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Analyse des Capsaicin-Gehalts in Chilisoßen

Wie scharf ist „hot“?

Ob der Genuss einer scharfen Currywurst ein angenehmes Prickeln auf der Zunge oder Tränen in den Augen hinterlässt, entscheidet die Dosis an Capsaicin. Der Naturstoff ist in Chili- und Paprikaschoten enthalten und wird auch als Wirkstoff in Rheumapflastern oder Pfeffersprays eingesetzt. Zwei Merck-Forscher haben den Schärfegrad ihres Mittagsimbisses im Labor mit modernster HPLC-Technik analysiert.

Von wegen Fast Food!

Wer eine Currywurst bei der Darmstädter Filiale einer im Rhein-Main-Gebiet ansässigen Imbisskette verzehren möchte, sollte etwas Zeit mitbringen. Der Genuss beginnt bereits bei der individuellen Auswahl der Zutaten. Hat der Hungrige die Entscheidung für die gewünschte Basis – eine Thüringer- Bratwurst oder eine Rindswurst – gefällt, kann er den 80 Grad warmen Ketchup mit sieben verschiedenen Geschmacksrichtungen verfeinern lassen. Neben klassischem Curry reicht das Angebot von Koriander und Zimt über Lemon-Curry bis hin zu einer Gewürz mischung aus 17 Komponenten mit dem klangvollen Namen Jambalaya. Die letzte kleine Entscheidung ist gleichzeitig die wichtigste: Wie scharf darf die Currywurst sein? Sechs Schärfegrade, von A bis F, stehen zur Wahl. „Ein Großteil unserer Kunden entscheidet sich für eine A- oder B-Wurst, die wir mit EU-Chilipulver würzen. Ab Schärfegrad C kommen unsere ‚Hot Sauces‘ zum Einsatz. Diese Würste verkaufen wir erst an Kunden ab 18 Jahren. Der Verzehr erfolgt auf eigenes Risiko“, berät Simon Lauth, Geschäftsführer der Darmstädter Imbissfiliale, seine Kunden.

Heiße Soßen und scharfe Schoten

Nicht von ungefähr werden scharfe Soßen als „hot“ oder „feurig“ bezeichnet. Denn Schärfe ist kein Geschmack, sondern eine Schmerzempfindung, die über Hitzerezeptoren im Mund ausgelöst wird. Verursacht wird der Schmerz z. B. durch Capsaicin, einen Naturstoff, der vor allem in den Samenscheidewänden und der Plazenta von Chilischoten enthalten ist. Das Alkaloid Capsaicin bewirkt im Gegensatz zu den scharfen Inhaltsstoffen, die in schwarzem Pfeffer (Piperin) oder Wasabi (Isothiocyanate) enthalten sind, eine deutlich länger anhaltende Desensibilisierung der Nerven, die für die Weiterleitung des Wärmereizes verantwortlich sind. Deshalb vertragen regelmäßige Chilikonsumenten schärfere Speisen als gelegentliche Scharfesser oder Untrainierte. Die unterschiedliche Wirkung verschiedener Scharfstoffe bestätigt auch Chiliexperte Simon Lauth: „Schon mancher unserer indischen Gäste, der den Genuss von scharfem Wasabi oder Ingwer gewohnt ist, hat sich bei der Wahl des Schärfegrades überschätzt und konnte seine Currywurst nicht verzehren.“ Mit Olivenöl, Mayonnaise oder Kakao lasse sich der Schmerz lindern, rät Lauth den Currywurstessern in diesen Fällen. Denn die Scharfstoffe im Chili lösen sich gut in Fett. Auch das Kauen von Brot schafft Abhilfe, denn der dabei entstehende Speichel löst das Capsaicin aus den Rezeptoren.

