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Von Honigbienen lernen – Live-Beobachtungen im Bienenstock

Von Honigbienen lernen – Live-Beobachtungen im Bienenstock

Licht ins Dunkel

Im Bienenstock ist es absolut dunkel und warm. Das Volk funktioniert wie ein hoch komplexer Organismus. 50.000 Individuen leben ganz dicht beisammen und sind doch frei beweglich. Durch ausgeklügelte Arbeitsteilung ist nicht die Einzelbiene fleißig, sondern das Volk in seiner Summe. Dem Menschen bleiben die Vorgänge in einem Bienenstock meist verborgen. Nicht so bei HOBOS (HOneyBee Online Studies), der von uns initiierten Online-Forschungsplattform. Spezielle Kameras mit einer bestimmten Lichtwellenlänge ermöglichen tiefe Einblicke in das Innere des Stocks, ohne dass sich die Honigbienen gestört fühlen könnten. Das natürliche Verhalten der Bienen wird für jeden live sichtbar.

Es ist der 10. September, 11:06 Uhr. Die Lufttemperatur im Garten der Würzburger Bienenstation beträgt 24,6 °C und die Sonneneinstrahlung liegt bei 668,10 Watt/m2. Niederschlag gibt es keinen. Eine heimkehrende Sammelbiene landet auf dem Träger vor ihrem Stock. Die Kamera am Stockeingang filmt sie – gleichzeitig macht eine Wärmebildkamera die für das menschliche Auge unsichtbare Wärmestrahlung der Biene mittels Infrarot sichtbar: Die Honigbiene wird als der hellste und wärmste Teil des Thermogramms weiß dargestellt. Sie ist von Blüte zu Blüte geflogen und hat mit ihrem langen Rüssel Energie in Form von süßem Nektar in ihren Honigmagen gesaugt, den sie nun im Nest abliefern möchte. Beim Durchlaufen der bidirektionalen Lichtschranke und ihrem Eintritt in den Stock wird sie automatisch gezählt. Sie ist eine von 32 Bienen, die pro Minute den Stock betreten. Bevor sie zur Sammlerin wurde durchlief sie verschiedene Arbeitsstadien im Bienenstock. In ihren ersten drei Lebenstagen übernahm sie z.B. Aufgaben im zentralen Brutnest. Hier wurde sie schon einmal gefilmt; von den beiden Endoskopkameras, die Tag und Nacht das Treiben im Stockinneren aufnehmen.

Nachhaltiger Wissensaufbau

Die Honigbienen sind die Protagonisten bei HOBOS, da sie eine wichtige Schlüsselfunktion im Naturhaushalt einnehmen und unverzichtbar für die Nahrungsmittelproduktion der Menschen sind. Das drittwichtigste Haustier des Menschen nach Rind und Schwein, das durch die Blütenbestäubung für ein Viertel der pflanzlichen Nahrung weltweit verantwortlich ist, lebt jetzt schon bedroht: Krankheiten, eingeschleppte Schadinsekten wie die Varroamilbe und der Verlust an Lebensräumen machen der Biene schwer zu schaffen. Über die HOBOS- Plattform können an einer lebenden Honigbienenkolonie naturwissenschaftliche Beobachtungen durchgeführt werden. Live-Bilder und Messwerte aus dem Stock und seiner Umgebung lassen sich abrufen und miteinander in Beziehung setzen. Zeiträume sind dabei beliebig eingrenzbar. Daraus resultierende Grafiken machen die hochkomplexen Lebensvorgänge der Honigbienen und auch natürliche Zusammenhänge sichtbar. Das Projekt leistet hiermit einen Beitrag zum Wissensaufbau rund um die Honigbiene. Dieses Wissen ist heute erforderlich, da die Zukunft der Erde von einem klugen und nachhaltigen Umgang des Menschen mit der Biosphäre abhängt. Aus diesen Gründen hat unsere Bienenforschungsgruppe eine echte Honigbienenkolonie mit dem Internet verknüpft. In ihren ersten Vorstufen existiert die Plattform seit dem Jahr 2009 und ermöglicht nun Schülern, Lehrern, Studenten und Imkern aus aller Welt einen völlig neuen Zugang zum Bienenstaat.

Hightech im Bienenstock

Über verschiedene Kameras und Sensoren lassen sich eine lebende Bienenkolonie und ihre Umwelt aufs Genaueste studieren. HOBOS liefert Live-Videos über eine Kamera am Stockeingang mit Infrarotbeleuchtung, eine Wärmebildkamera, zwei Endoskopkameras mit Mikrofonen, die die Zarge und den Gitterboden des Stocks filmen (Abb. 1) und eine Kamera mit Infrarotbeleuchtung, die die Umwelt- und Wetterbedingungen im Garten aufzeichnet.
Daneben werden Datenströme zur Bienenkolonie, Vegetation und zum Wetter angeboten – in Echtzeit und gespeichert. Es lassen sich Parameter zum Stockgewicht, zur Luftfeuchte und -temperatur, zu den Temperaturen in den elf Wabengassen (Abb. 2), zur Temperatur an der Vorderund der Hinterseite des Stocks, zu ein- und ausfliegenden Honigbienen ablesen. Messwerte aus der Umgebung des Stocks zum Luftdruck und zur Lufttemperatur und -feuchte, zum atmosphärischen, elektrischen Feld, zum Niederschlag, zur Windrichtung und -geschwindigkeit, zur Sonneneinstrahlung, zur Bodenund Blattfeuchte ergänzen die Stockdaten.

