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Mistel - Bekämpfen oder schützen?

Mistel - Bekämpfen oder schützen?

Aktuelles zu einem zunehmenden Problem

Während die Mistel bedeutsame Nutzungen in der Naturheilkunde erfährt und in der Vergangenheit meist verehrt wurde oder gar heilig war, entsteht in letzter Zeit der Eindruck, dass ihre Schäden an Bäumen zunehmen und man sie bekämpfen muss. Für eine solche mögliche Zunahme können verschiedene Ursachen verantwortlich sein, woraus auch bestimmte Handlungsempfehlungen abzuleiten sind.

Die Weißbeerige Mistel (Viscum album) ist ein wintergrüner Strauch mit kugeliger Krone von maximal etwa 1,5 m Durchmesser in den Kronen der Wirtsbäume. Sie wurzelt nicht im Boden, sondern auf Ästen von Bäumen, wo sie den Wasserhaushalt des Wirtsbaumes anzapft. Es sind über 450 Baumarten /-unterarten als Wirtspflanzen bekannt, auf denen die Weißbeerige Mistel parasitiert.
Die Früchte sind weiße bis gelbliche Beeren, ihre weiße Farbe scheint ein Schutz vor Erwärmung zu sein, durch den eine zu frühzeitige Keimung im Spätwinter verhindert wird. Die mittlere Fruchtwand besteht aus Schleim, der wichtig für die Verbreitungsstrategie der Mistel ist: Der Schleim sorgt für ein Festkleben des Samens an einem Wirtsast, wenn der Same von einem Vogel an seinem Ruheplatz abgesetzt wurde.

Interaktion mit dem Wirtsbaum

Ab März /April beginnen die Mistelsamen bei Temperaturen von 8 – 10 °C zu keimen, die optimale Temperatur liegt bei 15 – 20 °C. Wärmere Frühjahre wirken sich also günstig aus. Eine wesentlich größere Rolle spielen allerdings ausreichende Lichtverhältnisse. So können Schnittmaßnahmen die Mistel-Etablierung fördern. Die grüne Keimwurzel (eines an einem Wirtszweig klebenden Samens) biegt sich zur Wirtsrinde hin, bei Erreichen einer geeigneten Keimgrundlage drückt sich ihre Spitze an die Wirtsrinde und verbreitert sich durch seitliches Wachstum zu einer Haftscheibe. Dabei wird eine viskose Flüssigkeit abgeschieden, die als Klebstoff dient, verhärtet und den Keimling an der Unterlage festhält.
Dieser Prozess dauert bis zu 60 Tage. Anschließend ist die äußerlich sichtbare Entwicklung der Mistelpflanze für das erste Jahr abgeschlossen. Während der Ausdehnung und Verbreiterung der Haftscheibe wird das äußere Gewebe der Wirtsrinde auseinandergedrückt. Der Primärsenker dringt durch die Rinde des Wirtsastes bis zum Kambium vor, aber nicht weiter in das Wirtsholz, sondern wird von diesem umwachsen. Durch das Verbinden der Mistel mit den Wasserleitungsbahnen des Trägerastes ist schließlich eine kontinuierliche Verbindung zwischen dem Wasserleitsystem des Wirtes und den Blättern der Mistel hergestellt.
Ausgehend vom Primärsenker bilden sich parallel und senkrecht zur Achse des Wirtsastes Rindenstränge. Diese verlaufen im Rindengewebe des Wirtsastes und bilden jährlich 2 – 3 Sekundärsenker, die ebenfalls bis zum Kambium wachsen und anschließend vom Wirtsast umwachsen werden. Als Reaktion auf das Eindringen kommt es zum Anschwellen des Wirtsastes. Die Etablierung einer Mistel geschieht nicht ohne Gegenreaktionen des Wirtsbaumes. Gewebeveränderungen des Wirtsbastes können das Eindringen des Primärhaustoriums erschweren oder sogar verhindern. Dabei ist die Stärke der Reaktion des Baumes abhängig von Faktoren wie Vitalität, Alter und genetischen Voraussetzungen. Grundsätzlich gilt, dass ein sehr vitaler wüchsiger Wirtsbaum weniger von Misteln betroffen ist als ein geschwächter.

