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Kommentar zur Transplantation

Eine historische Chance

Transplantation ist eine gute Sache. Mit der Transplantation eines Herzens, einer Lunge oder einer Leber kann man unmittelbar das Leben eines Patienten retten, der sonst sterben müsste. Aber auch mit der erfolgreichen Transplantation einer Niere kann man die Lebenserwartung eines Dialysepatienten bis zu verdreifachen. Und mit der Transplantation einer Bauchspeicheldrüse kann man Diabetes heilen und diabetische Spätschäden wie eine Erblindung vermeiden.

Doch trotz aller chirurgischen, medizinischen und pharmakologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte werden die Ergebnisse der Transplantationsmedizin in Deutschland immer schlechter. Die Überlebenszeiten der transplantierten Patienten nehmen ab und sind im europäischen Vergleich beschämend niedriger. Denn 25.000 potenziellen Organempfängern stehen weniger als 1.300 Organspender jährlich gegenüber. Und das bedeutet, dass in Deutschland Spenderorgane für eine Transplantation akzeptiert werden müssen, die man in vielen (auch deutlich ärmeren) Ländern der Welt nicht akzeptieren würde, weil sie für den Empfänger nur suboptimal geeignet scheinen. Viele Patienten sind von dieser aussichtslosen Lage so frustriert, dass sie sich für eine Transplantation gar nicht mehr registrieren lassen. So steht beispielweise nur ca. jeder zehnte deutsche Dialysepatient auf der Warteliste zur Transplantation, weil er weiß, dass er durchschnittlich sieben Jahre auf ein Spenderorgan warten muss. Anderswo ist diese Rate an Wartelistenpatienten bis zu dreimal so hoch und werden mehr als 70 % aller Dialysepatienten im Laufe ihres Lebens transplantiert. Zu den 1.000 Patienten, die in Deutschland auf der Warteliste zur Transplantation jedes Jahr sterben kommen 1.000 weitere, die von den Wartelisten wieder abgemeldet werden, weil sie für eine Transplantation zu krank wurden. Es stirbt damit alle 4 Stunden in Deutschland ein Patient, dem man eigentlich gut hätte helfen können. Dies wäre nicht nur eine medizinische Pflicht gewesen, sondern vor allem eine humane. Nicht zuletzt Artikel 2 des Grundgesetzes sagt:

„Jeder hat das Recht auf Leben“!

Der Grund für die schlechte Situation in Deutschland ist, dass die Rahmenbedingungen der Transplantation in Deutschland schlechter sind als in den meisten Nachbarländern. Und damit können wir uns nicht zufriedengeben, weder die Transplantationsmediziner noch wir alle als Gesellschaft in Deutschland. Mit der anstehenden Novellierung des Transplantationsgesetzes besteht eine echte Chance, die Situation der Patienten zu verbessern. In einem offenen Brief bat die Deutsche Transplantationsgesellschaft deshalb vor Kurzem alle Abgeordnete des Deutschen Bundestages, echte Verbesserungen am Transplantationsgesetz vorzunehmen. Für die Neuregelung der Organspende schlägt die Deutsche Transplantationsgesellschaft die Einführung der Widerspruchsregelung vor. Diese existiert erfolgreich in der Mehrzahl der europäischen Länder und ist auch in Deutschland ethisch, medizinisch und verfassungsrechtlich möglich. Dies sagen nicht nur die Mediziner, sondern auch viele andere Experten, die sich mit dem Thema Transplantation befassen. Mit einer Widerspruchsregelung entscheiden prinzipiell alle Menschen selbst und vor allem zu Lebzeiten, ob sie Organspender sein wollen oder nicht (und nicht die Angehörigen, die aktuell fast immer die Entscheidung zur Organspende treffen müssen). Wie auch in den anderen Ländern würde eine Organentnahme immer nur nach Information der Angehörigen und nicht gegen deren Willen erfolgen.
Mit einer Widerspruchsregelung ist immer auch die Einführung eines Registers verbunden, in das sich alle Personen eintragen lassen, die keine Organe spenden wollen. Ein solches Register nimmt den Menschen die größte Sorge im Zusammenhang mit dem Thema Organspende, nämlich zu früh zum Organspender erklärt zu werden. Denn es wird erst nach Eintritt des Todes den Ärzten bekannt, ob ein Patient Organspender ist oder nicht. Im Gegensatz dazu bleibt bei Beibehalten der Organspendeausweise oder der Einführung eines entsprechenden Vermerks auf der Versichertenkarte die Entscheidung für oder gegen eine Organspende letztendlich niemals geheim. Aber auch jede andere Regelung wird von den Transplantationsmedizinern unterstützt, sei es, dass man sie Selbstbestimmungslösung oder Erklärungsregelung nennt, wichtig ist alleine, dass am Ende eine wirkliche Verbesserung der aktuellen Situation erfolgt. Mit einer einmaligen Befragung zur Organspende wird man aber leider nichts erreichen können: In Deutschland werden derzeit im Jahr ca. 2,5 Millionen Führerscheine ausgestellt. Man würde also 20 Jahre benötigen, um 50 Millionen Deutsche zu befragen.
Neben der Änderung der gesetzlichen Grundlage für eine Organspende sind aber weitere Verbesserungen dringend notwendig, um die Versorgung der Patienten zu verbessern: So genannte Transplantationsbeauftragte müssen verpflichtend für alle Krankenhäuser eingeführt werden, damit potenzielle Organspender überhaupt erkannt und gemeldet werden.
Aktuell erhalten Krankenhäuser für die Durchführung einer Multiorganentnahme erheblich weniger Aufwandsentschädigung als für vergleichbare Operationen. Diese nicht kostendeckende Finanzierung der Organspende könnte eine Ursache der niedrigen Quote der Meldung von Organspendern sein und sollte dringend angepasst werden. Klare Regelungen zur Qualitätskontrolle und Nachsorge nach Transplantation sind unumgänglich, um in Anbetracht des eklatanten Mangels an Spenderorganen den Erfolg von Transplantationen zu sichern.
Aufgrund der langen Wartezeiten zur Transplantation bitten zunehmend mehr Patienten ihre nahen Angehörigen, ihnen zu Lebzeiten ein Organ zu spenden. Diese so genannten Lebendorganspender sind aktuell für viele Patienten der einzige Ausweg, um schnell ein geeignetes Organ zu erhalten. Speziell bei Kindern sind es zumeist die Eltern, die den dringenden Wunsch haben, ihnen eine Niere oder einen Teil der Leber zu schenken, um ein Weiterleben zu ermöglichen. Prinzipiell ist jeder Lebendorganspender für medizinische Folgen der Organspende über die Krankenversicherung des Empfängers und für weitere Folgen über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Dennoch stellt ein aktuelles Sozialgerichtsurteil insbesondere letzteres wieder infrage. Es sollte deshalb eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit sein, alle Lebendorganspender maximal abzusichern.

Mit der in den nächsten Monaten anstehenden Novellierung des Transplantationsgesetzes haben die Parlamentarier des Deutschen Bundestages eine historische Chance, das Leben bzw. das Überleben zehntausender Patienten zu sichern. Hoffentlich wird diese Chance nicht vertan.

Foto: © Prof. Dr. Bernhard Banas

L&M 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2012.
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