Neues Lernen

Honigbienen sind sympathisch, motivieren schnell und wecken Interesse. Ihre Biologie ist extrem reichhaltig, von einfachen Tatsachen bis zu hoch komplexen Phänomenen. Über das Internet – dem Medium der Kinder und Jugendlichen – kann heute und in Zukunft besser Wissen aus eigenem Antrieb angeeignet und auch vermittelt werden. Über das innovative Projekt lässt sich das für den Menschen wichtige Insekt online studieren.
HOBOS basiert auf keinerlei Vorkenntnissen – ein Grundlagenwissen zur Honigbiene wird online ebenso dargeboten wie Lehrmaterialien für den fächerübergreifenden Schulunterricht. Denn die Honigbiene kann verschiedenste Wissenschaften miteinander vernetzen: Ihr Wesen ist Biologie, ihr Flug Physik, ihr Verhalten Soziologie, ihr Wabenbau geniale Architektur und aufgrund ihrer großen Bedeutung für den Menschen ist sie schon immer Gegenstand künstlerischer Darstellungen gewesen. Daher bietet das Projekt auch Unterrichtsvorschläge für verschiedene Fächer und Schultypen an. Bislang existieren Lehrmaterialien für die Mathematik, die Kunst und die Biologie. Über die zweisprachige Webseite ist die Plattform zudem international einsetzbar. Weltweite Schulkooperationen lassen sich somit durchführen, so dass sich Schüler auch über Landesgrenzen hinweg zur Biene austauschen können.

Einfache Beobachtungen

Allein schon über die Vielzahl an Videos und Daten entstehen neue Impulse. Denn über das einfache Betrachten der Aufzeichnungen und der Datenspuren lassen sich schnell Fragen entwickeln und auch beantworten:

- Wann starten in der Früh die ersten Sammelbienen?

- Wie schwer ist der Bienenstock, wenn Futter für den Winter eingelagert wurde?

- Was machen Honigbienen im Winter?

- Wie werden Arbeiterinnen, die im zentralen Brutnest tätig sind, mit Futter versorgt?

- Wie klingt eine junge Bienenkönigin, kurz bevor sie schlüpft?

- Wie warm ist es im Zentrum eines Bienennests und wie warm ist es im Randbereich der Waben?

- Wo befinden sich die Wachsdrüsen der Arbeiterinnen, aus denen Wachsplättchen zum Bau neuer Waben ausgeschwitzt werden? (Abb. 3)

- Wann kehren Honigbienen spätestens in den Bienenstock zurück, wenn sich ein Gewitter ankündigt?

Komplexere Untersuchungen

HOBOS ermöglicht neue Dimensionen für den Forscher und auch für den Nicht-Wissenschaftler. Die Speicherung sämtlicher Daten über einen mehrjährigen Zeitraum erlaubt nicht nur eine zeitlich sehr fein aufgelöste Beobachtung, sondern auch die Aufdeckung und Verfolgung von Langzeittrends im komplexen Gefüge zwischen dem Superorganismus und dessen Umwelt. Jede denkbare Analyse und Korrelation der aufgezeichneten Vorgänge ist möglich. Theorien können beliebig aufgestellt und hinterfragt werden oder der Nutzer greift einfach auf beispielhafte Projektvorschläge und Lehrmaterialien zurück, wie es Christoph Bauer, Biologie- und Chemielehrer am Würzburger Deutschhaus Gymnasium getan hat. Im Natur- und Technik-Unterricht in der sechsten Jahrgangsstufe hat Christoph Bauer sich mit seinen Schülern im Laufe einer Doppelstunde mit der Thermoregulation im Honigbienenstock auseinandergesetzt und HOBOS verwendet. Im Unterricht wurden die Temperaturdaten aus dem Bienenstock mit den Temperaturdaten außerhalb des Stocks an einem warmen und an einem kalten Sommertag verglichen. Als Grundlage für diese Arbeit dienten der Projektvorschlag zur Temperaturregulation im Bienenstock und die zur Verfügung gestellten Messdaten. Laut Bauer zeigte sich ein sehr guter Lernerfolg. Die Schüler spricht besonders das Lernen über das Internet an. Am Deutschhaus Gymnasium soll HOBOS zukünftig ein zentraler Bestandteil der Hochbegabtenförderung und eines sich entwickelnden eLearning-Projekts werden.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Über die Datenvolumina lassen sich auch ganz neue Beobachtungen und Messungen am Stock anstellen, z.B. haben wir im Winter 2012 erstmalig die Heizpeaks entdeckt. Ein Heizpeak ist ein signifikanter Spitzenwert, der beim Aufheizen der Wintertraube erreicht werden kann. Über die Temperaturmessungen von HOBOS konnte erstmalig dokumentiert werden, dass spezielle Heizerbienen ab dem 28. Januar 2012 in mehrtägigen Abständen die Traube einen Tag lang auf 28 bis über 30 °C hochgeheizt haben, um sie dann wieder auskühlen zu lassen.

Blick in die Zukunft

Es bleibt noch viel zu entdecken im Stock. Eine Außenstation in Aura an der Saale soll eingerichtet werden, um der Zentrale an der Universität Würzburg eine breite Palette an Referenzwerten liefern zu können. Ziel unseres Non-Profit-Projekts ist es, mit Unterstützung von Sponsoren auch in Zukunft wichtige Informationen zur Honigbiene anbieten zu können. Dann lässt sich auch unsere Sammelbiene weiter beobachten, die im Stock gerade ihre Beute an eine Abnehmerbiene losgeworden ist und nun wieder ihr Nest verlässt, um Blüten zu besuchen und neuen Nektar zu sammeln.

Foto: © Prof. Dr. Jürgen Tautz

L&M 7 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 7 / 2012.
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