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L&M-7-2014 > Bildbasierte Zytometrie – eine Technologie erobert die Zellkultur

Bildbasierte Zytometrie – eine Technologie erobert die Zellkultur

Sternenkarten und Petrischalen

Die Kultivierung von Zellen ist für wissenschaftliche Untersuchungen und ­medizinische Anwendungen unverzichtbar geworden. Vom einfachen Substanztest bis zu künftigen autologen Zelltherapien basieren Zelltechnologien auf der kontrollierten Vermehrung von Zellen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist eine nichtinvasive Charakterisierung der gezüchteten Zellpopulation. Neue ­Methoden der bildbasierten Zytometrie bilden dafür eine ideale Plattform­technologie.

Zellen sind überall. Nicht nur in unserem Körper und gerade beim Lesen dieses Textes sind sie uns zu Diensten. Sie übernehmen auch außer­halb ihres Heimatorganismus eine zunehmend wichtigere Rolle. Zellkulturen werden im Labor gebraucht, in der Medizin und in der kosmetischen Industrie; sie erobern selbst so entlegene Bereiche wie Sensorik und die Nahrungsmittelindustrie.

Um in diesen vielfältigen Anwendungen zu funktionieren, müssen die Kultivierungsmethoden stetig verbessert werden. Eine Methode, die so alt ist wie die Zellkultur selbst, ist die Zellbeschreibung durch Hinschauen. Das Mikroskop ist so ziemlich das älteste Werkzeug, das für die Zellkultur benötigt wird und ist mit seinen zeitgemäßen Gerätemodellen immer noch eines der modernsten.

Einer der spannendsten Trends in der Zellkultur basiert auf dem „smarten“ Einsatz von Mikroskopie; genauer gesagt, auf der Verheiratung von Mikroskopie und computergestützter Bildanalyse. Es ist heute kein Problem, mit auto­matisierten Mikroskopen Zeitserien von Zellen in der Kulturschale zu erstellen. Aus diesen Bildserien lässt sich vieles lernen.

Online-Monitoring von In-vitro-Zellkulturen

Die einzelnen Bilder solcher Serien zeigen denselben Ausschnitt der Petrischale. Eine neue Generation von Analysealgorithmen erlaubt nun, das Verhalten der beobachteten Zellen über die gesamte Aufnahmedauer auf Einzelzellebene zu analysieren. Abhängig von der wissenschaft­lichen Fragestellung und dem Experimentaufbau sind verschiedene Anwendungsszenarien denkbar. Eine interessante Anwendung findet sich zum Beispiel in der Auswertung von Chemo­taxis-Assays, wie sie in der Wirkstoffforschung und in Medikamententests eingesetzt werden. Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist die Echt­zeit­überwachung proliferierender Zellpopulationen. Dieses Online-Monitoring ermöglicht, das Zellwachstum in Echtzeit als Wachstums- oder Konfluenzkurve zu visualisieren. So ist für die Quali­tätssicherung im Bereich der Stammzelltherapie zwingend erforderlich, das Verhalten und die Wachstumsraten quantitativ zu beobachten, aufzuzeichnen und zu überwachen.

Um diese Prozesse zu automatisieren, wurde an der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie EMB in Lübeck eine spezielle Software entwickelt, die in der Lage ist, jede einzelne Zelle in den Bilddaten zu erkennen und die Zell­anzahl zu bestimmen. Neben der Zahl der Zellen ist es möglich, die Morphologie der erkannten Zellen zu quantifizieren und Größe, Länge und Form der Zellen zu bestimmen. Diese morphologischen Parameter können als Funk­tion der Zeit dargestellt werden (vgl. Abb.1). Eine mit hinreichend aussagekräftigen Para­metern beschriebene Zellpopulation wird als parametrisierte Zellkultur bezeichnet [1].