Ökologie und Ausbreitung

Da die Mistel zur Fotosynthese selbst befähigt ist und daher keine Assimilate des Wirtes benötigt, gilt sie als Hemiparasit. Durch den direkten Anschluss an die Wasserleitungsbahnen des Wirtes bezieht die Mistel Wasser und darin gelöste Nährsalze („Nährsalzparasit“). Sie hat gegenüber ihrem Wirt stets eine erhöhte Transpirationsrate, sodass das Wasser bevorzugt zu ihr geleitet wird. Selbst nach Laubabwurf des Wirtsbaumes kann die Mistel die Leitbahnen des Wirtes noch zur eigenen Wasserversorgung nutzen, bis dies durch Frost verhindert wird.
Die Früchte und Samen der Mistel sind ein wichtiger Bestandteil der Winternahrung vieler Vogelarten. Unter den Vögeln, die sich von Mistelfrüchten ernähren, gibt es eine Gruppe, welche die Samen verbreitet, und eine, welche die Samen vernichtet. Zu der Erstgenannten gehören Misteldrossel, Mönchsgrasmücke, Wacholderdrossel und Seidenschwanz. Samenvernichtende Arten finden sich vor allem unter den Meisen. Andererseits ist die Mistel für ihre Ausbreitung auf Vögel angewiesen, wobei die Misteldrossel der wichtigste Vektor für die Mistelausbreitung in Mitteleuropa ist. Eine Drossel kann etwa 6 – 10 Früchte pro Mahlzeit verzehren. Bei entsprechenden Witterungsbedingungen und Nahrungsangeboten überwintert sie in großer Zahl. Eine Veränderung ihrer Lebensweise kann zu erhöhter Mistelausbreitung führen. So wird seit einigen Jahren beobachtet, dass die Singdrossel, eigentlich ein Zugvogel, zunehmend häufiger im Winter als Standvogel in Mitteleuropa bleibt und in den Mistelfrüchten eine willkommene Nahrung gefunden hat.
Freistehende oder lichtdurchflutete Randbäume werden von Vögeln als Rast- und Schlafplätze bevorzugt, sodass diese oft stärkeren Mistelbewuchs zeigen. Mistel-, Wacholderdrossel und Seidenschwanz verschlucken die Früchte im Ganzen und scheiden sie aufgrund ihres sehr kurzen Verdauungstraktes schnell wieder aus. Beim Seidenschwanz sind dies nur 7 – 15 Minuten, bei der Drossel bis zu 30 Minuten. Aus der Verweildauer und der Fluggeschwin- digkeit (Drossel etwa 40 km / h) lässt sich so ein Ausbreitungsradius von mehreren Kilometern, im Extrem bis 20 km errechnen.

Schäden am Wirtsbaum und ihre Verhinderung / Beseitigung

Nach dieser Kurzübersicht zur Biologie und Ökologie der Mistel sollen nun nachfolgend die häufigsten Fragen der Praxis zum Mistelbefall beantwortet bzw. diskutiert werden.

- Wie, wo, wann und mit welchen Folgen schädigt die Mistel ihren Wirtsbaum?

- Nimmt die Ausbreitung der Misteln derzeit zu?

- Schadet die Mistel dem Wirtsbaum durch Wasser- / Nährstoffentzug?

- Wird die Vitalität des Wirtsastes / -baumes durch die Mistel vermindert?

- Kommt es im Bereich des Mistelansatzes zur Holzfäule?

- Ergeben sich Astbruchrisiken aus dem Gewicht der Mistel?

- Müssen /sollten Misteln bekämpft werden?

Tritt die Mistel massenhaft auf, so kann sie zu Schädigungen an Einzelbäumen oder Baumbeständen führen. Stadtbaumbestände sind lokal (bestimmte Baumarten) besonders starkem Mistelbefall ausgesetzt, durch den ihre Vitalität abnehmen kann – bis hin zum Absterben von Ästen, Kronenteilen und ganzen Bäumen. Nachteilig dabei ist, dass die meisten Stadtbäume (z. B. Linde, Ahorn, Pappel, Robinie) besonders mistelhold sind, i.d.R. stärkerem Stress als Waldbäume ausgesetzt sind und oft durch ihren Freistand beliebte Schlaf- und Rastplätze für Vögel darstellen. Verbreitet herrscht derzeit der Eindruck, dass der Mistelbefall an Stadtbäumen zunimmt. Ob dies zutrifft, ist allerdings nicht sicher nachzuweisen. Ursachen könnten dafür z.B. sein:

- eine geringere Nutzung der Misteln für medizinische Zwecke als früher,

- eine Konkurrenzstärkung der Misteln durch stärker verlichtete Baumkronen,

- eine Konkurrenzstärkung der Misteln durch geschwächte Wirtsbäume infolge beispielsweise von Trockenstress,

- eine Konkurrenzstärkung der Misteln infolge wärmerer Winter durch die immergrünen Blätter,

- veränderte Lebensgewohnheiten der Mistel verbreitenden Vögel, z.B. häufigeres Überwintern in den Städten.

