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chemie&more - Organokatalyse - Katalytische Wasserstoff-Brücken

chemie&more - Organokatalyse - Katalytische Wasserstoff-Brücken

H-Brücken-Netzwerke beschleunigen und steuern Reaktionen

Prof. Dr. Albrecht Berkessel, Department Chemie, Universität zu Köln

Netzwerke von Wasserstoff-Brückenbindungen sind eine der tragenden Säulen der Struktur und Funktion biologischer Systeme. In der jüngeren Vergangenheit hat sich gezeigt, dass H-Brücken-Netzwerke nicht nur für die Aktivität und Selektivität der biologischen Katalysatoren, der Enzyme, entscheidend sind, sondern auch im Bereich der niedermolekularen Organokatalysatoren bemerkenswerte Reaktionsbeschleunigungen und Enantioselektivitäten bewirken können. Katalysen dieses Typs verlaufen nicht über kovalente Katalysator-Substrat-Intermediate, sondern über nicht konvalente, lediglich H-verbrückte Aggregate. Epoxidierung mit Wasserstoffperoxid in fluorierten Alkoholen als Lösungsmittel, peptidkatalysierte asymmetrische Epoxidierung von Chalconen (Juliá-Colonna-Reaktion), enantiomerenreine alpha- und beta-Aminosäuren durch (dynamisch) kinetische Racemattrennung von Azlactonen und Oxazinonen: Diese drei Beispiele sollen aufzeigen, welch unterschiedlichen Transformationen durch H-verbrückende Organokatalysatoren bewerkstelligt werden können und welche Analogien zu enzymatischen Katalysemechanismen bestehen – H-Brücken machen's möglich!

Abb. Hintergrund: Kristallstruktur des 1,1,1,3,3,3-Hexafluoro-2-propanols (HFIP), Vordergrund: Übergangszustand der Epoxidierung von 2-2-Buten mit Wasserstoffperoxid in Gegenwart von drei Molekülen HFIP mit elektrostatischem Potenzial auf molekularer Oberflächen, Blau: H-Brücken
Modellierung: J. Brickmann, P. Duchstein
© Molcad GmbH, Darmstadt

Kovalente nicht kovalente Organokatalyse

Für die organische Synthese hat sich neben Metall-Ligand-Systemen und Biokatalysatoren in der jüngeren Vergangenheit eine dritte Katalysatorklasse etablieren können, deren Entwicklung nach wie vor stürmisch voranschreitet: Organokatalysatoren [1]. Unter diesem Begriff werden kleine (typischerweise < 1000 g/mol) metallfreie organische Moleküle zusammengefasst, die eine Vielzahl organisch-chemischer Umsetzungen mit vielfach extrem hohen Selektivitäten zu katalysieren vermögen. Die eingesetzten enantiomerenreinen Organokatalysatoren sind oftmals in wenigen Schritten aus leicht zugänglichen chiralen Ausgangsmaterialien (z.B. „chiral pool“ von Naturprodukten wie Aminosäuren und Zuckern) herstellbar, was die Organokatalyse auch aus ökonomischer Sicht interessant macht.
Organokatalysatoren können in vielen Fällen als „Minimalversionen“ metallfreier Enzyme betrachtet werden. Wie metallfreie Enzyme (etwa die Hälfte aller derzeit bekannten Enzyme enthält keine katalytisch aktiven Metallatome) dramatische Reaktionsbeschleunigungen hervorrufen können, ist bereits seit Anfang des 20sten Jahrhunderts eine zentrale Fragestellung der organischen Chemie. Für Enzyme und Organokatalysatoren wird nach der Wechselwirkung mit dem organischen Substrat zwischen kovalenter und nicht kovalenter Katalyse unterschieden (Schema 1). So fällt die Aktivierung einer Carbonylverbindung durch Umwandlung zum Enamin oder zum Iminium-Ion in den Bereich „kovalent“, während die Erhöhung der Elektrophilie einer Carbonylfunktion durch Ausbildung von H-Brücken ein typisches Beispiel für nicht kovalente Organokatalyse ist. Die Katalyse der Aldolreaktion durch Ausbildung von Enamin-Intermediaten stellt ein Paradebeispiel für die Verwandtschaft der Organokatalyse mit der enzymatischen Katalyse dar: Während in Klasse-I-Aldolasen eine Lysin-Seitenkette im aktiven Zentrum die katalytisch aktive Amingruppe zur Verfügung stellt, basiert eine typische Klasse von Organokatalysatoren für diesen Zweck auf chiralen sekundären Aminen, mit Prolin als prototypischem Vertreter [1]. Organokatalyse ist, wie gesagt, in vielen Fällen „biomimetisch“. Im Folgenden werden drei von uns untersuchte Beispiele A – C zur nicht kovalenten Organokatalyse beleuchtet, bei denen die Reaktionsbeschleunigung und -steuerung auf der Ausbildung von Netzwerken aus Wasserstoff-Brückenbindungen beruht [2]. Für die beiden letztgenannten Fälle (B und C) werden Analogien zur Funktionsweise der Serin-Hydrolasen aufgezeigt.

