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Die Umgebungsfarbe verändert den Geschmack von Wein

Hinter’s Licht geführt

Dr. Daniel Oberfeld-Twistel, Franziska J. Baldauf und
Prof. Dr. Heiko Hecht,
Psychologisches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Farbe eines Nahrungsmittels hat Auswirkungen auf dessen Geschmack. Vor allem dann, wenn die Farbe des entsprechenden Lebensmittels von der eigentlich gewohnten abweicht, ist der Geschmack häufig stark verändert. Auch einer der Autoren dieses Artikels wurde unfreiwillig zum Opfer dieser Täuschung: Am St. Patricks Day ist es in Irland üblich, grün eingefärbtes Bier zu servieren. Dass dieses Getränk in seinem neuen farblichen Antlitz überhaupt nicht mehr nach Bier schmeckt, davon kann Heiko Hecht nun ein Lied singen.

Erstaunlicherweise lassen sich von diesem Phänomen nicht nur „Geschmackslaien“, sondern auch Experten täuschen: So glauben selbst geübte Weinkenner, in einem Weißwein Rotweinaromen zu erkennen und zwar lediglich deshalb, weil der Wein mit einer geschmacksneutralen Lebensmittelfarbe rot eingefärbt wurde [1]! Diese Wahrnehmungstäuschung ergibt sogar einen Sinn: Lebensmittel, deren Farbe von der gewohnten abweicht, könnten verdorben sein und damit dem Organismus Schaden zufügen. Vielleicht beruht die enge Interaktion zwischen visuellem System und Geschmack und Geruch auf einem inneren Warnsystem, sodass wir vor Schäden durch unsere Nahrungsaufnahme geschützt sind.

Beeinflusst die Umgebungsfarbe den Geschmack?

Die Farbe unserer Umgebung, in der wir das Lebensmittel zu uns nehmen, sollte allerdings irrelevant sein, da sie keine Information über die Qualität des Lebensmittels enthält. Dennoch war unser späterer Kooperationspartner Ulrich Allendorf vom Weingut Fritz Allendorf (Rheingau) felsenfest davon überzeugt, dass ein und derselbe Riesling unter grünem Licht unangenehm sauer schmeckt, während er unter rotem Licht plötzlich Aromen von roten Früchten entwickelt. Verändert sich also der Geschmack eines Getränks unter unterschiedlicher Umgebungsbeleuchtung auch dann, wenn die Farbe des Getränks selbst nicht verändert wird? Wir haben diese über bisherige Erkenntnisse weit hinausgehende Hypothese in mehreren kontrollierten Experimenten überprüft [2]. Um auszuschließen, dass die Beleuchtungsfarbe indirekt über die Farbe des Weins wirkt, verwendeten wir dabei undurchsichtige schwarze Weingläser (siehe Foto der Autoren), in denen die Farbe des Getränks nicht erkennbar ist und somit auch das farbige Licht keine Veränderung in der Getränkfarbe verursachen kann.

In rotem und blauem Umgebungslicht schmeckt Wein besser

Experiment 1 war ein groß angelegtes Feldexperiment und fand in einem speziell konstruierten Farbraum des Weinguts Allendorf statt. Hier wurden über 150 Besucher des Weinguts getestet. Jeder Teilnehmer verkostete denselben Riesling unter genau einer Umgebungsfarbe (Rot, Blau, Grün oder neutrales Weiß). Die Helligkeit war in allen Beleuchtungsbedingungen konstant. So war es möglich, einen potenziellen Einfluss des Farbtons zu untersuchen. Die Teilnehmer bewerteten den Wein hinsichtlich verschiedener Kategorien. Unter anderem gaben sie ein globales Geschmacksurteil auf einer Ratingskala mit den Endpunkten „Ich mag den Wein gar nicht“ und „Ich mag den Wein sehr gerne“ ab. Tatsächlich hatte die Umgebungsfarbe einen statistisch signifikanten Einfluss auf dieses globale Urteil. Wie Abb. 1 zeigt, wurde der Wein unter blauem Licht als besser schmeckend beurteilt als unter weißem oder grünem Licht.


Abb. 1 In Experiment 1 erhobenes mittleres globales
Geschmacksurteil in Abhängigkeit von der Umgebungsfarbe. Die Probanden schätzten den Wein mittels der auf der vertikalen Achse zu sehenden neunstufigen Antwortskala ein. Fehlerbalken: Standardfehler des Mittelwerts.

Was wirklich überraschend war: Die Teilnehmer gaben im Mittel bei rotem Licht an, dass sie über einen Euro mehr für eine Flasche desselben verkosteten Weins zahlen würden als bei grünem Licht (Abb. 2).


Abb. 2 In Experiment 1 gaben die Teilnehmer an, wie viel sie bereit wären, für eine Flasche des verkosteten Weins zu zahlen. Die Grafik zeigt den mittleren maximalen Kaufpreis unter den vier Umgebungsfarben. Fehlerbalken: Standardfehler des Mittelwerts.

