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L&M-2-2012 > Bildung - Interview mit Prof. Dr. Jörg H. Winterberg

Bildung - Interview mit Prof. Dr. Jörg H. Winterberg

Die Kultur ist eine andere

Der Markt für private Hochschulen boomt. In den vergangenen 20 Jahren wurden mehr als 70 % der heute existierenden privaten Hochschulen gegründet. Das geht aus einer gemeinsamen Studie des Stifterverbandes und McKinsey & Company zur privaten Hochschullandschaft in Deutschland hervor. Derzeit sind 101 der knapp 400 Hochschulen in privater Hand. Stellten ihre Studenten vor 10 Jahren noch 1,4 %, so sind sie heute kurz davor, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.

Prof. Dr. Jürgen Brickmann sprach für labor&more mit dem Rektor der privaten SRH-Hochschule Heidelberg Prof. Dr. Jörg H. Winterberg über die Wissensvermittlung und die Organisation seiner Hochschule.

Prof. Dr. Jürgen Brickman: Sie sind Rektor einer privaten Hochschule. Wenn Sie Ihre Hochschule mit einer staatlichen Fachhochschule vergleichen, wo würden Sie die größten Unterschiede sehen?

Prof. Dr. Jörg H. Winterberg: Ich glaube, die größten Unterschiede findet man, wenn man sich das Klima anschaut. Wir haben ein schönes Gebäude, das haben andere auch, wir haben Studiengänge mit den gleichen Abschlüssen. Die Kultur ist eine andere. Das fängt damit an, dass unsere Mitarbeiter anders motiviert sind. Ich will nicht sagen, wir haben völlig andere Professoren. Aber wer hier herkommt, der weiß eben, er hat einen Arbeitsvertrag und bestimmte Arbeitszeiten, die er an der Hochschule zu verrichten hat. Er oder sie hat einen Auftrag, Studierende zu begleiten und in ihren Studiengängen zu betreuen. Das ist eine andere Einstellung, als sie an vielen staatlichen Hochschulen immer noch üblich ist. Die Studierenden haben ebenfalls eine andere
Einstellung, weil sie vom ersten Tag an sehen, was das Studium kostet: Nicht nur teure Lebenszeit, sondern tatsächlich auch eben zwischen 550 und 690 Euro pro Monat, die sie aufbringen müssen. Das bringt sie dazu, mit ihrer Studienzeit und mit den Lernerfolgen ganz anders umzugehen, als sie das tun würden, wenn sie nicht für das Studium bezahlen. Das dritte ist das Miteinander von Studierenden und Professoren, das völlig anders ist, weil wir uns als Begleiter des Lernprozesses verstehen. Wir fordern und fördern sie so, dass sie diese drei Jahre für ihren Bachelor auch optimal nutzen können. Das heißt, wir konzentrieren uns auf den Lernprozess und reden über Lehre in der Hochschule. Wir haben gemeinsame Veranstaltungen zwischen Studierenden und Lehrenden, bei denen wir über Lernformen, Lehr- und Prüfungsarten reden. Das sind ja manchmal Tabuthemen an staatlichen Universitäten und Fachhochschulen. Wir haben eine Akademie für Hochschullehre, die der Ausbildung von Professoren und Dozenten dient und in der wir über die Lehrinhalte, Kompetenzen und Vermittlungsarten reden.

*Darf ich kurz einhaken? Sie haben gesagt, es gibt die Akademie für die Weiterbildung für die Professoren. Heißt das, dass Sie für die Professoren regelmäßig Weiterbildungsveranstaltungen anbieten und die Teilnahme auch zur Pflicht machen?