A) Oxidationen mit Wasserstoffperoxid in fluorierten Alkoholen

Die Epoxidierung von Olefinen mit Wasserstoffperoxid wird in fluorierten Alkoholen als Lösungsmittel dramatisch beschleunigt [3]. Beipielsweise wird Cycloocten von 50%igem H2O2 in 1,1,1,3,3,3-Hexafluor-2- propanol („Hexafluorisopropanol“, HFIP) bei 60 °C in wenigen Minuten vollständig zum Epoxid umgesetzt, während in 1,4-Dioxan als Lösungsmittel unter gleichen Bedingungen nur minimaler Umsatz resultiert (Schema 2). Ähnliches gilt für die Epoxidierung von 1-Octen in Gegenwart von Phenylarsonsäure als Katalysator. Die Beschleunigung liegt im Fall des Cyclooctens im Bereich von 105! Der fluorierte Alkohol weist nach unserer Studie eine kinetische Ordnung von 2–3 auf, was als Hinweis auf die Beteiligung von 2–3 Molekülen HFIP im Übergangszustand des geschwindigkeitsbestimmenden Schritts gewertet werden kann. Olefin und Oxidationsmittel wiesen jeweils eine kinetische Ordnung von eins auf. Unsere Kristallstruktur von HFIP (siehe Titel Abb. , Hintergrund) zeigt die durchgehende H-Verbrückung in Form endloser Helices [8]. DFT-Rechnungen zu HFIP-Aggregaten haben ergeben, dass aus der in der Kristallstruktur beobachtbaren Clusterung eine kooperative Verstärkung der H-Brücken- Donorfähigkeit resultiert [4]. Der Sauerstofftransfer zum Olefin ist ein einstufiger Prozess, dessen Aktivierungsbarriere durch H-Verbrückung mit dem Lösungsmittel HFIP stark abgesenkt wird.


Abb.1: Übergangszustände der Epoxidierung von Z-2-Buten mit Wasserstoffperoxid in Gegenwart von zwei [TS(b,2), links] und drei [TS(b,3), rechts] Molekülen HFIP [RB3LYP/6-31+G(d,p), ausgewählte Bindungslängen in Å]

Abb. 1 zeigt die optimalen Übergangszustände des O-Transfers von H2O2 auf Z-2-Buten in Gegenwart von zwei bzw. drei Molekülen HFIP (siehe Titel Abb. Vordergrund). Beide Übergangszustände zeichnen sich durch ein Netzwerk von H-Brücken zwischen dem Lösungsmittel HFIP und dem Oxidationsmittel H2O2 aus. Die Sauerstoff-Sauerstoff-Bindung wird durch zwei Wasserstoffbrücken zwischen dem terminalen O-Atom und HFIP polarisiert, es resultiert ein Elektronenmangel am elektrophil angreifenden O-Atom. Eines der HFIP-Moleküle übernimmt das Proton des „zukünftigen Epoxid- O-Atoms“ und es folgt ein barrierefreier Protonentransfer entlang des Wasserstoffbrücken- Netzes, der schließlich zur Bildung eines Moleküls H2O führt. Im Übergangszustand TS(b,3) ist im Vergleich zu TS(b,2) eine Verkürzung (und damit Stärkung) der H-Brücke vom HFIP-Dimer zum terminalen O-Atom des H2O2 zu erkennen. Daraus resultiert eine weitere Absenkung der Aktivierungsenergie. Zusammengefasst kann die Beschleunigung der Olefinepoxidierung in fluorierten Alkoholen wie HFIP durch die Ausbildung spezifischer Muster multipler H-Brücken zum Oxidans H2O2 erklärt werden. Ungespannte Cycloalkanone wie Cyclohexanon (1) können in fluorierten Alkoholen wie HFIP mit Wasserstoffperoxid und einem Säure-Katalysator zum Lakton umgesetzt werden [5 ]. Im Gegensatz zur „normalen“ Baeyer-Villiger-Reaktion verläuft diese Oxidation von Ketonen über ein Intermediat, nämlich [im Fall des Cyclohexanons (1)] über das spiro-Bisperoxid 2 (Schema 3). In HFIP erfolgt – im Gegensatz zu anderen Lösungsmitteln – bei Einwirkung eines Säurekatalysators eine glatte Umlagerung des Peroxids 2 zu zwei Äquivalenten ε-Caprolacton (3). Vorläufige Rechnungen deuten auch in diesem Fall auf eine aktive Teilnahme des Lösungsmittels HFIP am geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Umlagerung hin.

