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Ammoniumeisen(III)hexacyanoferrat(II)

Schweine in Bayern

1986 wurden nach der Explosion eines Kernreaktors in Tschernobyl aufgrund der damals vorherrschenden Thermik Teile von Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Teile nordeuropäischer Länder durch radioaktives Material kontaminiert. Wegen seiner langen Halbwertszeit von 30 Jahren und seiner hohen Spaltausbeute ist 137Cs (Cäsium) strahlenbiologisch von Bedeutung, denn auch heute sind erst etwa 40 % in 137Ba zerfallen (Abb. 1).

Die Kontamination

Nach Freisetzung in die Atmosphäre gelangen die radioaktiven Stoffe auf die Erdoberfläche und treten damit in die Nahrungskette ein. Bereits durch die ober flächliche Kontamination können Pflanzen über Blätter und Stiele die radioaktiven Substanzen aufnehmen. Langfristig geschieht dies über die Wurzeln oder das Pilzmyzel. Schließlich gelangen die Radionuklide in tiefere Bodenschichten und damit in den Bereich der Wurzeln. Die Wanderungsgeschwindigkeit und die Fixierung hängen dabei stark von der Zusammen setzung des Bodens ab. So wird Cäsium in Böden mit hohen Anteilen von Ton und Mineralstoffen effektiv gebunden. Auch Böden mit pH-Werten >5,5 absorbieren CsIonen so fest, dass sie von den Wurzeln nicht mehr aufgenommen werden. Dadurch verzögert sich aber das Abwandern in tiefere Bodenschichten. Da Cäsium sich wie Kalium verhält, kann es auf landwirtschaftlichen Flächen durch Kaliumdüngung effektiv verdrängt werden. Während auf den landwirtschaftlichen Flächen mit hohem Mineralgehalt, niedrigem Humusanteil, hohem pH-Wert und aufgrund der Düngung 137Cs in tiefere Lagen abwandern konnte und deshalb keine Rolle mehr spielt, ergibt sich bei Wald- und Moorgebieten ein anderes Bild. Hier sind die Böden sauer (pH < 5,5), ärmer an Kalium und Mineralien und reich an organischem Material. Cäsium wird dadurch für Pflanzen und Pilze leichter verfügbar.

Pflanzen, Pilze und 137Cs

Während Bäume vergleichsweise geringe Mengen an Cs speichern, gibt es Pflanzen, die das Element besonders stark akkumulieren. Dazu gehören Moose, Flechten, Sauerklee, Preiselbeeren, Moosbeeren, Heidelbeeren und vor allem Farne (bis zu 4000 Bq/kg). Die höchste Anreicherung von Cs wird aber von Pilzen erreicht. Sie können Humus verwerten und damit leichter Kalium bzw. Cs aufnehmen. Zu diesen Pilzen gehören die Steinpilze und Pfifferlinge, vor allem aber die Maronenröhrlinge und Semmelstoppelpilze mit Aktivitäten von einigen Tausend Bq/kg. Mit verantwortlich für diese hohe Anreicherung sind auch die für die Hutfarbe verantwortlichen Substanzen wie Badion A und Norbadion A (Abb. 2), die das Cs zu komplexieren vermögen. Übertroffen werden alle Aktivitäten aber von der Hirschtrüffel (26 800 Bq/kg), einem besonders von Wildschweinen gerne gefressenen Pilz.

Arme Schweine

In den Jahren nach dem Tschernobyl-Fallout nahm beim Schwarzwild in Bayern die 137Cs-Aktivität zunächst ab, um dann seit 1995 stetig wieder zuzunehmen. Offenbar wurde in den ersten Jahren Cs in den obersten Bodenschichten gebunden und gelangte erst später in den tiefer gelegenen Bereich des Myzels der von den Wildschweinen bevorzugten Hirschtrüffel und anderer Pilze. Ihr Wühlen im Boden nach diesen Köstlichkeiten führt dazu, dass die Tiere bis heute mit Cs kontaminiert sind. Oberirdische Teile von Pflanzen – Fruchtkörper von Pilzen, Kräuter und Gräser – liefern dazu nur einen geringen Anteil. Die Hirschtrüffel fruchtet das ganze Jahr, sie wird häufig in Nadelwäldern und Nadelmischwäldern gefunden und tritt in 1 – 16 cm Tiefe auf. Ihre 137Cs-Aktivität übertrifft mit Maximalwerten bis zu 26800 Bq/kg alle anderen potenziellen Nahrungskomponenten der Wildschweine um ein Vielfaches. Wildbret mit Gehalten über 600 Bq/kg darf nach EU-Richtlinien nicht in den Verkehr gebracht werden. In manchen Revieren in Bayern wird immer noch Schwarzwild mit wesentlich höheren Bq-Gehalten erlegt und muss deshalb entsorgt werden. In einer Feldstudie wurde überprüft, ob ein mit Ammoniumeisen(III)hexacyanoferrat(II) versetztes Wildschweinfutter anstelle des üblichen Kirrmaterials (Mais) zu einer Reduktion von 137Cs führt. Positive Erfahrungen hatte man schon bei Ziegen, Schafen und Rindern gesammelt und eine Reduktion von bis zu 80 % festgestellt. 2001 wurde eine EU-Verordnung erlassen, in der die Substanz als Zusatzstoff in der Tierernährung zugelassen wurde.

Die Wirkung von NH4Fe[Fe(CN)6]

Bereits in den 1950er-Jahren – zur Zeit der oberirdischen Kernwaffenversuche – wurde untersucht, wie die Aufnahme von 137Cs und seine Absorption im Magen-Darm- Trakt vermindert werden kann. Dabei erwies sich bei Haus- und Labortieren das Ammoniumeisen(III)hexacyanoferrat(II) (NH4Fe[Fe(CN)6] x 3H2O; Giese-Salz, AEHCF) als das wirksamste Gegenmittel zur Bindung und Eliminierung von 137Cs. AEHCF bildet in Wasser kolloidale Lösungen. Eine Zersetzung gelingt nur in konzentrierter Salzsäure in Anwesenheit von Kupfer(I)-
Ionen oder bei pH-Werten >11. Die Affinität von AEHCF zu Alkaliionen steigt mit dem Radius (Na+

Schwein gehabt

Die in vielen Studien bewiesene Wirksamkeit von AEHCF ist auch auf Tiere in freier Wildbahn übertragbar, wenn einige Regeln beachtet werden: regelmäßige und ausschließliche Fütterung mit AEHCF imprägniertem Futter, Schutz des Futters vor feuchter Witterung, Fütterung an allen Futterstellen im Revier. Unter diesen Bedingungen konnte eine effektive Reduktion von 137Cs um mindestens 84 % erreicht werden. Wildschweine können also ihren wegen ihrer Vorliebe für Hirschtrüffel erworbenen hohen Cs-Gehalt wieder los werden und wir können uns, wenn wir uns nicht täglich wie Obelix über ein Wildschwein hermachen, auch einmal einen Wildschweinbraten schmecken lassen. Vergessen wir nicht, dass wir über die Nahrungsmittel das natürliche 40 K aufnehmen und ein Leben lang mit etwa 0,165 mSv/a belastet werden.

Foto: © Dr. Gehard Schilling

L&M 5 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2011.
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