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Erfahrungen aus den Reaktorunglücken von Tschernobyl und Fukushima
Erfahrungen aus den Reaktorunglücken von Tschernobyl und Fukushima
Vor 25 Jahren hörte die Öffentlichkeit in den Nachrichten plötzlich Begriffe wie Cäsium-137, radioaktive Strahlung, Dosis und vieles mehr. Das Reaktorunglück von Tschernobyl brachte die Risiken der Kernenergie praktisch bis ins eigene Wohnzimmer. Seit dieser Zeit wird in Deutschland aufgrund des Strahlenschutzvorsorgegesetzes die Umweltradioaktivität systematisch überwacht. Als es im März 2011 zum schweren Erdbeben vor der japanischen Küste und anschließend in drei Reaktoren im japanischen Fukushima zur Kernschmelze kommt, sind die Behörden hier zu Lande daher gut gerüstet und können die radiologische Lage in Fernost entsprechend einschätzen und bewerten.
Strahlenschutzvorsorge
Mit dem „Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung“ brachte die Bundesregierung im Dezember 1986 endlich Ordnung in das Chaos der verschiedenen Strahlenmessungen und Zuständigkeiten, die im Zuge des Reaktorunglücks von Tschernobyl aufgetreten waren. Es wurde jetzt klar geregelt, wer für die Überwachung von radioaktiven Stoffen in der Umwelt zuständig ist. Die Bundesländer decken mit ihren Messstellen die Hauptaufgaben ab und untersuchen zahlreiche Umweltmedien, so etwa Milch, Fleisch, Fisch, Gemüse, Wasser und vieles mehr. Die dort ermittelten Daten werden von Behörden des Bundes überprüft und anschließend für jeden zugänglich gemacht. Im Bereich der Fische, Wasserpflanzen und weiteren aquatischen Lebewesen ist heute das Institut für Fischereiökologie des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (vTI) mit dieser Bundesaufgabe betraut. Darüber hinaus führt das vTI auch eigenständige Radioaktivitätsmessungen an Fischen in Nord- und Ostsee und im Nordatlantik durch. Die benötigten Proben, in der Regel etwa 5 kg Fischfilet pro Messung, werden auf den Reisen des Fischereiforschungsschiffes Walther Herwig III selbst gewonnen und dann später im Labor verarbeitet.
Messung von radioaktiven Stoffen
Die Radioanalytik startet hier immer mit der Veraschung des Probenmaterials, wobei die organische Matrix möglichst vollständig entfernt wird. Am Ende bleiben zwischen 1 und 5 % der ursprünglichen Probe in Form einer grau-weißen Asche zurück. Diese wird in einer ersten Analyse auf Gammastrahler wie z.B. die künstlichen Radionuklide Cäsium-134 (Halbwertszeit 2 Jahre) und Cäsium-137 (Halbwertszeit 30 Jahre) sowie das natürliche Radionuklid Kalium-40 (Halbwertszeit 1,28 Milliarden Jahre) untersucht. Eine typische Messung bei Proben aus den mitteleuropäischen Hausmeeren Nord- und Ostsee dauert dabei zwischen 2 Tage und eine Woche, bis entsprechende Nachweisgrenzen erreicht sind und ein mehr als signifikantes Ergebnis vorliegt. Nach der Gamma-Messung steht die Asche für radiochemische Analysen zur Verfügung. Im vTI-Labor werden Analysen zur Bestimmung des Beta-Strahlers Strontium-
90 und der Alpha-Strahler Plutonium (Pu-238, Pu-239/240) und Americium (Am- 241) durchgeführt. Speziell die Plutonium- und Americium-Analyse beinhaltet neben einem Säureaufschluss zahlreiche chemische Trennungen mittels Ionenaustauschchromatografie und Flüssig-Flüssig- Extraktion. Am Ende des mehrtägigen Trennungsgangs steht ein Messpräparat, das elektrochemisch auf Edelstahlplättchen abgeschieden wird. Die anschließende Messung der Präparate nimmt nochmals 21 Tage in Anspruch, sodass eine typische Analyse rund einen Monat dauert.