B) peptidkatalysierte Enon-Epoxidierung (Juliá-Colonna-Reaktion)

In den frühen 1980er-Jahren wurde von S. Juliá und S. Colonna berichtet, dass die Epoxidierung von Chalcon (4) mit alkalischem Wasserstoffperoxid (Weitz-Scheffer-Epoxidierung) in Gegenwart von Polyaminosäuren wie Poly-L-alanin oder Poly-L-leucin das Epoxid 5 mit hoher Enantiomerenreinheit liefert (Schema 4). Eine ganze Reihe von Untersuchungen in unserem eigenen Labor sowie dem von S. M. Roberts und D. G. Blackmond weist darauf hin, dass Reaktionsbeschleunigung und Enantioselektion wiederum auf der Ausbildung mehrerer H-Brücken, diesmal zwischen den Edukten (Chalcon, H2O2) und dem N-Terminus des helikalen Peptid-Katalysators, beruhen. Letzterer weist drei NH-Gruppierungen auf, die nicht in intra-helikale H-Brücken involviert sind. Zwei der NHGruppen binden das Carbonyl-Sauerstoffatom des Enons, die dritte das Hydroperoxid- Nucleophil (Abb. 2).


Abb. 2 a) Bindung von Chalcon 4 an den N-Terminus einer L-Leucin-Helix b) Bindung des ?-Hydroperoxyenolat-Intermediats D

Letztlich bestimmt damit der Helizitätssinn des Peptids die Induktionsrichtung. Die Funktion des Peptidkatalysators bei der Juliá-Colonna-Epoxidierung, d.h. Substratbindung, -orientierung und -aktivierung, hat Ähnlichkeit mit der von Enzymen. Tatsächlich hat das H-Brücken-Motiv, das am N-Terminus α-helikaler Peptide gefunden wird und das bei der Juliá-Colonna Epoxidierung als „active site“ dient, Ähnlichkeit mit dem „oxy anion hole“ der Serin- Hydrolasen: Während im letzteren Fall das sog. „tetraedrische Intermediat“ gebunden bzw. stabilisiert wird, ist es im Fall der Enon-Epoxidierung das β-Hydroperoxyenolat als Reaktionsintermediat. Mit anderen Worten kann die bei der Juliá-Colonna Epoxidierung beobachtete Peptidkatalyse auf die Funktion des natürlich evolvierten „oxy anion holes“ zurückgeführt werden [6].

C) Dynamisch-kinetische Racematspaltung (DKR) von Azlactonen, kinetische Racematspaltung (KR) von Oxazinonen

Azlactone (6) sind von α-Aminosäuren abgeleitete 5-Ringheterocyclen, die als N-analoge Anhydride aufgefasst werden können. Oxazinone (7) sind die von β-Aminosäuren abgeleiteten 6-Ring-Homologe.

Azlactone wie auch Oxazinone können mit Nucleophilen geöffnet werden. Bei Verwendung von Alkoholen resultieren N-Acylaminosäureester. Azlactone sind konfigurativ labil, was sie für eine dynamisch-kinetische Racematspaltung, z.B. durch katalytische Ringöffnung mit Alkoholen, interessant macht (Schema 5). Auch in diesem Fall hat sich die nicht konvalente Organokatalyse mit multiplen H-Brücken bewährt: Bifunktionale Organokatalysatoren des Typs 8 sind in der Lage, mithilfe ihrer pseudo-Lewis- aciden Thioharnstoff-Einheit die Carbonylfunktion eines Azlactons oder eines Oxazinons gegenüber nucleophilem Angriff zu aktivieren.