Die Scoville-Skala – Schärfemessung mit Tradition

Besonders sorgfältig dosiert Lauth die Hot Sauce bei einer Currywurst des Schärfegrades F. Nur einen Tropfen gibt er auf jedes Wurststück, bevor er dieses mit warmem Ketchup bedeckt. Denn damit die Currywurst schmeckt und nicht zur Atemnot oder gar Ohnmacht führt, muss die Dosierung der Chilisoße stimmen. Wie scharf ein Lebensmittel oder eine Soße ist, wird mit der Scoville-Skala festgelegt. Sie wurde nach Wilbur L. Scoville benannt, der im Jahr 1912 das erste Messverfahren für Schärfe entwickelte. Als Messinstrument diente dem Chemiker des Detroiter Pharmaunternehmens Parke, Davis & Co. die menschliche Zunge: Er ließ seine Probanden eine immer weiter verdünnte Lösung einer Probe kosten, bis diese kein Brennen mehr spürten. Über den Verdünnungsgrad ergab sich der Grad der Schärfe. Brauchte es beispielsweise 10.000 Tropfen Wasser, bis die Schärfe von 1 Tropfen Chilisoße nicht mehr wahrgenommen wurde, betrug die Schärfe 10.000 Scoville-Einheiten (Scoville Heat Unit, kurz SHU). Noch heute findet die Scoville-Skala Anwendung. Scovilles Messverfahren – das nicht nur schmerzhaft war, sondern auch zu nicht reproduzierbaren Messergebnissen führte, weil sich ein Proband schon nach kurzer Zeit an die Schärfe gewöhnte – wurde jedoch durch moderne technische Messverfahren ersetzt. Der Schärfegrad wird heute mit Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC) gemessen. Dabei werden neben Capsaicin bis zu neun weitere Capsaicinoide quantitativ bestimmt, die die Schärfe einer Capsicum-Frucht ausmachen. Reines Capsaicin hat eine Schärfe von 16.000.000 SHU. Als kristalline Reinsubstanz darf es gemäß einer EU-Verordnung in keiner Form Lebensmitteln zugesetzt werden. Labormitarbeiter sollten beim Umgang damit Handschuhe und Atemmaske tragen. Der Zusatz von Capsaicin als Extrakt der Chilischoten ist jedoch unbegrenzt erlaubt. In der Aromenindustrie werden gewöhnlich Chiliextrakte mit einem natürlichen Capsaicin-Gehalt von ca. 7 % (über 1.000.000 SHU) eingesetzt.

Echt scharf?!

Die Herstellerangaben für die vier Hot Sauces der Darmstädter Imbissfiliale reichen von 111.000 Scoville (Schärfe C) bis hin zu 1.200.000 Scoville für die Schärfe F. Für gut Trainierte hält Simon Lauth in Darmstadt noch eine Triple-F-Sauce mit 2.700.000 Scoville unter der Ladentheke bereit. Diese Werte beziehen sich auf die puren Soßen. „Verdünnt“ man rund ein Dutzend Tropfen dieser Hot Sauces mit einer Wurst, Ketchup und leckerem Brot, bleibt dennoch ein extrem scharfer Imbiss, der nur von wenigen trainierten Scharfessern verzehrt werden kann. Nach einigen Selbstversuchen in der Mittagspause mit Currywürsten der Kategorien A und B beschlossen die HPLC-Experten Dr. Stephan Altmaier und Simon Forster, die Tests der noch schärferen Hot Sauces in das eigene Labor zu verlegen, um dort die Herstellerangaben mit modernster Analytik zu überprüfen. Dazu wurden Proben der Soßen C bis Triple F mit Methanol extrahiert und mit HPLC und Massenspektrometrie (MS) untersucht. Die Kopplung ermöglicht eine exakte Identifizierung und quantitative Bestimmung von Substanzgemischen. Die Analyse beschränkt sich auf die Substanzen Capsaicin und Dihydrocapsaicin (Abb. 1). Beide Verbindungen haben im Reinzustand eine Schärfe von 16.000.000 Scoville und unterscheiden sich in ihrer Struktur nur durch eine Doppelbindung. Zusammen machen sie über 90 % der Chilischärfe aus. Zur Kalibrierung wurden zunächst die beiden Reinsubstanzen vermessen und die erhaltenen Massenkonzentrationen (ppm) in die Scoville-Skala überführt. Abbildung 2 zeigt die durch mehrfache Messungen validierten Ergebnisse der Analyse für fünf Hot Sauces im Vergleich mit den Herstellerangaben. Abweichungen der Messergebnisse zu den Scoville-Angaben auf den Etiketten der Hot Sauces können zum Einen auf eine Varianz des Gehalts an Capsaicinoiden in natürlichen Chiliextrakten zurückzuführen sein. Viele Faktoren wie Licht, Wasser, Boden und Erntezeitpunkt entscheiden über den Anteil an Capsaicin in einer Chilischote. Selbst gleichzeitig und von derselben Pflanze geerntete Chilifrüchte können unterschiedliche Schärfegrade aufweisen. Darüber hinaus wurden bei der Analyse nur zwei von neun Capsaicinoiden quantitativ bestimmt, auch dies kann zu Abweichungen führen. Dennoch, die Analysen im Merck-Labor belegen: Hot Sauces der Imbisskette tragen ihren Namen zu Recht. Etwa fünfmal am Tag reicht Simon Lauth eine F-Wurst über die Imbisstheke.
Nach anfänglichen Schmerzen beim Verzehr stellt sich dabei bei geübten Scharfessern schon bald eine leichte Euphorie ein, teilweise begleitet von einem unvermittelten Schmunzeln. Grund dafür ist die Ausschüttung von Glückshormonen (Endorphinen), mit denen der Körper den Capsaicin-Schmerz zu bekämpfen versucht. Chiliexperte Lauth bezeichnet diesen Zustand als „Pepper-High“. Mit diesem Wissen haben die Autoren ihren empirischen Selbstversuch inzwischen auf Currywürste der Kategorien C – F ausgeweitet; die Triple-F-Soße wird allerdings wohl unter der Ladentheke bleiben.

Literatur bei den Autoren

Foto: © Simon Forster / Dr. Stephan Altmaier

L&M 4 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2012.
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