Der Wasser- und Nährstoffbedarf der Mistel bedeutet einen gewissen Verlust für den Ast / Baum. Solange ausreichend Wasser und Nährstoffe vorhanden sind und der Mistelbfall moderat ist (eine Mistel pro Zweig bzw. maximal 5 – 10 pro Baum), dürften diese Verluste aber vernachlässigbar sein. Bei starkem Befall, Trockenstress oder Nährstoffmangel allerdings wird es nicht mehr nebensächlich sein. Eigene Erhebungen zeigen, dass Äste/Bäume mit Misteln oft eine schlechtere Vitalität zeigen als unbefallene Äste desselben Baumes bzw. unbefallene Bäume.
Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass zunächst die geringere Vitalität eines Baumes (Astes) zum verstärkten Mistelbefall führen kann und nicht der Mistelbefall die Ursache der schlechteren Vitalität sein muss (Dies tritt erst in fortgeschrittenem Befallsstadium ein: Sehr starker Befall kann zum weiteren Absterben von Ästen und im Extremfall des Baumes führen.) Bäume / Äste mit uneingeschränkter Vitalität können sich mit moderatem Mistelbfall lange Zeit arrangieren.
Die entstehenden Kosten einer Mistelbeseitigung sind nicht unerheblich, sodass nur durch die rechtzeitige Vorsorge bei noch geringem Befall der Stadtbaumbestand geschützt werden kann. Befallene Äste sollten bis 10 cm unterhalb der Befallsstelle abgeschnitten werden, um das Austreiben von Rindensträngen zu verhindern.
Nach 2 – 3 Jahren ist ein Wiederholungsschnitt einzukalkulieren, um übersehene Misteln bzw. Neuaustriebe zu entfernen. Bei mittlerem Befall (5 – 10 vom Boden aus sichtbare Misteln pro Baum) sind meist Wiederholungsschnitte notwendig. Aufgrund der Kosten dieser Maßnahmen sind sie allerdings nur bei besonders wertvollen Bäumen sinnvoll. Der Erfolg von Schnittmaßnahmen ist i.d.R. auch von der Baumart abhängig. So kann der Mistelbefall z.B. bei Eschen und Hainbuchen durch Schnitte meist erfolgreich eingedämmt werden, während dies bei Hybridpappeln oft ohne Erfolg bleibt, da sie besonders anfällig für Mistelbewuchs sind. Die effektivste Maßnahme gegen ein starkes Mistelbefallrisiko ist die Pflanzung von standortgerechten Baumarten, die nur wenig oder nicht mistelanfällig sind.

Fazit

Die Mistel ist ein ungemein faszinierendes Gehölz, vielleicht das ungewöhnlichste heimische überhaupt. Alleine dies sollte zu einem gewissen Respekt vor ihrer Lebensweise und etwas Toleranz gegenüber ihren Schäden an Wirtsbäumen führen. Während die Mistel in früheren Zeiten verbreitet eine verehrte und wertvolle Pflanze war, gibt es heute in einigen deutschen Großstädten sog. Mistelbekämpfungsstrategien. Hier stellt sich die Frage, ob die Verhältnismäßigkeit noch gewahrt bleibt. Man kann zunächst davon ausgehen, dass die Mistel eher selten ihren Wirt umbringen wird, denn damit entzieht sie sich selbst die Lebensgrundlage. Wirklich kritisch wird es eigentlich nur bei stark befallenen Hybridpappeln, bei denen sich aber sowieso die Frage stellt, ob sie die geeigneten Stadtbaumarten sind.
Wer sich intensiv mit der Bedeutung in Medizin und Kunst sowie der (früheren) Verehrung der Mistel befasst hat, wird vor dem Hintergrund der dadurch entstehenden Achtung vor diesem Gehölz wohl nicht mehr über Bekämpfungsstrategien nachdenken, sondern höchstens über eine begrenzte Nutzung. „Schützen durch Nützen" – die beste Möglichkeit der Konfliktentschärfung – könnte tatsächlich der Schutz (der Bäume) durch Nutzung (der Mistel) sein: Misteln lassen sich für medizinischnaturheilkundliche Zwecke und in der Vorweihnachtszeit zur Dekoration erfolgreich verkaufen. Auf diese Weise kann man zumindest einen Teil der Beseitigungskosten finanzieren und die Mistelpopulation im Griff behalten. Beeindruckend ist die eigene Erfahrung, in welcher Geschwindigkeit geschnittene Mistelzweige verschwinden (durch Bürger /-innen), wenn man sie im November oder Dezember nur einige Stunden frei zugänglich liegen lässt. Dies zeigt die enorme Wertschätzung der Art in der Bevölkerung.

Literatur

Grundmann, B.M.; Pietzarka, U.; Roloff, A., 2011: Viscum album L. (Weißbeerige Mistel). Enzyklopädie der Holzgewächse 59: 1-23.
Roloff, A.; Grundmann, B.M.; Pietzarka, U., 2011: Aktuelles zur Mistel - Bekämpfen oder schützen? Forstwiss. Beitr. Tharandt / Contr. For. Sc. Beiheft 10: 77-95.

Foto: © Prof. Dr. Andreas Roloff

L&M 6 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2012.
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