Die Umgebungsfarbe verändert das Aroma von Wein

In Experiment 2 wurde eine einfache Versuchsaufgabe verwendet, die auch „Weinlaien“ problemlos ausführen können. In einem so genannten Paarvergleichsexperiment probierte jede der insgesamt 230 Versuchspersonen zwei Gläser mit demselben Wein, jedoch unter unterschiedlicher Beleuchtung. Das erste Glas wurde z. B. unter roter Beleuchtung getrunken, das zweite Glas dann unter blauer. Abschließend gaben die Probanden an, welcher Wein süßer und welcher fruchtiger geschmeckt hatte. Die Versuchspersonen wussten dabei nicht, dass sie zweimal denselben Wein verkosteten. Aus den Daten wurden mittels eines stochastischen Modells [3] Skalenwerte für die Fruchtigkeit und die wahrgenommene Süße geschätzt. Wie Abb. 3 zeigt, schmeckte ein und derselbe Wein im roten Licht ca. 1,5-mal süßer und fruchtiger als im blauen Licht. Die Umgebungsfarbe beeinflusst also nicht nur die globale Geschmacksqualität, sondern auch spezifische Aromadimensionen.


Abb. 3 Mittlere wahrgenommene Süße (links) bzw. Fruchtigkeit (rechts) unter den drei Umgebungsfarben in Experiment 2. Fehlerbalken:
95 %-Konfidenzintervalle.

Bestimmen Emotionen den Geschmack?

Was ist die Ursache für den Effekt der Umgebungsfarbe? Schmeckt uns Wein besser, wenn wir die Umgebungsfarbe als angenehm empfinden? In Experiment 3 wurde diese mögliche Erklärung getestet. Die Probanden beurteilten nicht nur den Geschmack des Weines, sondern bewerteten bei jeder Lichtfarbe auch ihren momentanen emotionalen Zustand. Im Mittel wurde das blaue Licht als am angenehmsten beurteilt, dies entspricht auch den bekannten Farbpräferenzen von Erwachsenen in westlichen Kulturen. Es gab jedoch keinen simplen, linearen Zusammenhang zwischen der Angenehmheit der durch das Licht induzierten Emotionen und dem globalen Geschmacksurteil. Was ist dann die Ursache für die Effekte der Umgebungsfarbe? Möglicherweise sind sozusagen hart verdrahtete physiologische Verknüpfungen zwischen den Sinnesmodalitäten beteiligt. So gibt es im Gehirn multimodale Neurone, die auf die Kombination von Farbe und Geruch reagieren [4]. Auch Kognitionen könnten eine Rolle spielen. Beispielsweise könnte grünes Licht mit Unreife, rotes Licht dagegen mit reifen Früchten assoziiert werden. Hier steht die Forschung noch am Anfang.

Unser Geschmack- und Geruchssinn lässt sich hinter’s Licht führen

Sollten Sie also das nächste Mal in einer modernen, pink illuminierten Cocktailbar Ihren Lieblingswein bestellen, so wundern Sie sich nicht, wenn dieser anders schmeckt als gewohnt. Vermutlich liegt das nicht nur an Ihrer gelösten Stimmung, sondern auch an der artifiziellen farbigen Beleuchtung Ihrer Umgebung. Und wer hat noch nicht erlebt, dass ein Wein im Urlaub begeisternd intensiv schmeckt, zuhause im heimischen Wohnzimmer aber enttäuscht? Auch hier könnte es durchaus sein, dass die Unterschiede im Umgebungslicht zu diesem Phänomen beitragen – denken Sie an einen Sonnenuntergang am Mittelmeer im Vergleich zu einem grauen heimischen Novembernachmittag. Selbst in einigen Sensoriklabors der Lebensmittelindustrie wird – in guter Absicht – rotes Licht verwendet, um die Farbe der zu beurteilenden Lebensmittel zu maskieren. Unsere Ergebnisse mahnen hier zur Vorsicht und legen nahe, dass eine professionelle Verkostung unter neutraler Hintergrundbeleuchtung stattfinden sollte, um systematische Beeinflussungen des Aromas auszuschließen. Aber probieren Sie zuhause doch ruhig einmal aus, unter welcher Umgebungsfarbe Ihnen Ihr Lieblingswein am besten schmeckt …


Literatur
[1] Morrot G, Brochet F, Dubourdieu D. 2001. Brain Lang.
79:309-20
[2] Oberfeld D, Hecht H, Allendorf U, Wickelmaier F. 2009.
Journal of Sensory Studies 24:797-832
[3] Bradley RA, Terry ME. 1952. Biometrika 39:324-45
[4] Österbauer RA, Matthews PM, Jenkinson M, Beckmann CF,
Hansen PC, Calvert GA. 2005. J. Neurophysiol. 93:3434-41

Stichwörter:
Wein, Psychologie, Farbwirkung

L&M 1 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2010.
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