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Der CD28-Superagonist TGN1412 als TAB08 auf dem Weg zur Therapie von Autoimmunerkrankungen

Der CD28-Superagonist TGN1412 als TAB08 auf dem Weg zur Therapie von Autoimmunerkrankungen

Comeback bei ­niedriger Dosierung

Der 13. März 2006 wird Immunologen, den Mitarbeitern der regulatorischen Behörden und der kleinen und großen Biotechnologieindustrie für immer im Gedächtnis bleiben: Bei einer Phase-1-Studie eines neuartigen Medikaments, welches Autoimmunität und Inflammation bekämpfen sollte, erlitten sechs ­freiwillige Testpersonen einen lebensbedrohlichen Zytokinsturm, also eine durch pro-inflammatorische Botenstoffe wie TNF Interferon-gamma und IL-6 ausgelöste akute systemische Entzündungsreaktion, die intensivmedizinische Behandlung erforderte [1]. Es handelte sich um den „CD28- Superagonisten“ (CD28SA) TGN1412, entwickelt von der Firma TeGenero AG in Würzburg – ­gemeinsam mit dem Autor dieses Beitrags.

CD28SA sind eine vor fast zwei Jahrzehnten entdeckte Klasse monoklonaler Antikörper (mAk), die an den kostimulatorischen Rezeptor CD28 auf T-Lymphozyten bivalent binden und ein starkes aktivierendes Signal geben [2]; im Gegen­satz zu früher beschriebenen, „konventionellen“ CD28-spezifischen mAk, die nur monovalent an CD28 binden [3], ist für die Auslösung dieser T-Zellantworten keine Besetzung des T-Zellantigenrezeptors (TCR) erforderlich [4]. Inzwischen wissen wir jedoch, dass auch bei CD28SA-­Stimulation die Aktivierungskaskade von TCR-Signalen abhängt – das können allerdings sehr schwache, so genannte tonische Signale sein, die beim Absuchen der Oberflächen anderer Zellen nach präsentierten Peptiden intrazellulärer Krank­heitserreger und mutierter Proteine durch die stets agilen T-Lymphozyten entstehen, ohne dass dabei ein Antigen erkannt werden müsste [5, 6].

Regulatorische T-Zellen sind autoreaktiv

Schon früh wurde in Experimenten an Ratten klar, dass die Injektion von CD28SA zu einer transienten Aktivierung und numerischen Expansion aller CD4-T-Zellen führt, dass jedoch eine besondere Untergruppe dieser Zellen, die regulatorischen (Treg-)Zellen, besonders stark reagieren und die weitere Aktivierung der anderen, „konventionellen“ CD4-T-Zellen rasch unter­drücken [7]. Darüber hinaus zeigte sich, dass bei niedriger CD28SA-Dosierung überhaupt nur regu­latorische T-Zellen expandiert wurden [8]. Heute wissen wir, dass dieser Effekt mit der Autoreaktivität der regula­torischen T-Zellen erklärbar ist: Treg-Zellen werden kontinuierlich durch körpereigene Antigene stimuliert, sie sind also autoreaktiv; im Gegensatz zu pathologisch autoreaktiven konventionellen oder Effektor-CD4-T-Zellen, wie sie z.?B. bei Rheuma eine Rolle spielen, sind sie jedoch nicht auto­aggressiv, sondern vielmehr autoprotektiv, d.h., sie unterdrücken Auto­immun- und Entzündungsreaktionen der Effektor-T-Zellen und limitieren ex­zessive Antworten auf mikrobielle Erreger [9]. Durch ihre Autoreakti­vität erhalten Treg-Zellen kontinuierlich starke TCR-Signale [10], deren Ampli­fikation durch niedrig dosierte CD28SA zur Aktivierung der Zellen ausreicht; konventionelle T-Zellen, die außerhalb einer Immunantwort nur die schwachen „tonischen“ Signale empfangen, brauchen deshalb für das Erreichen der Aktivierungsschwelle einen stärkeren Signalinput des kostimulatorischen Rezeptors CD28 (Publikation in Vorbereitung).