Abb.1 Änderung der Zellgröße in Abhängigkeit von der Zelldichte. Zellen in Kultur vermindern ihre Größe auf fast die Hälfte, wenn sie konfluent werden.

Gehet hin und mehret Euch – ­Migration und Proliferation

Die bildbasierte Zytometrie vermag jedoch viel mehr, als Zellkulturen in Zahlen zu beschreiben. Sie eröffnet auch den Zugang zum dynamischen Verhalten der Zellen. Zellen werden nicht einfach nur vermessen; auch ihr Verhalten wird analysierbar. Dazu müssen die Zellen nicht allein in den Einzelbildern gefunden, sondern jede von ihnen auch durch die Zeit hinweg verfolgt werden. Dieses als Zelltracking bezeich­nete Verfahren kann beispielsweise das Wan­derungsverhalten der Zellen vermessen. Die zurückgelegten Wege geben Aufschluss ­darüber, ob die Zellen gerichtet wandern – beispiels­weise mit dem Ziel, einen Tumor zu bekämpfen – oder ob sie eher orientierungslos über die Kulturschale torkeln. Und nicht nur die Form dieser Zelltrajektorien lässt sich vermessen; auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Zellen bewegen, kann bestimmt werden.

Diese Daten liefern den Ausgangspunkt für weitere Analysen und nachfolgende Modell­bildung, wie sie in Chemotaxis-Assays durch­geführt werden. Solche Assays finden nicht nur in der schon erwähnten onkologischen Forschung breite Anwendung, sondern auch in Versuchen zur Wundheilung, die maßgeblich von Migrationseigenschaften der beteiligten ­Zellen bestimmt wird; darüber hinaus bei der Organogenese, bei der Untersuchung von Infektions- und Autoimmunerkrankungen und beim Erforschen von Regenerationsprozessen.

Damit nicht genug. Eine noch genauere Vermessung der Zellen lässt sich erzielen, indem die Zellteilungen (Mitosen) separat detektiert werden. An der Fraunhofer EMB wurde auch ein solcher Mitosedetektor konstruiert. Er kann Zellteilungen anhand zweier unterschiedlicher Prinzipien erkennen: Zum einen ist eine Mitose durch die morphologische Änderung während des Zellzyklus direkt vor Teilung charakterisiert. Die Mutterzelle wird vom Spindelapparat zusammengezogen und nimmt eine kugelförmige Gestalt an, die sich gezielt detektieren lässt [2]. Die zweite Möglichkeit besteht in der Suche nach den charakteristischen optischen Verän­derungen einer mitotischen Zelle im Phasenkontrastmikroskop: Die kugelförmigen Zellen sind nicht nur runder, sondern auch dicker als die flach adhärierten, wodurch sie im Phasenkontrast hell aufleuchten. Mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens kann dieses mito­tische Muster leicht in den Bildserien gefunden werden [3].

Beide Analysen – Migration und Proliferation – zusammengenommen, liefern bereits ein sehr detailliertes Bild des Zellgeschehens in der ­Kultur. Es können komplexe Prozesse untersucht werden wie z.B. die Metastasierung eines Tumors oder der Verschluss einer Wunde. Diese Prozesse basieren auf einem raffinierten Zusammenspiel von Migration und Proliferation, das nun, nichtinvasiv und ganz ohne Färbungen, quantitativ beobachtbar wird.

Kennen wir uns nicht irgendwoher? Ach, wir sind verwandt!

Bis hier haben wir das Verhalten einzelner Zellen betrachtet. In einer Kulturschale befinden sich aber häufig Millionen von Zellen. Können wir etwas über ihr „Sozialverhalten“ lernen? Die Kombination von Migrationsanalyse (Zelltracking) und Mitosedetektor erlaubt auch das! Es lassen sich die Nachkommen jeder sich teilenden Zelle ermitteln. Anhand dieser Infor­mation können die Verwandtschaftsbeziehungen in Form eines zellu­lären Stammbaumes rekonstruiert werden. In ihm sind alle Geschwister, Cousins und Großeltern festgehalten (vgl. Abb.2). Darüber hinaus lassen sich auch Zellen identifizieren, die sich auf ihrem Lebensweg nur „begegnet“ sind, d.h. Zell-Zell-Kontakt miteinander hatten und darüber vielleicht Informationen ausgetauscht haben.


