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Nuklearforschung - Interview Prof. Dr. Werner Rühm

Nuklearforschung findet in unterschiedlichen Forschungsfeldern Anwendung, von
der Erschließung neuer Therapiemöglichkeiten für Krebs- und Viruserkrankungen bis zur Altersdatierung mittels Radiocarbonmethoden. In den Laboren der Life Sciences in Forschung und Industrie werden radioaktive Nuklide vielfach eingesetzt und es besteht für die Mitarbeiter neben dem Risiko der Strahlenexposition von außen die Gefahr, dass diese Stoffe in den Körper gelangen und so eine interne Dosis bewirken. labor&more fragte bei Prof. Dr. Werner Rühm nach, was beim Arbeiten mit Radionukliden im Labor zu beachten ist und welche Anforderungen an den Strahlenschutz gestellt werden müssen.

Herr Prof. Rühm, wie groß ist die Strahlengefahr für Wissenschaftler, die in Nuklidlaboren tätig sind? Welche Risiken herrschen vor?

In Nuklidlaboren wird in der Regel auch mit offenen radioaktiven Substanzen gearbeitet. Damit kann es zusätzlich zu möglichen äußeren Expositionen durch die Inkorporation radioaktiver Stoffe in den Körper auch zu inneren Expositionen kommen.

Welches sind die wichtigsten Maßnahmen im Rahmen des Strahlenschutzes? Welche Dosen werden üblicherweise im Nuklearlabor erreicht? Wie kann eine Kontaminationo der Inkorporation von Nukliden vermieden werden?

Das Grundprinzip im Strahlenschutz lautet in Bezug auf Strahlenexpositionen ALARA – As Low As Reasonably Achievable – so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar. Dies kann erreicht werden durch Optimierung der vier A des Strahlenschutzes: Abstand zur Quelle, Aktivität der radioaktiven Quelle, Abschirmung der Quelle, Aufenthaltsdauer im Strahlenfeld. Für überwachte Beschäftigte beispielsweise in der Nuklearmedizin gibt das Strahlenschutzregister des Bundesamts für Strahlenschutz in seinem Jahresbericht 2008 eine mittlere jährliche effektive Dosis durch berufliche Strahlenexposition von etwa 0,5 mSv an. Damit weist diese Berufsgruppe deutlich niedrigere Dosen auf als zum Beispiel das überwachte fliegende Personal, das in Deutschland mit einer jährlichen effektiven Dosis von 2,3 mSv durch kosmische Strahlung die Berufsgruppe mit der höchsten beruflichen Strahlenexposition darstellt.

Radionuklide können auf unterschiedlichen Wegen in den Körper gelangen – wie leicht werden die verschiedenen Nuklide durch die Haut aufgenommen, falls man sich doch mal kontaminiert?

Normalerweise ist die Inkorporation von radioaktiven Stoffen über Inhalation oder Ingestion (d.h. durch orale Zufuhr) der wichtigste Aufnahmepfad. Die Haut selbst stellt für die meisten Radionuklide (mit Ausnahme von Tritium) eine effektive Barriere dar; allerdings kann z.B. Jod auch hier etwas eindringen. Zu einer höheren Zufuhr kann es über eine möglicherweise vorhandene, unbemerkte Hautverletzung (Wunde) kommen. Wer mit offenen radioaktiven Substanzen umgeht, sollte also unbedingt Schutzhandschuhe tragen.

Wie stark können z.B. Augen (hinter einer üblichen Schutzbrille) im Vergleich zur normalen Haut geschädigt werden?

Die menschliche Augenlinse stellt ein besonders strahlensensitives Gewebe dar. Dies zeigte sich bereits wenige Jahre nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki, als bei den Überlebenden strahleninduzierte Linsentrübungen (so genannte Katarkate) beobachtet wurden. Neue Studien beispielsweise an den Aufräumarbeitern von Tschernobyl deuten darauf hin, dass die gegenwärtig vorgegebenen Grenzwerte für die Augenlinsendosis nach unten korrigiert werden müssen. Auch aus diesem Grund ist es angeraten, nicht auf die empfohlenen Schutzbrillen zu verzichten.

Die inkorporierten Nuklide bewirken eine Strahlung im Körper – wie weit reicht diese bzw. wie groß sind die Be- reiche, die nach Einbau eines Nuklids betroffensindundwelcheGesundheitsrisiken bestehen dann?