Regulatorische T-Zellen in der Therapie

Diese Befunde legten nahe, dass CD28SA über die Aktivierung von Treg-Zellen effektive Therapeutika für eine Vielzahl von Autoimmun- und Entzündungserkrankungen sowie für das Verhindern von Transplantatab­sto­ßungsreaktionen sein könnten. Dies wurde in der Tat in zahlreichen Nagermodellen für diese Erkrankungen bestätigt, darunter Modelle für Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes, rheumatoide Arthritis, die in der Knochenmarkstransplantation gefürchtete Graft-versus-Host-Erkrankung sowie fremde Organtransplantate (Herz, Leber, Niere, Trachea). Eine Zusammen­stellung dieser Arbeiten findet sich in [11]. Aufregenderweise wurde in jüngster Zeit auch eine Rolle von Treg-Zellen in der Heilung verschiedener Gewebe beschrieben. Und tatsächlich konnte eine positive Beeinflussung der Erholung vom Herzinfarkt [12] und Schlaganfall [13] durch CD28SA-vermittelte Treg-Aktivierung in den entsprechenden Mausmodellen kürzlich berichtet werden.

Schon vor zehn Jahren boten die überzeugenden Ergebnisse jedoch Grund genug, einen humanspezifischen CD28SA gemeinsam mit einer Biotech-Ausgründung, der TeGenero AG in Würzburg, zu generieren. Am Ende der Entwicklung stand ein voll humanisierter Antikörper der IgG4-Klasse, der auf Grund des eingangs genannten Unfalls bei der Phase-I-Erprobung unter dem Namen TGN1412 traurige Berühmtheit erlangte.

Das Problem: CD4-Effektor-­Gedächtniszellen im Gewebe

Was war in London passiert? Die sechs Probanden erhielten eine Antikörper­dosis von 0,1mg/kg Körpergewicht – viel weniger, als Mäuse und Ratten routinemäßig und ohne irgendwelche unerwünschte Reaktionen erhalten. Die Dosis war gewählt worden, nachdem TGN1412 in Cynomolgus-Makaken eine Toxizitätssstudie durchlaufen hatte, bei der bis zu 500-mal mehr TGN1412 appliziert wurde als später dann in London. Warum hatte der Antikörper in den Primaten keinen Zytokinsturm ausgelöst? Eine englische Arbeitsgruppe entdeckte später, dass die Zytokinfreisetzung beim Menschen aus sogenannten CD4-Effektor-Gedächtniszellen erfolgte, einer Population, die vorwiegend in den Geweben lokalisiert ist und dort sehr rasch mit der Freisetzung inflammatorischer Zytokine auf die Wiedererkennung von mikro­biellen Erregern reagiert. Ausgerechnet diese Subpopulation exprimiert zwar beim Menschen, nicht aber beim Cynomolgus-Affen das TGN1412-Zielmolekül CD28; eine toxische Reaktion war damit nicht möglich [14]. Das Ausbleiben einer toxischen Reaktion in Labornagern hingegen erklärte sich durch die saubere Haltung und das vergleichsweise sehr junge Alter dieser Tiere, die deshalb nur wenige CD4-Effektor-Gedächtnis­zellen ansammeln können; diese können dann problemlos von den Treg-Zellen kontrolliert werden [15]. Bleiben noch die Zellkulturversuche mit zirkulierenden Lymphozyten und Monozyten (periphere Blut mononukleäre Zellen, PBMC), die ebenfalls keine toxische Zytokinfreisetzung bei Zugabe von TGN1412 gezeigt hatten. Inzwischen wissen wir, dass dies am Verlust des eingangs erwähnten „tonischen“ T-Zellrezeptorsignals liegt, das beim Abtasten anderer Zellen im Gewebe generiert wird, beim Eintritt in die Zirkulation, wo die T-Zellen plötzlich ohne Interaktionspartner sind, jedoch ver­loren geht [5]. Wir konnten ­zeigen, dass eine kurzzeitige Kultivierung der PBMC bei hoher Zelldichte geeignet ist, dieses tonische Signal wiederherzustellen [6]. Damit konnten wir ein Zellkultursystem entwickeln, in dem die Effekte von TGN1412 auf Effektor-T-Zellen und regulatorische T-Zellen detailliert untersucht werden können.

