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Mikroalgen auf dem Weg zur technischen Nutzung

Mikroalgen werden schon seit längerer Zeit zur Produktion von hochwertigen Stoffen in der Nahrungsergänzung oder in der Kosmetik eingesetzt. Gestiegene Energiepreise und die Konkurrenz klassischer nachwachsender Rohstoffe mit der Lebensmittelproduktion haben der Ressource Mikroalge darüber hinaus in den letzten Jahren ein -extrem steigendes Interesse zukommen lassen.

Hintergrund dafür sind die hohen Flächenerträge, die diejenigen der herkömmlichen Landpflanzen um das 5-Fache übersteigen. Weiterhin können Mikroalgen in geschlossenen Reaktoren mit wesentlich weniger Wasser kultiviert und deshalb auch in ariden Gebieten auf Flächen produziert werden, die ansonsten zur Lebensmittelproduktion nicht geeignet sind [1]. Sie sind also ein möglicher Ausweg aus der sich abzeichnenden Krise. Nichtsdestotrotz sind noch biologische und technische Hürden zu nehmen, um wirtschaftlich interessante Prozesse zu gestalten.
Biofuels der nahen Zukunft
Mikroalgen enthalten bis zu 50?% Öl, also so viel wie bestenfalls die Früchte der Energiepflanzen ohne Wurzeln oder Blätter. Dieses Öl kann zu Biodiesel verarbeitet werden. Diese Schiene wird vor allem in den USA verfolgt. Offene Punkte sind dabei jedoch noch die gezielte Limitierung, um z.B. einen hohen Ölgehalt zu erreichen, sowie die kostengünstige und umweltfreundliche Extraktion [2]. In Deutschland steht momentan die direkte Nutzung für die Biogasanlage im Vordergrund, da dafür keine weiteren Aufarbeitungsschritte erforderlich sind. Eine weitere Möglichkeit ist die direkte Produktion von Wasserstoff mit der Mikroalge Chlamydomonas, wobei auch hier die Abtrennung des Gases relativ einfach ist und die direkte Anbindung an die Fotosynthese mittelfristig einen hohen Wirkungsgrad erwarten lässt [3]. In einem größer angelegten Forschungsprojekt des Bundesforschungsministeriums mit mehreren Partnern in Deutschland (Leiter Prof. Kruse, Bielefeld) wird diese Option erforscht, von der Molekularbiologie bis zum Reaktor. Weitere mögliche energetische Produkte sind Stärke oder andere extrazelluläre Polysaccharide (Abb. 1).

Licht, der Wohlfühlfaktor Nummer 1

Was brauchen die Alleskönner, um diese Produkte zu machen?

Zunächst natürlich mal Licht. Dabei können die Zellen jedoch gar kein starkes direktes Sonnenlicht verarbeiten. Jede Zelle soll nur eine schwache Lichtintensität sehen, bei der sie mit optimalem Wirkungsgrad wachsen kann. Wie wird dieser Wert genau ingenieurmäßig bestimmt? Im Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik werden dazu beispielsweise patentierte (Nr. 20?2007?013 406.1) Modellreaktoren auf LED-Basis betrieben (Abb. 2). Hier lassen sich sehr genau Bedingungen einstellen, wie sie etwa in Deutschland, Spanien oder Australien unter verschiedenen Kultivierungsbedingungen auftreten können. In Abb. 4 ist ein exemplarisches Ergebnis dargestellt. Man sieht, dass in diesem Beispiel nur 10?% der Mittagssonne in mitteleuropäischen Breiten notwendig sind, um maximales Wachstum zu erreichen. Die Zellen wandeln dann 5?% des auftreffenden Lichtes in Bioenergie um, was klassische Energiepflanzen wie Zuckerrohr nur mit 1?% Effizienz können. Unter optimalen Bedingungen wird in naher Zukunft mit einer Produktivität von bis zu 100?g Algen pro m2 und Tag gerechnet. Darin steckt also der erwähnte Faktor 5. Aber man sieht noch mehr. In einer dicht bewachsenen Kultur, die durchmischt wird, kommen manche Zellen mal an die Oberfläche, mal sind sie im Dunkeln auf der sonnenabgewandten Seite. Aus Sicht einer Algenzelle sieht es also so aus, als ob das Licht flackert. Dieser „Disco-Effekt“ wird ebenso untersucht. Überraschend ist, dass es bei schnellem Flackern den Zellen sogar gut geht (Abb. 3). Sie können für kurze Zeit das Licht speichern und später im Dunkeln noch für das Wachstum nutzen [4].

So klein und schon ein CO2-Killer?