Wir machen sie auch zur Pflicht. Wer bei uns anfängt, der muss sich bereiterklären, einen solchen Kurs zu durchlaufen. Über das Jahr verteilt bieten wir sechs zweitägige Module an, bei denen es nicht nur darum geht, neue didaktische Möglichkeiten kennen zu lernen. Hier geht es um Selbstreflexion und um die Rolle des Hochschullehrers, der den Hörsaal auch als Bühne begreifen muss. Um die Aufmerksamkeit der Studierenden zu erhalten, müssen wir eben auch ein bisschen Entertainer sein. In diesen Weiterbildungen besuchen sich die Professoren aber auch gemeinsam im Unterricht, um voneinander zu lernen und über die Lehre zu diskutieren. Das ist etwas, was wir vor zwei Jahren an unserer Hochschule fest etabliert haben.

Sie haben die Möglichkeit, Forschung und Entwicklung in die Lehre mit einbeziehen, indem Sie in den kooperativen Master- und Bachelorarbeiten mit der Industrie Projekte durchführen, die, wenn es um Entwicklung geht, an vorderster Front anzusiedeln sind. Kommt viel Input aus der Industrie?

Das ist richtig. Was wir häufig haben, sind Weiterbildungsstudiengänge, die wir in Kooperation mit Unternehmen entwickeln und bei denen die Unternehmen ihre Mitarbeiter in die Hochschule schicken. Das wurde z.B. mit der Deutschen Bahn durchgeführt. Da geht es aber weniger um eine akademische Ausbildung als viel mehr eben darum, bestimmte Qualifikationen und Kompetenzen zu vermitteln. Wir nehmen auch Werksstudenten bei uns auf, die, ähnlich wie im Modell der dualen Hochschulen, parallel zum Studium in ihrem Unternehmen dauerhaft arbeiten, vielleicht auch schon vorher in diesem Unternehmen waren und hinterher in das Unternehmen zurückkehren. Eines unserer Hauptargumente ist, dass unsere Studierenden intensiver betreut werden und damit schneller studieren und früher in den Job einsteigen als die von anderen Hochschulen. Wir müssen zwangsläufig dafür sorgen, dass der Kontakt zu Unternehmen möglichst früh beginnt und die Bachelorarbeiten in der Praxis geschrieben werden. Damit verlieren die Studierenden nach dem Studium keine Zeit, um sich praxistauglich zu machen, sondern haben bestenfalls schon einen Job gefunden, bevor sie ihren Abschluss in der Tasche haben.

Gibt es Stipendien für Leute, die jetzt die 600 Euro monatlich nicht bezahlen können, aber sehr begabt sind?

Wir vergeben an unserer Hochschule auch Stipendien. Wir sind zum Beispiel eine der ersten Hochschulen deutschlandweit gewesen, die auch am Deutschlandstipendium teilgenommen hat. Das übernimmt zumindest einen Teil der Studiengebühren.

Das wird dann hier von Ihrer Organisation getragen?

Das Deutschlandstipendium wird paritätisch zur Hälfte vom Bund bzw. vom Land und zur Hälfte von einem Unternehmen getragen. Wir vergeben es im Auftrag des Bundes. Darüber hinaus haben wir auch eine Förderstiftung, die dafür sorgt, dass in Not geratene Studierende die Möglichkeit erhalten, ihr Studium zu Ende zu bringen.

Wie können Sie verhindern, dass gute Leute nicht an eine staatliche Fachhochschule überwechseln, wo keine Studiengebühren anfallen?

Verhindern können wir das nicht, aber wir geben natürlich alles, damit das nicht eintritt. Es gibt flächendeckend gute staatliche Hochschulen. Wir glauben aber, dass man Dinge besser machen kann und hier zielen wir vor allem auf den Wissensvermittlungsprozess. Das beginnt damit, dass jeder Studierende bei uns einen Mentor zur Seite gestellt bekommt.

Das wird auch angenommen?

Ja, und das kann auch in ein Coaching münden. Wir haben an unserer Hochschule ein Coachingangebot, bei dem die Studierenden beispielsweise Praktiken lernen, um besser mit Prüfungsangst umzugehen.

Was macht Sie sonst noch attraktiv?

