaukompatienten auftritt [6]. Dieser Effekt lässt sich im Rahmen klinischer Studien auch in humanen Proben beobachten. So zeigen Analysen von Serumproben von Glaukompatienten niedrigere Konzentrationen an y-Synuklein-Antikörpern. Die Herunterregula­tion eines Antikörpers mit neuroprotektivem ­Potenzial könnte demnach die Glaukompathogenese beeinflussen. Allerdings gehen wir ­davon aus, dass der Verlust neuroprotektiver Eigenschaften nicht durch die Regulation eines Antikörpers allein bedingt ist. Vielmehr kann das Zusammenspiel modifizierter Antikörpermuster und der Gesamtheit der daraus resultierenden Veränderungen für die Pathogenese als ursächlich angesehen werden.

Autoantikörper als Biomarker

Der Begriff Biomarker beschreibt „eine Charakteristik, die objektiv gemessen und evaluiert werden kann und als Indikator für normale oder pathogene biologische Prozesse, oder für pharmakologische Reaktionen auf eine therapeutische Intervention dient“. [7] Dabei unterscheiden wir zwischen prädiktiven und diagnostischen Biomarkern. Ziele der klinisch-basierten Grundlagenforschung innerhalb unserer Arbeitsgruppe sind nicht nur ein besseres Verständnis der ­Pathogenese der Erkrankung, sondern auch die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Optionen. Bei Glaukomerkrankungen ist eine Diagnose bislang meist erst sehr spät im Verlauf möglich und viele Patienten ­leiden zu diesem Zeitpunkt bereits unter einer massiven Beeinträchtigung ihres Sehvermögens. Bisher ist es uns möglich, spezifische Auto­antikörpermuster von Glaukompatienten mit einer Spezifität und Sensitivität von etwa 93% von ­Gesunden zu unterschieden [8]. Dies impliziert, dass individuelle Antikörperprofile das Poten­zial besitzen, als hoch spezifische Biomarker bei der Glaukomdiagnostik zum Einsatz zu kommen.

Durch die Untersuchung autoimmuner Veränderungen und den Einsatz von Autoantikörpern als diagnostische Biomarker erhoffen wir uns die Möglichkeit einer früheren Diagnose und damit einhergehend einen möglichst früh­zeitigen Therapiestart.

Perspektiven

Unsere Studien konnten vielversprechende ­Ergebnisse mit den bisher eingesetzten immortalisierten Zellen erzielen. Jedoch sind Studien an Zelllinien einigen Limitierungen unterworfen. In diesem Zusammenhang ist besonders zu erwähnen, dass auch Zell-Zell-Interaktionen, die sich physiologischerweise in der Netzhaut abspielen, etwa zwischen den Müllerzellen und den hier untersuchten retinalen Ganglienzellen, anhand einer Zelllinie nicht untersucht werden können. Daher werden die erhaltenen Ergebnisse in einem nächsten Schritt an einer retinalen Organkultur verifiziert.

Weitere Untersuchungen der veränderten Autoantikörperreaktionen in vivo werden in unserer Arbeitsgruppe anhand eines experimentellen Glaukomtiermodells ermöglicht. Durch die Verödung von Episkleralvenen in Sprague-Dawley Ratten wird dabei ein erhöhter IOD induziert, als dessen Folge die retinalen Ganglienzellen und ihre Axone absterben. Im weiteren Verlauf des Experiments werden dann intra­vitreal potenziell neuroprotektive Antikörper injiziert. Analysen von Serumproben der behandelten Tiere sollen dann zeigen, ob die Ergebnisse der Zellkulturexperimente im Tiermodell validiert werden können.

Fazit

Das Verständnis biochemischer Grundlagen­prozesse ist elementarer Bestandteil bei der ­Erforschung von Krankheiten. Die Glaukomerkrankung geht mit einer Vielzahl an Veränderungen dieser biochemischen Prozesse einher – einige davon sind ursächlich für die Erkrankung, andere treten als eine Folge auf. Wir konnten zeigen, dass die mannigfaltigen molekularen Veränderungen unter anderem modi­fizierte Antikörperreaktivitäten beinhalten, die im Zuge der neurodegenerativen Ereignisse entstehen bzw. diese begleiten. Die Untersuchung dieser Prozesse erlaubt Einblicke in die zellulären und molekularen Vorgänge der Erkrankung und kann helfen, die physiologischen Folgen zu verstehen. Auf dieser Grundlage ist es möglich, neue diagnostische und therapeutische Ansätze zur Behandlung zu entwickeln. Ein Beispiel hierfür sind die komplexen und individuellen Antikörperprofile bei den Glau­komerkrankungen, die künftig als hoch spezifische und sensitive Biomarker in der Diagnostik zum Einsatz kommen könnten.

Die Autoren danken Frau Stefanie Kunst für die Mitarbeit an diesem Artikel.

Literatur
[1] Quigley, H.A. & Broman, A.T. (2006) Br. J. Ophthalmol. 90(3), 262–267
[2] Tezel, G. et al. (2010) Invest. Ophthalmol. Vis. Sci. 51(10), 5071–5082
[3] Dreyer, E.B. et al. (1996) Arch. Ophthalmol. 114(3), 299–305
[4] Lee, S. et al. (2011) Exp. Eye Res. 93(2), 204–212
[5] Bell, K. et al. (2013) Prog. Retin. Eye Res. 36(0), 199–216
[6] Wilding, C. et al. (2014) PLoS One 9 (3), e90737
[7] Biomarkers Definitions Working Group (2001) Clin. Pharmacol. Ther. 69 (3), 89–95
[8] Boehm, N. et al.(2012) Brain Behav. Immun. 26 (1), 96–102
[9] Bell, K. et al. (2012) Invest. Ophthalmol. Vis. Sci. 53 (6), 6592

Weitere Informationen zur Arbeitsgruppe sind unter www.eye-research.org zu finden.

Bild: panthermedia|magann

L&M 9 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 9 / 2015.
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