Parallel dazu hatte eine neue Biotech Firma, TheraMAB, die Entwicklung des Antikörpers unter dem neuen Namen TAB08 wieder aufgenommen. Titration von TAB08 in dem neuen, RESTORE (für resetting T-cells to original reactivity) genannten Zellkultursystem bestätigte die Freisetzung toxischer Zytokine auf CD4-Effektor-Gedächtniszellen und zeigte darüber hinaus eine dramatische Aktivierung und Expansion der regu­latorischen T-Zellen. Wie aus den Nagermodellen vorhergesagt, erlaubte die Reduktion der CD28SA Konzentration bis zu einem Punkt, an dem Effektor-CD4-T-Zellen nicht mehr aktiviert wurden, immer noch eine effektive Stimulation regu­latorischer T-Zellen [11]. Ermutigend war darüber hinaus, dass die Zugabe des Kortikosteroids Methylprednisolon in klinisch realistischen Dosierungen die Freisetzung der toxischen Zytokine vollständig hemmte, die Aktivierung der regulatorischen T-Zellen jedoch nur partiell reduzierte.

CD28SA: Weniger ist mehr

Auf der Basis dieser In-vitro-Befunde wurde eine neue Phase-I-Studie durchgeführt, bei der eine 1000-fach niedrigere Eingangsdosis im Vergleich zur Londoner Studie von 2006 gewählt wurde, gefolgt von vorsichtiger schrittweise Anhebung bis zu 7µg/kg Körpergewicht, also einem Vierzehntel der in London verwendeten Dosierung [11]. Die Applikation erfolgte dabei stets durch langsame Infusion über mehrere Stunden und nicht wie in London durch Bolusinjektion. Die neue Studie war ein voller Erfolg: Bei keiner der gewählten TAB08-Dosierungen kam es zu ­Zwischenfällen oder auch nur dem Nachweis zirkulierender proinflammatorischer Zytokine, je­doch im oberen Dosisbereich zu einer signifikanten Ausschüttung des Treg-zelltypischen, anti-inflammatorischen Zytokins IL-10 in die Zirkulation [11]. In einer sich anschließenden Phase-IB-Studie mit RA-Patienten konnten zum Teil erstaunliche therapeutische Effekte beobachtet werden – und das bei einer Dosis, die ca. 1000-fach unter der in der Klinik üblichen ­Therapie mit TNF-blockierenden Antikörpern wie Infliximab liegt [http://viewer.zmags.com/publication/a12191bd#/a12191bd/14]. Sollte sich dies in einer bald startenden Phase-II-Studie ­bestätigen, steht der Entwicklung einer Niedrig-Dosis-CD28SA-Therapie für menschliche Auto­immunerkrankungen und andere Immunpathologien nichts mehr im Wege. Der klassische Aus­spruch des Arztes Paracelsus im 16. Jahrhundert „Alle Dinge sind giftig, allein die Dosis macht das Gift“ hat sich damit für dieses hoch wirksame Biological in eindrucksvoller Weise bestätigt.

Erklärung zum Interessenkonflikt:
Der Autor ist Berater der Firma TheraMab LLC.

Literatur
[1] Suntharalingam, G. et al (2006) N. Engl. J. Med. 355, 1018–1028
[2] Luhder, F. et al. (2003) J. Exp. Med. 197, 955–966
[3] Dennehy, K.M. et al., (2006) J. Immunol. 176, 5725–5729
[4] Tacke, M. et al. (1997) Eur. J. Immunol. 27, 239–247
[5] Stefanova, I. et al. (2002) Nature 420, 429–434
[6] Romer, P.S. et al. (2011) Blood 118, 6772–782
[7] Lin, C.-H. & Hunig, T. (2003) Eur. J. Immunol. 33, 626–638
[8] Beyersdorf, N. et al. (2005) J. Exp. Med. 202, 445–455
[9] Sakaguchi, S. et al. (2006) Immunol. Rev. 212, 8–27
[10] Andersson, J. et al. (2007) Int. Immunol. 19, 557–566
[11] Tabares, P. et al. (2014) Eur. J. Immunol. 44, 1225–1236
[12] Weirather, J. et al. (2014) Circ. Res. 115, 55–67
[13] Na, S.Y. et al. (2015) Stroke 46, 212–220
[14] Eastwood, D. et al. (2010) Br. J. Pharmacol. 161, 512–526
[15] Gogishvili, T. et al. (2009) PLoS ONE 4, e4643

Bild: © istockphoto.com| Eraxion

L&M 2 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2015.
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