Gleichzeitig kann die Brønsted-basische tertiäre Aminfunktion das Alkohol-Nucleophil durch H-Brückenbildung positionieren und aktivieren. Wie in Schema 6 gezeigt, wurden bei der Ringöffnung des tert.-Leucin-Azlactons 6a mit dem Organokatalysator 8a 95 % Enantiomerenüberschuss im Produkt-Ester erreicht [7,8]. Die abgebildete Katalysatorstruktur 8a resultiert aus umfangreicher Optimierung. Diese fällt bei Organokatalysatoren wie 8 jedoch leicht, da die bifunktionalen Strukturen in wenigen Stufen, ausgehend von leicht erhältlichen enantiomerenreinen Diaminen, i.A. problemlos zugänglich sind. Im Gegensatz zu den Azlactonen 6 sind die Oxazinone 7 konfigurativ stabil. In Gegenwart des bifunktionalen Organokatalysators 8a führt die alkoholytische Ringöffnung zu einer kinetischen Racematspaltung [9]. Der zeitliche Verlauf einer solchen Racemattrennung ist in Abb. 3 wiedergegeben.


Abb. 3 Zeitlicher Verlauf der KR des Oxazinons rac-7a mit Allylalkohol und Katalysator 8a (5 mol-%)

Wie aus Schema 7 ersichtlich wird, erfolgt die Racemattrennung für eine ganze Reihe unterschiedlich substituierter Oxazinone mit hoher Effizienz, Enantiomerenreinheiten der zurückbleibenden Oxazinone 7 von ≥ 98 % ee werden bei Umsätzen erreicht, die nur wenig über 50 % liegen. Wie eingangs erwähnt, sind Oxazinone des Typs 7 aktivierte Derivate der β2- Aminosäuren. Das bei der KR zurückbleibende Oxazinon kann – ohne Aufreinigung und direkt in der Reaktionsmischung – mit Nucleophilen umgesetzt werden, z.B. im Sinne von Kupplungsreaktionen mit Aminosäuren oder Peptiden. Alternativ können durch Hydrolyse die N-acylgeschützten β2-Aminosäuren freigesetzt werden. Letztere sind in dem üblicherweise als Lösungsmittel verwendeten Toluol unlöslich und können durch Filtration gewonnen werden – der Ester entgegengesetzter Konfiguration findet sich im Filtrat. Auch der Verlauf der alkoholytischen Ringöffnung der Azlactone, der von uns mit DFT-Rechnungen untersucht wurde, zeigt Analogien zum Wirkmechanismus der Serin-Hydrolasen: Hier zeigte sich, dass die Thioharnstoff-Einheit der bifunktionalen Organokatalysatoren 8 als „oxy anion hole“ fungiert: Nach Angriff des Alkoholat-Anions trägt das „ehemalige Carbonyl-Sauerstoffatom“ des Azlactons eine negative Ladung, die durch Wasserstoffbrücken zu der Thioharnstoff- Einheit stabilisiert wird. Auch hier treffen wir wieder das Prinzip „Aktivierung durch Polarisierung der Substrate und Stabilisierung der entstehenden Ladungen im Übergangszustand“ an. Biokatalyse und Organokatalyse – H-Brücken machen's möglich!

Literatur
[1] A. Berkessel, H. Gröger, Asymmetric Organocatalysis,
Wiley-VCH, Weinheim, 2005.
[2] A. Berkessel, K. Etzenbach-Effers in P.Pihko (Hrsg.)
„Hydrogen
Bonding in Organic Synthesis“, Wiley-VCH,
2009.
[3] A. Berkessel, J. A. Adrio, J. Am. Chem. Soc., 2006, 128,
13412-13420.
[4] A. Berkessel, J. A. Adrio, D. Hüttenhain, J. M. Neudörfl,
J. Am. Chem. Soc., 2006, 128, 8421-8426.
[5] A. Berkessel, M. R. M. Andreae, H. Schmickler, J. Lex,
Angew.
Chem. 2002, 114, 4661-4664; Angew. Chem.
Int. Ed. 2002, 41, 4481-4484.
[6] A. Berkessel, B. Koch, C. Toniolo, M. Rainaldi, Q. B. Broxterman,
B. Kaptein, Biopolymers: Pept. Sci., 2006, 84,
90-96.
[7] A. Berkessel, F. Cleemann, S. Mukherjee, T. N. Müller,
J. Lex, Angew. Chem., 2005, 117, 817-821; Angew. Chem.
Int. Ed., 2005, 44, 807-811.
[8] A. Berkessel, S. Mukherjee, T. N. Müller, F. Cleemann,
K. Roland, M. Brandenburg, J. M. Neudörfl, Org. Biomol.
Chem., 2006, 4, 4319-4330.
[9] A. Berkessel, F. Cleemann, S. Mukherjee, Angew. Chem.,
2005, 117, 7632-7635; Angew. Chem. Int. Ed., 2005, 44,
7466-7469.

Stichwörter:
Oganokatalysatoren, Wasserstoffbrückenbindung, H-Brücken, Aldolreaktion, Carbonylfunktion

L&M 3 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2010.
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