In den letzten 400 Jahren hat sich in der Hochschullehre wenig verändert. Wir lesen unseren Studierenden etwas vor, obwohl wir genau wissen, dass sie auch selbst lesen können und dass es viel besser für den Lernprozess ist, wenn man mehr Sinne als nur das Gehör anspricht. Dass es effektiver ist, selbst aktiv zu sein, als nur passiv zu lernen und zuzuhören. Gerade deshalb stellen wir das Studium komplett um. Bei der Frage der Wissensvermittlung sind wir flexibler und haben mehr Möglichkeiten, auch unsere Kollegen mitzunehmen, andere Praktiken anzuwenden. Wir sind sicher, dass wir die nächsten 20 Jahre ein Alleinstellungsmerkmal haben werden, wo keiner so leicht hinterherkommt.

Unterstellen wir mal, das alles so, wie Sie das sagen, richtig ist. Warum lernen die staatlichen Hochschulen nicht davon und machen das genauso?

Es gibt einige Universitäten, Fachhochschulen und vor allen Dingen internationale Universitäten, die solche Modelle auch ausprobieren. Fakt ist, dass es sehr schwer ist, einen solchen Systemwandel herbeizuführen, weil jeder Kollege eigentlich alles verwerfen muss, was er bisher unterrichtet hat und sich sagen muss: Ich fange völlig neu an. Ich bin quasi Moderator eines Lernprozesses und verlasse damit die Komfortzone. Es geht also nicht mehr darum, dass ich in der Vorlesung den Stoff und die Fragen definiere, die an mich herangetragen werden, sondern vielmehr ein Problem und die Problemlösungsmöglichkeiten vorgebe. Was dann kommt, ist vielleicht ganz anders, als ich eigentlich erwartet hatte. Damit werde ich aber auch mit Themen konfrontiert, die vielleicht meinen Expertisenbereich verlassen. Ich will nicht sagen, dass wir die Einzigen sind, die es können. Aber es gibt in Deutschland definitiv keine weitere Hochschule, die wirklich hochschulübergreifend in ein anderes Lernmodell übergeht.

Sie können also als Hochschulleitung auch einzelnen Lehrenden auftragen, dass die plötzlich was anderes und anders zu lehren haben?

Fangfrage. Artikel 5 Absatz 3 gilt an staatlichen wie an privaten Hochschulen. Die Lehre und Forschung sind damit frei. Als Rektor einer privaten Hochschule haben sie die gleichen Führungsinstrumente wie an einer staatlichen Hochschule und das heißt, sie müssen vor allen Dingen überzeugen.

Die Lehrkräfte bei Ihnen haben alle Zeitverträge?

Nein. Unsere Lehrkräfte haben zunächst einen Drei-Jahres-Zeitvertrag und dieser wird nach dieser Zeit entfristet.

Wie ist ihre Hochschule organisatorisch aufgestellt?

Wir sind eine gemeinnützige GmbH, das heißt, wir haben natürlich einen Gesellschafter, dem wir Erfolgspläne und Jahresabschlüsse vorlegen müssen, der prüft, inwiefern wir auch unternehmerisch erfolgreich sind. Im Rahmen dieser Erfolgspläne sind aber wir in der Lage, unsere Investitionen, unsere Personalpläne frei zu entscheiden.

Dann sind Sie praktisch neben Ihrer, sagen wir mal, akademischen Position auch noch Geschäftsführer?

Korrekt. Ich bin Rektor und damit akademischer Kopf der Hochschule. Zudem bin ich gemeinsam mit meinem Kollegen Geschäftsführer der Hochschul-GmbH und damit kaufmännisch verantwortlich. Und diese Frage wird bei uns übrigens vom Wissenschaftsrat immer wieder untersucht. Alle privaten Hochschulen in Deutschland müssen sich durch den Wissenschaftsrat institutionell akkreditieren lassen. Dabei ist eine zentrale Frage: Ist die Hochschule tatsächlich eine unabhängige Einrichtung, die sich selbst organisieren kann? Wenn man das nicht nachweisen kann, wird man nicht akkreditiert.

Foto: © Prof. Dr. Jörg H. Winterberg

L&M 2 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2012.
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