Abb.2 Stammbaum eines Zellklons. Die untere Reihe zeigt drei Momentaufnahmen, darüber ist der dazu gehörige Stammbaum abgebildet, in den alle Zellen der klonalen Familie eingeordnet sind.

Über die Zusammenführung aller beschriebenen Morphologie-, Migrations- und Proliferationsdaten erhält man die einzigartige Möglichkeit, das Zellverhalten innerhalb einer Zellfamilie mit dem Verhalten anderer Zellfamilien zu vergleichen. Auch die wechselseitige Einflussnahme verschiedener Zellfamilien kann detailliert untersucht und visualisiert werden.

Sternenkartensuche – Abgleich zytometrischer Daten und Proteinexpressionsmuster

So aussagekräftig die beschriebenen Methoden sind, reichen sie dennoch nicht aus, um alle Fragestellungen der Zellbiologie zu beantworten. Insbesondere lässt sich weder aus Morphologie noch Migrations- oder Pro­liferationsverhalten der genaue Zelltyp ableiten, mit dem man es zu tun hat. Gerade bei der Untersuchung von Stammzellen und entwicklungs­biologischen Fragen sind die entstandenen Zelltypen jedoch von enormer Bedeutung. Auskunft über den vorliegenden Zelltyp erhält der Molekularbiologe in der Regel, indem er das Vorhandensein bekannter Funktionsproteine nachweist. Häufig wird dieser Nachweis über Immunfärbungen geführt. Hierbei bindet ein spezifischer Antikörper an das Funktionsprotein; der gebundene Antikörper kann mit einem Farbstoff gekoppelt sein, wodurch das Funktionsprotein sichtbar gemacht wird.

Offenbar wäre es ideal, Immunfärbungen mit bildbasierter Zytometrie zu verbinden. Der Kombination beider Techniken stand jedoch bislang eine technische Hürde im Weg: Während zytometrische Daten im Zuge der Zellkultur aufgenommen werden können, müssen die Zellen für immunzytochemische Färbungen fixiert – getötet – und gefärbt werden. Es lassen sich mit anderen Worten nicht beide Bildgebungen zugleich durchführen; dazwischen liegt immer die Färbeprozedur. Wie aber finden wir die zytometrisch beobachteten Zellen in den Immunfärbungen wieder? Wegen der großen Unterschiede dieser Bilder und der schiere unendlichen Zellzahl ist es nicht möglich, identische Zellen einfach per Auge zu finden oder die Aufnahmen direkt übereinanderzulegen (vgl. Abb.3).


Abb.3 Das Sternkartenproblem. Es müssen die Zellen, deren Verwandtschaftsbeziehungen zytometrisch bestimmt wurden (rechts), im immunzytochemisch gefärbten Zellbild (links) wiedergefunden werden. Dabei hilft ein Algorithmus, der der Analyse von Fotos des Sternenhimmels nachempfunden wurde.

Um diese Hürde zu überwinden, wurde an der Fraunhofer EMB eine neue Methode entwickelt, mit der dieselben Zellen in beiden Bildmodalitäten anhand ihrer „Zellkonstellationen“ gefunden und „gematcht“ werden können [4]. Die Methode ähnelt dem Verfahren, mit dem in der Astronomie die automatische Identifizierung von Sternen und Sternbildern in beliebigen Aufnahmen des Nachthimmels möglich ist [5].