*Radioaktive Stoffe in Nord- und Ostsee*
Durch das Reaktorunglück von Tschernobyl wurden im Frühjahr 1986 große Mengen an Radiocäsium (Cs-134 und Cs-137) durch radioaktiven Niederschlag (Fallout) in die Umwelt eingebracht. In der Nordsee konnte die anfänglich beachtliche Kontamination aber bereits im Frühjahr 1987 nicht mehr im Wasser nachgewiesen werden. Der starke Wasseraustausch mit dem Atlantik hatte die Kontamination schnell verdünnt und verfrachtet. Entsprechend wenig „Tschernobyl-Cäsium“ wurde daher von den Nordseefischen aufgenommen. Im Gegensatz hierzu sind auch nach 25 Jahren in der Ostsee, die nur sehr wenig Wasser austauscht, immer noch deutliche Spuren des Unfalls nachweisbar. So liegen heute die Messwerte für Cs-137 in Ostseedorsch zwischen 4 und 10 Becquerel pro Kilogramm Fischfilet. Dieser Wert liegt mehr als einen Faktor 10 über demjenigen von Kabeljau aus der Nordsee und dem Nordostatlantik.
Fisch für den Verbraucher Unbedenklich
Trotz dieser erhöhten Kontamination im Ostseefisch ist der Verzehr für den Verbraucher unbedenklich. Selbst bei einem ausschließlichen Bestreiten des jährlichen Fischkonsums mit Produkten aus der Ostsee würde sich der Betrag der natürlichen Strahlenbelastung nur um deutlich weniger als 1 % erhöhen. Und auch durch das jüngste Reaktorunglück im japanischen Fukushima ändert sich an dieser Aussage nichts. Der Pazifik wurde zwar in unmittelbarer Nähe des Reaktors mit sehr großen Aktivitäten an radioaktivem Iod (I-131, Halbwertszeit 8 Tage) und Radiocäsium belastet, doch gilt in diesem Ozean noch mehr als in der Nordsee, dass eine Kontamination durch Strömungen sehr schnell verdünnt und verteilt wird. Zudem sind bei den Einleitungen die anfänglichen Spitzenwerte von zehn- und hunderttausenden Becquerel längst deutlich auf Werte um die 25 Becquerel pro Liter zurückgegangen. Allerdings werden bis zum heutigen Tag noch immer radioaktive Stoffe ans Meerwasser abgegeben, vor allem Cs-134 und Cs-137.
Anreicherung durch die Nahrungskette
Da das Cäsium im Meer in gelöster Form vorliegt, kann es auch in die Nahrungskette gelangen. Auf der untersten Ebene wird es vom Plankton aufgenommen. Da viele Meerestiere sich von Plankton ernähren, gelangen die radioaktiven Stoffe anschließend auch in höhere Lebewesen und letztlich auch in Fische. Dies tritt aber je nach Ernährungsweise der Fische mit einer entsprechenden zeitlichen Verzögerung auf. In Japan wurden schnell hohe Kontaminationen in jungen Sandaalen und anderen Jungfischen gefunden. Mit einigen Wochen Verzögerung stiegen dann auch die Radioaktivitätswerte für andere Fischarten wie Flunder, Lachs oder Makrele an. Dabei wurden im allgemeinen Werte unterhalb des geltenden EU-Höchstwertes von 500 Becquerel pro Kilogramm für Radiocäsium gefunden. Nur bei Proben in weniger als 40 bis 50 Kilometer Entfernung zu den Unglücksreaktoren wurden von den japanischen Behörden vereinzelt Grenzwertüberschreitungen festgestellt. Inzwischen findet in Japan ein gut organisiertes Überwachungsprogramm für marine und allgemein aquatische Lebensmittel statt. Hiermit werden auch Wanderfischarten wie Tunfisch und Lachs erfasst, die zu verschiedenen Jahreszeiten an unterschiedlichen Orten verweilen.
Keine Kontamination beim Alaska-Seelachs
Bei einem Import von japanischen Fischereiprodukten in der Größenordnung von nur 60 Tonnen im Vergleich zur Gesamtmenge von etwa 900.000 Tonnen jährlich besteht in der aktuellen Situation keine Gefährdung für die europäischen Verbraucher. Speziell für den in Deutschland sehr beliebten Alaska-Seelachs ist eine Kontamination durch den Unfall in Fukushima nicht zu erwarten. Die Meeresströmungen des Pazifiks verfrachten die kontaminierten Wassermassen unter stetiger Verdünnung zunächst in Richtung Osten in den zentralen Pazifik. Bevor diese Wassermassen die Beringsee erreichen, das Hauptfanggebiet des Alaska-Seelachses, werden noch einige Jahre vergehen. Während dieser Zeit wird das „Fukushima-Cäsium“ aber so weit verdünnt sein, dass man es nicht mehr vom „Kernwaffen-Cäsium“ unterscheiden kann. Letzteres ist durch die oberirdischen Kernwaffentests in den 1950er- und 1960er-Jahren global verteilt worden und bildet einen ständig präsenten Untergrundwert, der knapp 0,2 Becquerel pro Kilogramm im Fisch entspricht.
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