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Pharmakologisches Knocked Out

Pharmakologisches Knocked Out

Toxikologische und neurobiologische Grundlagen der kriminellen K.O.-Mittelbeibringung

Prof. Dr. Gerold Kauert,
Institut für Forensische Toxikologie, Uniklinikum Frankfurt

In der Forensischen Toxikologie haben Untersuchungen von Körperflüssigkeiten von Opfern, welche von Tätern mit K.O.-Mitteln „betäubt“ wurden, eine lange Tradition und gegenwärtig eine immer aktuellere Bedeutung: Die Fortschritte der Analytik lassen immer geringere Spuren nachweise von K.O.Mitteln möglich werden.

Doch was heißt „betäubt“? Sind die unter K.O.-Mitteleinfluss stehenden Personen wie im Boxring bewusstlos und liegenhandlungsunfähig am Boden oder dort, wo immer sie sich nach der Beibringung aufhielten? Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit den neurobiologischen Grundlagen dieses Phänomens. Zunächst eine kurze Beschreibung für den K.O.- Begriff aus den Lexica:

K.O. : Knock Out
A victory in boxing in which one's opponent is unable to rise from the canvas within a specified time after being knocked down or is judged too injured to continue.

Duden Oxford: (make unconscious), bewusstlos umfallen, Be knocked out:(völlig) fertig sein.

Diese Definitionen passen bis auf die untere zu den subjektiven Beschreibungen von Opfern. „Ich trank ein Glas Sekt, plötzlich wurde mir schwummrig und ich fiel in Ohnmacht……..“ -„als ich aufwachte, wusste ich nicht,wo ich war“, sind im Rahmen polizeilicher Vernehmungen typische Angaben.

Straftaten, zu deren erleichterten Durchführung K.O.-Mittel eingesetzt werden sind sexuelle Nötigungen (Vergewaltigung) und Raubüberfälle (Schmuck, Geld am Körper, Wohnungsdiebstahl nach Betäubung älterer Bewohner, Fernfahrer, Wohnmobil-Insassen). Auch Freiheitsberaubungen durch wiederholte Beibringung von K.O.-Mitteln an eingesperrten Opfern sind begangen worden. Als K.O.-Mittel wurden und werden verwendet: Chloralhydrat, Barbiturate,
Benzodiazepine, Neuroleptika (Clozapin), Tricyclika GHB u.a.

Handelt es sich um typische Schlafmittel wie die Barbiturate und einige Benzodiazepine, so liegt natürlich die Vermutung nahe, dass die Opfer tatsächlich einschlafen und nichts mehr wahrnehmen. Dies ist dann auch der Fall, wenn biorhythmische Situationen mit den Beibringungen koinzidieren: Nachts, wenn die Schlafbereitschaft ohne Substanzeinfluss vorliegt. Auch bei leichten bis mittleren Alkoholisierungen führt die K.O.-Mittelbeibringung zu Tiefschlafsituationen beim Opfer. Aber eben nicht grundsätzlich. Es gibt zahlreiche Fälle, bei denen Personen, die ein K.O.-Mittel aufgenommen haben, aktiv sind, sich bewegen und unterhalten können, Ortswechsel vornehmen, sexuelle Handlungen an sich erdulden, aber von allem nichts wissen.
Dieses Phänomen ist durch das Kardinalsymptom„Amnesie“ begründbar. Es gibt im Wesentlichen 2 Formen der Amnesie: retrograde und anterograde Amnesie, die sich hinsichtlich der Progredienz schematisch wie in Abb. 1 darstellen. Die Amnesie, die durch pharmakologische Noxen bewirkt wird, ist ausschließlich anterograder Art, d.h. sie beginnt mit Wirkungseintritt und dauert dosis-, toleranz- und substanzabhängig mehrere Stunden an. Eine retrograde Amnesie, d.h. zeitlich rückwirkender Form, aus pharmakologischer Ursache kann es nicht geben, wie später noch näher dargelegt wird. Diese lässt sich z.B. durch traumatische Einwirkungen gegen den Kopf(Schädelprellung, Commotio cerebri) hervorrufen, welche auch bis in den anterograden Bereich hineinragen kann. Zum besseren Verständnis der anterograden Amnesie soll ein kurzer Einblick in die Neurobiologie der Gedächtnisverarbeitung beitragen:

Vigilanz und Amnesie

Neurophysiologische Aspekte (Kubicki et al.1985)
Voraussetzung für Gedächtnisleistungen, also für eine Speicherung von Erfahrungswerten und deren Bereitstellung für den Wiederabruf, ist eine bestimmte neuronale Organisation im Zentralnervensystem. Grundvoraussetzung für die Signalverarbeitung mit anschließender Abspeicherung ist eine Mindestgeschwindigkeit des Prozessablaufs. Wird diese unterschritten so erreichen die Signale die einzelnen Analysestufen nicht rechtzeitig und nicht sicher genug. Erreichen sie sie gar nicht mehr, erlischt das Bewusstsein–> unterschiedliche Vigilanzgrade. Grundbedingungen für ein normales Funktionieren des Gedächtnisses sind somit bestimmte Grade an Wachheit. Erlebnisinhalte werden zunächst in den Kurzzeitspeicher aufgenommen, dort unterliegen sie verschiedenen Mechanismen, die eine spätere Abfragestrategie überhaupt ermöglichen. So verarbeitet werden sie dann in den Langzeitspeichertransferiert. An dieser Stelle greifen amnestisch wirksame Substanzen, so auch die K.O.-Mittel ein.
Hirnanatomisch ist an der Gedächtnisverarbeitung der Hippokampus beteiligt, der vor dem Hirnstamm lokalisiert ist. Der Begriff für „K.O.“ wird von Opfern somit nachvollziehbar, und die Subjektiven und realen Zustandsbeschreibungen bei Opfern unter K.O.-Mitteln lassen sich zusammenfassen:

- Konversationsfähig, motorisch weitestgehend unbeeinträchtigt (z.B. aktiver Ortswechsel in Begleitung des Täters typ.: Lokal –> Wohnung)
Aber: anterograde Amnesie, Desorientierung nach Abklingen der Wirkung

- Schlafinduktion am Ort der Beibringunginsbesondere bei biorhythmischphysiologischer Schlafbereitschaft,auch insbesondere bei gleichzeitigerAlkoholisierung. Abnorme Schlafverlängerung.Anterograde Amnesie

- Handlungsfähigkeit erhalten,Widerstandskraft reduziert.

Der forensische Nachweis von beigebrachten K.O.-Mitteln ist für die strafrechtliche Würdigung von sehr großer Bedeutung, gibt es aus forensischer Erfahrung auch Fälle, bei denen die vermeintlichen Opfer aus betrügerischen Motiven heraus behaupten, sie seien betäubt worden. An dieser Stelle ist es für den erfahrenen Sachverständigen wichtig, die Qualität der Erinnerungsstörungen zu prüfen. Eine Amnesie, die durch mehrere Erinnerungsinhalte fragmentiert wird, ist pharmakologisch in der Regel nicht nachvollziehbar. Ausnahme sind Erinnerungsinseln, die durch starke sensorische Stimuli hervorgerufen werden können: z.B. Blitzlichter oder starke Schmerzreize. Darüber hinaus müssen festgestellte Substanzkonzentrationen in den Nachweismedien sorgfältig interpretiert werden, da die Möglichkeit eines bestehenden Substanzmissbrauchs oder auch einer vor Asservatentnahmestattgefundenen eigenständigen K.O.-Mittel aufnahmekasuistische Erfahrung ist.
Die Asservierung von Körperflüssigkeiten wie Blut und insbesondere Urin sollte bei Ermittlungen grundsätzlich erfolgen, auch wenn der Zeitabstand größer ist. Zusätzlich ist seit jüngerer Zeit auch die Haaranalyse zum Nachweis insbesondere zeitlich länger zurückliegender Beibringungen Erfolg versprechend, da durch die Analytik hier enorme Nachweisempfindlichkeiten ermöglicht werden, worüber an anderer Stelle auf diesem Symposium noch ausführlich berichtet wird.

Originalveröffentlichung: XV. Symposium der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie, Aktuelle Beiträge zur Forensischen und Klinischen Toxikologie, GTFCh 2007,
Seite 107–110.

Fotos: © Prof. Dr. Gerold Kauert

L&M 2 / 2008

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2008.
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