Hierzu werden Konstellationen von drei, vier oder fünf Sternen – bzw. Zellen – mit einem eindeutigen Hashwert beschrieben, der aus der relativen geometrischen Lage der Zellen zueinander berechnet wird. Eine Bedingung für Hashwerte ist, dass sie stabil sind, d.h., dass jede Konstellation immer mit demselben Hashwert beschrieben wird, unabhängig von der Rotation des Himmels oder der Petrischale und der gewählten Vergrößerung am Teleskop bzw. Mikroskop.

Daran knüpft sich eine Suche nach gleichen Mustern in beiden Bildern: dem Endbild der ­zytometrischen Bildfolge und einer Aufnahme der immunzytochemischen Färbung. Das grundlegende Muster der Suche besteht darin, dass zuerst die Hashwerte aller Konstellationen von drei, vier oder fünf Zellen im immungefärbten Bild berechnet werden. Das hört sich für tausende Zellen im Blickfeld nach einem gewaltigen Rechenaufwand an, ist aber im Vergleich zu der Vorberechnung für astronomische Sternenkonstellationen schnell erledigt. Dann findet die Berechnung der Hashwerte im Phasenkontrastbild statt und die Suche nach den jeweils ähnlichsten Konstellationen im Immunbild wird gestartet. Anhand der Zellen, die diese Konstellationen bilden, wird im Anschluss eine Bild­registrierung berechnet, mit der die Zellbilder deckungsgleich übereinander projiziert werden.

Die Sternenkartensuche erlaubt es nun erstmals, zytometrische Daten wie z.B. Zellverwandt­schaftsgrade mit beliebigen Proteinexpressionsmustern zu verbinden. Das lässt die Unter­suchung sehr grundlegender Fragen der Entwicklungsbiologie zu, für deren Beantwortung bislang ein sehr viel höherer Aufwand betrieben werden musste. Darüber hinaus ermöglicht es die weit gehende Automatisierung dieser Methode, die beobachteten Prozesse als High-Content- Analysen auszuführen und künftig auch mit der Systembiologie zu verbinden.

Die Zukunft: Zeitraffermikroskopie für jedermann

So viel von dem, was mit bildbasierter Zyto­metrie bereits jetzt schon machbar ist. Einen kleinen Haken hat die Sache bislang: Zeitraffermikroskope sind groß und teuer und lassen sich nicht einfach in die Zellkulturroutine integrieren. Was fehlt, um der bildbasierten Zytometrie ihren Siegeszug im Zellkulturlabor zu ermög­lichen, sind preisgünstige, robuste Geräte, die in jeden Brutschrank passen und dort so unauf­fällig wie die Temperatur- oder CO2-Regelung des Brutschranks ihren Dienst versehen.

Die Fraunhofer EMB arbeitet bereits an einem miniaturisierten Zellscanner für jedermann. Die Frage lautet eigentlich nicht mehr ob, sondern nur wann die bildbasierte Zytometrie zur Standardausrüstung eines modernen Zellkulturlabors gehören wird.

Literatur
[1] Rapoport* und Becker* et al. [2011] PloS one 6(11), e27315
[2] Becker et al. [2012] Methods of Information in Medicine 45 (4), 377–383
[3] Becker et al. [2012] In Proc. IEEE ISBI 386–389
[4] Becker et al. [2013] In Proc. IEEE ISBI 906–909
[5] Lang et al. [2010] The Astronomical Journal 139, 1782–1800

Bild: © istockphoto.com| Media Mates Oy, Jezperklauzen, Procy_ab

Stichwörter:
Plattform­technologie, Sternenkarten und Petrischalen, Heimatorganismus, Stammzelltherapie, morphologischen Parameter, Zytometrie, Migration und Proliferation, Zellen, Regenerationsprozessen, Phasenkontrastmikroskop, Migration und Proliferation, Migrationsanalyse, Verwandtschaftsbeziehungen, Morphologie-, Migrations- und Proliferationsdaten, immunzytochemische, Zeitraffermikroskopie, Zellkulturlabor,

L&M 7 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 7 / 2014.
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