Der zweite Wohlfühlfaktor ist das CO2. Bei der Produktion von 1?t Algenbiomasse werden fast 2 t CO2 gebunden, die allerdings, wie bei allen erneuerbaren biologischen Energieträgern, beim Verbrennen wieder freigesetzt werden. Mit Energie aus Mikroalgen lässt sich also immerhin ein kohlenstoffneutraler Treibstoffzyklus aufbauen. Das CO2 aus der Luft reicht jedoch von der Konzentration her nicht für ein optimales Wachstum, weshalb Algenanlagen oft neben Kraftwerken gebaut werden, aus deren Abgasen diese Kohlenstoffquelle entnommen wird. Das darf jedoch nicht mit einer Sequestrierung, also einer dauerhaften Entfernung des Treibhausgases, verwechselt werden. Dazu müsste die Alge als Baustoff benutzt oder etwa als Aktivkohle veredelt und dann als Bodenverbesserer eingesetzt werden, um so dauerhaft als CO2-Senker zu fungieren. Davon ist man jedoch ökonomisch und mengenmäßig um Größenordnungen entfernt. Wie jede Landpflanze brauchen Algen auch Stickstoff, z.B. aus Nitrat oder Ammonium. Durch die geschlossene Kreislaufführung kann dieses jedoch weitgehend wiederverwendet werden und versackt nicht im Grundwasser.

Vom Teich in den Reaktor

Wer mal im Internet nachsieht, findet mehr Beiträge zum Thema „Wie bekomme ich die Algen aus meinem Pool“ als darüber, wie ein optimaler Reaktor aussehen soll, in dem so viele Mikroalgen wachsen wie möglich. In allen Fällen müssen Fotobioreaktoren entwickelt werden, die eine intensive und gleichzeitig kostengünstige Produktion von Mikroalgen-Biomasse erlauben. Dem Reaktor kommt dabei die Aufgabe zu, alles auftreffende Licht zu nutzen, dieses jedoch gleichmäßig und verträglich in der Kultur zu verteilen. Zudem müssen die Schützlinge wie erwähnt mit CO2 und Nährstoffen versorgt werden. Der größte geschlossene Reaktor zur Wertstoffproduktion aus Algen steht übrigens in Deutschland in Klötze. Dort werden auf etwa einem ha Glashausfläche 100?t Algen pro Jahr produziert. Ein weiteres Beispiel ist der „Green Wall Panel“, der Effektivität mit einem niedrigen Preis koppeln soll. Wie man in Abb. 4 sieht, werden keineswegs Platten direkt zur Sonne ausgerichtet, sondern palisadenartig in die Höhe gebaut und in langen Reihen in Nord/Süd ausgerichtet. Der Grund dafür ist die bereits erwähnte Lichtverdünnung. Nachteile der bislang verfügbaren Technik sind sowohl der hohe Preis als auch der hohe Bedarf an Hilfsenergie. An dieser Stelle setzt ein weiteres BMBF-Projekt unter Leitung von Prof. Posten, Karlsruhe, an, in welchem die technischen Kompetenzen zu diesem Thema gebündelt werden sollen. Ziel ist der optimale Reaktor, der pro m2 nicht mehr als 40 Ä kosten soll und praktisch ohne Hilfsenergie auskommt, um damit die ökonomischen Voraussetzungen zur Biofuel-Produktion mit Mikroalgen zu schaffen. In der Sahara ist die gesamte auf eine Fläche fallende Sonnenenergie übrigens nur zweimal so hoch wie in Mitteleuropa. Dafür müsste aber der Reaktor mit Wasser gekühlt werden, um nur einen Aspekt der komplexen Standortfrage aufzugreifen [4,5].
Neben Strom aus Fotovoltaik oder solarthermischen Kraftwerken werden auch immer flüssige oder gasförmige Energieträger benötigt, zurzeit etwa 70?%. Dazu können biologische Verfahren entscheidend beitragen. Die Nachhaltigkeit klassischer Energiepflanzen wie Mais, Zuckerrohr oder Raps wird jedoch aufgrund der geringen Effizienz und der Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion zunehmend infrage gestellt. Die Biomasse der „zweiten Generation“, also im Wesentlichen Abfallbiomasse, ist mengenmäßig absehbar zu wenig. In der laufenden Diskussion wird davon ausgegangen, dass eine Doppelnutzung der Ressource Alge – für Hochwertprodukte und über die Restbiomasse zur energetischen Nutzung – momentan der aussichtsreichste Weg für eine ökonomische Umsetzung ist [6]. Neben der bereits bestehenden, weltweit beachteten Algenforschung und technischen Umsetzung, etwa am IGV in Potsdam, zeigen neue Pilotprojekte in Hamburg, in Niederaußem bei Köln oder in Eutingen bei Stuttgart auf, dass diese neue Form der nachwachsenden Biomasse „der dritten Generation“ an der Schwelle zur wirtschaftlichen Nutzung steht.

Literatur:
[1]
Lehr, F. & Posten, C. (2009) Current Opinion in Biotechnology, doi: 10.1016/j.copbio.2009.04.004
[2] Chisti, Y. (2007) Biotechnology Advances 25, 294–306
[3] Hankamer, B. et al. (2007)a Physiologia Plantarum 131 (1), 10-21
[4] Posten, C. (2009) Engineering in Life Science, doi: 10.1002/elsc.200900003
[5] Hankamer, B. et al. (2007)b Photosynthesis Research 91, 136-1136
[6] Boussiba, S. & Aflalo, C. (2005) Innovation in Food Technology 28, 37-39
[7] http://botany.natur.cuni.cz/algo/CAUP/H1955_Chlorella_vulgaris.htm
[8] www.bgu.ac.il

Stichwörter:
Mikroalgen

L&M 4 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2009.
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