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Nanobodies - Alpaka-Antikörper

Kleine Antikörper ganz groß

Prof. Dr. Heinrich Leonhardt, Biozentrum, Ludwig-Maximilians-Universität München

Antikörper sind komplexe und hochvariable Eiweißstoffe, die von Zellen des Immunsystems gegen körperfremde Stoffe gebildet werden. Ihre Fähigkeit, Zielstrukturen spezifisch zu erkennen, wird routinemäßig für diagnostische und therapeutische Anwendungen genutzt. Mit neuen Technologien können diese Antikörper jetzt maßgeschneidert und in Mikroorganismen produziert werden. Insbesondere kleine Antikörperfragmente (Nanobodies) eröffnen neue Möglichkeiten, Vorgänge in lebenden Zellen sowie die Wirkung von pharmazeutischen Substanzen zu studieren und zelluläre Prozesse gezielt zu manipulieren.

Effiziente Erkennung

Antikörper sind komplexe Eiweißstoffe und spielen eine zentrale Rolle bei der Immunabwehr des Körpers. Sie werden von spezialisierten Zellen des Immunsystems synthetisiert und bestehen aus zwei schweren und zwei leichten Polypeptidketten, die jeweils eine variable Domäne enthalten. Die Erkennung von körperfremden Stoffen, so genannten Antigenen, erfolgt über die variablen Domänen der Antikörper, die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an ihre jeweilige Zielstruktur binden. Zur effizienten Erkennung von so unterschiedlichen Strukturen wie z.B. pathogenen Viren und Bakterien oder in exotischen Fällen auch Schlangengiften müssen viele Millionen von unterschiedlichen Antikörpern bereitgehalten werden. Diese Vielfalt wird durch die Rekombination von Genabschnitten und somatischen Mutationen erzielt. Bei Bedarf, z.B. nach Infektionen, werden aus diesem Repertoire die jeweils passenden Antikörper ausgewählt und zur Abwehr eingesetzt.

Gezielter Einsatz

Bei der experimentellen Immunisierung, d.h. der Injektion von Antigenen, wird diese Fähigkeit des Immunsystems für die Produktion von spezifischen Antikörpern gegen interessante Zielstrukturen genutzt. Diese Antikörper können dann nach ein bis drei Monaten aus dem Blut der immunisierten Tiere in natürlicherweise begrenzten Mengen isoliert werden. Ein wesentlicher Fortschritt war die Entwicklung von monoklonalen Antikörpern. Dabei werden einzelne Immunzellen, die einen spezifischen Antikörper produzieren, ausgewählt und immortalisiert. Diese Zellen können dann beliebig vermehrt und zur Produktion von unbegrenzten Antikörper mengen eingesetzt werden. Diese Antikörper können biochemisch markiert und zum Nachweis der entsprechenden Zielstruktur in Blut- oder Urinproben (z.B. Hormonen beim Schwangerschaftstest) oder von Tumorantigenen in histologischen Schnitten eingesetzt werden. Mittlerweile werden Antikörper auch in der Therapie eingesetzt, z.B. zum gezielten Blockieren von Tumorwachstum.

Nachweiswerkzeug in lebenden Zellen

Die komplexe Struktur dieser konventionellen Antikörper bedingt allerdings auch einer Reihe von Einschränkungen. Der Aufbau aus vier Polypeptidketten und deren biochemischen Eigenschaften haben bislang Anwendungen dieser großen Antikörpermoleküle in lebenden Zellen verhindert. Zum Antigennachweis müssen daher Zellen zunächst chemisch fixiert und aufgeschlossen, d.h. abgetötet werden. Kürzlich konnten wir jedoch eine Besonderheit des Immunsystems von Kamelen, Lamas und Alpakas ausnutzen, um dieses Problem zu lösen. Diese Tiere haben neben den konventionellen, vierkettigen Antikörpern auch eine kleinere, zweikettige Variante. Wir konnten die antigenbindende, variable (VHH) Domäne dieser kleinen Antikörper mit gentechnischen Methoden isolieren und stabil in lebenden Zellen exprimieren. Diese VHH-Domänen sind extrem stabil und etwa zehnmal kleiner als konventionelle Antikörper, weswegen sie auch Nanobodies genannt werden. Wir konnten diese Nanobodies gentechnisch mit fluoreszierenden Proteinen fusionieren und so molekulare Sonden herstellen, die wir aufgrund der chimären Struktur „Chromobodies“ genannt haben. Mit diesen Chromobodies konnten wir erstmals Antigene, d.h. Zielstrukturen in lebenden Zellen, aufspüren und verfolgen [1].