Dies hängt von der Art des inkorporierten Radionuklids ab. Bei einem Alpha-Strahler haben die freigesetzten Alphateilchen in Gewebe eine Reichweite im Mikrometerbereich. Damit wird die Dosis in einem sehr kleinen Volumen um das zerfallene Nuklid innerhalb einzelner Zellen deponiert. Bei einem Betastrahler haben die Elektronen bzw. Positronen eine Reichweite von einigen Millimetern. Bei Gamma-Strahlern sind die entstandenen Gamma-Quanten je nach Energie viel durchdringender und ein Teil kann den menschlichen Körper sogar verlassen, ohne Energie zu deponieren. Auch die Biokinetik eines Radionuklids spielt eine Rolle. Während bei einer Inkorporation von 131I hauptsächlich die Schilddrüse betroffen ist, die Iod akkumuliert, ist bei einer Inkorporation von 90Sr hauptsächlich das Skelett (Knochenoberflächen, Knochenmark) betroffen, da Strontium langfristig in den Knochen eingebaut wird. Ein Beispiel für ein Nuklid, das über den gesamten Körper verteilt wird, ist schließlich 137Cs, das in die Muskelzellen eingebaut wird. Je nachdem, wo ein Nuklid eingebaut wird, wie lange es im Körper verbleibt und welche Art von Strahlung es aussendet, ergeben sich dann die Organe, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Daher traten zum Beispiel nach dem Unfall von Tschernobyl durch die Inkorporation von 131I vermehrt Fälle von Schilddrüsenkarzinomen auf.

Oft wird im Laboralltag „lax“ mit dem Strahlenschutz umgegangen und das Dosimeter der Diplomanden, Postdocs oder Doktoranden bleibt in der Schublade aufbewahrt, um ggf. ein Experiment nicht unterbrechen zu müssen – was raten Sie grundsätzlich?

Es gehört zu den Aufgaben des zuständigen Strahlenschutzbeauftragten, unter anderem dafür zu sorgen, dass allen beruflich strahlenexponierten Personen in seinem Verantwortungsbereich ein Dosimeter zur Verfügung steht. Generell sollte dieses Dosimeter dann immer getragen werden, auch wenn normalerweise die Dosen im Laboralltag relativ gering sind. Zum einen ist es beruhigend, wenn man das durch die Messung mit dem Dosimeter bestätigt sieht. Zum anderen liefern gemessene Dosiswerte – sollte es doch zu einer erhöhten Exposition gekommen sein – wichtige Hinweise, um entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Ohne Dosismesswerte ist man sonst auf Dosisschätzungen angewiesen, die naturgemäß oft nur sehr ungenaue Werte liefern.

Wie kommen die im Strahlenschutz verwendeten Dosisgrenzwerte zu Stande?

Die Ableitung von Dosisgrenzwerten im beruflichen Strahlenschutz nach Exposition mit ionisierender Strahlung ist ein kompliziertes Unterfangen. Dazu benötigt man erst einmal Informationen über die Wirkung kleiner Dosen (von der Größenordnung Millisievert) und kleiner Dosisraten (Millisievert pro Jahr) auf den Menschen. Die wichtigste Quelle für den Strahlenschutz stellen dabei die Überlebenden der Atombombenexplosionen über Hiroshima und Nagasaki dar: Seit Anfang der 1950er-Jahre wird von etwa 100.000 Überlebenden der Gesundheitszustand dokumentiert. Darüber hinaus wurde die Dosis für diese Überlebenden abgeschätzt. Die Studie hat eine statistisch signifikant strahleninduzierte Erhöhung des Auftretens von soliden Tumoren und Leukämie ergeben – und zwar ab einer Dosis von 50–100 mSv. Um für die deutlich niedrigeren Strahlendosen, die im beruflichen Strahlenschutz relevant sind, Aussagen treffen zu können, wird Im Strahlenschutz dabei eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung („LNT-Hypothese“) angenommen. Zusätzliche Informationen können von anderen Gruppen oder auch bei der Inkorporation von Radionukliden über Tierversuche gewonnen werden. Aus den so gewonnenen Informationen zum Risiko in Abhängigkeit von der Strahlendosis werden dann Dosisgrenzwerte bestimmt. Dabei versucht man, das Risiko durch Strahlung in einer ähnlichen Größenordnung zu halten wie das Risiko in anderen Berufsgruppen, die nicht mit Strahlung umgehen. Zudem gehen weitere Aspekte ein wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Strahlenexposition durch natürliche Quellen schwankt (die Exposition durch kosmische Strahlung ist im Gebirge beispielsweise höher als auf Meeresniveau) und dies allgemein akzeptiert ist.

L&M 3 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2011.
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