Analytik - Der magische Lack einer Stradivari
Analytik - Der magische Lack einer StradivariDie spektroskopische Antwort auf viele SpekulationenDr. Alex von Bohlen, Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften, ISAS e.V. Riskieren wir einen Blick in die Lackküche von Antonio Stradivari. Es wäre töricht, die Hoffnung zu hegen, dort das Geheimnis seiner Lacke in einem kleinen roten Buch zu finden. Er hat, wie so viele Handwerker und Künstler seiner Zeit, nichts Schriftliches hinterlassen. Ob er überhaupt irgendetwas notiert hat, ist auch nicht geklärt. Dennoch hat er seiner Nachwelt die schönsten und bestklingenden Geigen und Celli hinterlassen. Sie sind Zeugnis seines Könnens und sollten alles beinhalten, um dieses, sein „Geheimnis“ zu bewahren. An uns liegt es, dieses „Geheimnis“ zu lüften. Mythos Seinem schönen roten Lack wird seit über 150 Jahren eine geheimnisvolle Wirkung auf den Klang der Instrumente angedichtet. Was macht man als Wissenschaftler in einem solchen Falle? Man untersucht ganz einfach den Lack und versucht dabei so objektiv wie nur möglich zu bleiben. In diesem speziellen Falle ein durchaus schwieriges Unternehmen. Denn trotz aller zerstörungsfreien Untersuchungsmethoden, die uns die instrumentelle analytische Chemie bereitstellt, sehen wir uns gezwungen, eine Probe zu nehmen. Und wer gibt schon freiwillig ein, wenn auch nur winziges, Stückchen seiner Stradivari her? Keiner! Erschwerend kommt noch hinzu, dass viele der häufig gespielten Instrumente durch den Gebrauch abgenutzt werden und von Zeit zu Zeit einer Auffrischung unterworfen werden müssen. Mit anderen Worten, der Lack wird nachgebessert und poliert. So besteht zu Recht ein gewisser Zweifel an der Originalität des Überzuges. Den Ausweg bieten demnach nur noch Instrumente, die selten gespielt werden, also keine acht Stunden am Tag, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Solche Instrumente befinden sich oft in Museen, wohl behütet, regelmäßig, aber dezent gespielt und mit etwas Glück noch mit dem Originalüberzug versehen. Das Problem der Probenahme bleibt aber bestehen. Nach langen Verhandlungen durften wir vier Geigen und den Kopf einer Viola d’amore von Antonio Stradivari, die das Musée de la musique in Paris seit über einhundert Jahren sein Eigentum nennt, beproben. Die entnommenen Stücke waren nicht größer als ein metallener Stecknadelkopf. Diese Proben wurden mit einem Ultramikrotom in zwei bis fünf µm dünne Scheibchen geschnitten und nach und nach mit ausgewählten, sich ergänzenden Verfahren untersucht.
Synchrotron & Co. Wie geht man vor, wenn man diese winzigen, unbezahlbaren Proben untersuchen möchte? Natürlich mit den empfindlichsten Verfahren, die einem zur Verfügung stehen. Unsere Strategie, die größtmögliche Informationsmenge zu erhalten, war einfach: „Harmlose“ Verfahren an den Anfang zu stellen und als Schlusslichter diejenigen einzusetzen, die die Proben unwiederbringlich verbrauchen. Also in der Reihenfolge: Lichtmikroskopie, FT-IR-Spektrometrie mit Synchrotron-Strahl-Anregung, Raman-Spektroskopie, Rasterelektronenmikroskopie mit energiedispersiver Röntgen-Detektion und Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie. Die lichtmikroskopischen Durchmusterungen im sichtbaren wie auch im ultravioletten Bereich brachten als Erstes zu Tage, dass es sich bei allen fünf Objekten um einen Lack im Zweischichten-System handelt. Und dies, obwohl die Instrumente eine Spanne von 30 Jahren (1692–1724) im Schaffen des Antonio Stradivaris umfassen. Dabei fällt die geringe Dicke der ersten Schicht (10 bis 30 µm) auf, die direkt auf das Holz aufgetragen wurde. Aus den nun folgenden Analysen mit Sy-FT-IR und Raman- Spektroskopie wurde diese erste Schicht als reine Ölschicht eines trocknenden Öls erkannt. Dagegen ist die zweite Schicht ein Öl/Harz-Gemisch (Abbauprodukte von Triglyceriden, Azelainsäuren, Suberinsäuren und anderen). Diese sind Biomarker für Pinaceae-Harze. In ihr konnten wir verschiedene Pigmente bestätigt. Ein weiterer Befund ist das Fehlen von proteinhaltigen Zutaten in beiden Schichten, also keine Proteine, Gumen oder Wachse. Die Rasterelektronenmikroskopie mit angeschlossener Röntgenanalyse und die Raman-Spektroskopie brachten neue Erkenntnisse zu organischen und anorganischen Pigmenten, die Stradivari seinem Lack hinzugegeben hat. Es konnten eindeutig Eisenverbindungen (Fe2O3, Fe3O4) und Aluminium, Sauerstoff mit Karminsäure (diese aus Cochenille auf Aluminiumsubstrat im Lack) nachgewiesen werden. So konnten wir, unterstützt durch eine sinnvolle Kombination von modernen Analysenmethoden, zeigen, dass die Stradivari- acke aus gebräuchlichen zeitgemäßen Produkten, die jedermann zur Verfügung standen, hergestellt wurden 1,2. Weder eine geheimnisvolle noch eine exotische Substanz wurde hinzugemischt, die einen Einfluss auf den außergewöhnlichen Klang der Instrumente hätte haben könnte. Natürlich bleiben noch viel Fragen offen, so zum Beispiel: Wie wurden diese Lacke zubereitet oder wie wurden sie aufgetragen und getrocknet? Diese Fragen lassen sich leider nicht so einfach beantworten, denn z.B. lässt sich der Alterungsprozess über drei Jahrhunderte nicht im Labor in einigen Wochen oder Monaten nachahmen. Weiterhin kennen wir den Reinheitsgrad der einzelnen Substanzen nicht. Diese hat zur Folge, dass eine gewisse Unsicherheit im modernen „Nachkochen“ solcher Lacke besteht.
Fazit Es ist und bleibt eine Herausforderung, kleinsten Proben ein Maximum an Informationen zu entlocken, auch wenn man Spezialisten und modernste Technologie einsetzt. Im Falle des Geigenlackes von Antonio Stradivari konnten wir keinen Grund finden, ihm eine geheimnisvolle Substanz anzudichten, die den besonderen Klang der Instrumente erklären könnte. Das „Geheimnis“ muss ein anderes sein. Wir können nur konstatieren: Antonio Stradivari war eine Ausnahmeerscheinung, ein exzellenter Handwerker mit einmaligem künstlerischen Blick, der im Dienste der Musik perfekte Arbeit leistete.
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