Viele Informationen aus einer Zelle

Bislang wurde die zelluläre Wirkung bestimmter Reize häufig mit so genannten Endpunktassays untersucht, d.h. am Ende des Experiments wurden die Zellen fixiert und mit Antikörpern bestimmte Zielstrukturen angefärbt. Zeitverläufe können so nur mühsam aus mehreren Proben rekonstruiert werden. Die künstliche Einführung von fluoreszierenden Proteinen ermöglichte erstmals die detaillierte Beobachtung von Vorgängen in lebenden Zellen und erweiterte damit die Möglichkeiten, neue Einblicke und Informationen zu gewinnen. So können routinemäßig drei bis vier unterschiedliche Proteine über Stunden und Tage in lebenden Zellen beobachtet werden und mit morphologischen Parametern wie z.B. Anzahl, Form und Größe der Nukleoli, kombiniert und mit zellulären Funktionen und Reaktionen in Verbindung gebracht werden. Aufgrund des hohen Informationsgehalts werden diese Experimente auch high content-Analysen (HCA) genannt. Mit der Chromobody- Technologie ist es jetzt zusätzlich möglich, prinzipiell alle zellulären Komponenten und deren Modifikation in vivo nachzuweisen und über mehrere Zellteilungszyklen oder nach externer Stimulation zu beobachten. So könnte z.B. nach Gabe eines Wachstumshormons der Weg der Signal- und Botenstoffe in den Zellkern verfolgt werden und mit der Modifikation von Schlüsselfaktoren und der DNA-Replikation in Verbindung gesetzt werden. So können Chromobodies umfangreiche Informationen über zelluläre Prozesse liefern und die Möglichkeiten der HCA dramatisch erweitern. Damit ergeben sich auch völlig neuartige Möglichkeiten, um die Wirkung von pharmazeutischen Substanzen zu untersuchen und mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.

Mikroarray-Anwendungen

Ein weiteres Anwendungsgebiet von Antikörpern ist die biochemische Aufreinigung von zellulären Komponenten und Komplexen. Auch hierbei haben die Nanobodies aufgrund ihres einfacheren Aufbaus mehrere Vorteile. Im Gegensatz zu konventionellen Antikörpern können Nanobodies kostengünstig in beliebigen Mengen in Mikroorganismen produziert werden. Da Nanobodies nur aus einer kurzen Polypeptidkette bestehen, können sie gezielt kovalent an Matrizes wie z.B. Magnet- oder Agarosekügelchen und Chipoberflächen gekoppelt werden. Wir konnten mit solchen Reagenzien (GFP-Trap) GFP-Fusionsproteine und damit assoziierte, zelluläre Komponenten aufreinigen und so spezifische Proteininteraktionen untersuchen [2]. Mit diesem Ansatz sind jetzt interessante Mikroarray-Anwendungen in der Grundlagenforschung und der medizinischen Diagnostik möglich.

Perspektiven für die Wirkstoffentwicklung

Da Nanobodies und deren fluoreszierende Variante, die Chromobodies, in lebenden Zellen exprimiert werden können und dort ihre entsprechenden Zielstrukturen erkennen und binden, ist jetzt eine Vielzahl von völlig neuartigen funktionellen Studien möglich. Prinzipiell können Nanobodies generiert werden, die katalytische oder regulatorische Domänen erkennen und gezielt blockieren und so aufschlussreiche Informationen über deren Funktion in lebenden Zellen liefern. Damit ergeben sich auch für die pharmazeutische Wirkstoffentwicklung völlig neuartige Möglichkeiten, um Zielstrukturen (targets) zu validieren.

Agieren im Zellinneren

Zelluläre Prozesse werden wesentlich durch die Synthese, Modifikation und den Abbau von Proteinen gesteuert. Neben diesen intensiv beforschten Mechanismen spielt aber auch die Faltung eine wichtige Rolle, d.h. die dreidimensionale Struktur der Proteine. Besonders dramatisch zeigt sich die Bedeutung der Proteinfaltung bei der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung und Rinderseuche BSE. In beiden Fällen werden harmlose, körpereigene Proteine nur durch eine Veränderung der Faltung zu tödlichen infektiösen Partikeln (Prionen). Die Bedeutung der Proteinfaltung ist also unstrittig, konnte aber bislang nicht in vivo untersucht werden. In einem Pilotprojekt konnten wir jetzt erstmals zeigen, dass Nanobodies die Proteinfaltung in lebenden Zellen erkennen und verändern können [3]. So konnten wir mit Nanobodies die Faltung und damit die Fluoreszenzeigenschaften des Grün Fluoreszierenden Proteins (GFP) in lebenden Zellen verändern. Diese Beispiele illustrieren die völlig neuartigen Möglichkeiten, mit Chromobodies und Nanobodies zelluläre Prozesse zu visualisieren und zu manipulieren.

Literaturverweise
Rothbauer, U et al. (2006) Nature Methods, 3, 887-9.
Rothbauer, U. et al. (2008) Mol. Cell. Proteomics, 7, 282-9.
Kirchhofer, A. et al. (2009) Nature Struct. Mol. Biol., 17, 133-139.

Ich möchte mich bei Jonas Helma, Dr. Kourosh Zolghadr und Dr. Ulrich Rothbauer für die Hilfe bei der Erstellung der Abbildungen und anregende Diskussionen bedanken.
Portraitphoto: Ramazan Kahveci – Gruppenbild mit Dame: Carolin Bleese

Stichwörter:
Nanobodies, Antikörper

L&M 1 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2010.
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