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chemie&more - Faszination Nanokosmos
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Rasterelektronenmikroskopie zwischen Forschung und Kunst
Dr. Eva Mutoro, Electrochemical Energy Laboratory,
Massachusetts Institute of Technology (MIT)
Wer war nicht begeistert vom Anblick der kleinen Lebewesen, die sich beim Beobachten eines Heuaufgusses durchs Mikroskop offenbarten? Heute stehen Wissenschaftlern Methoden zur Verfügung, die weit tiefer in den Mikro- und Nanokosmos vordringen, als es mit Lichtmikroskopen jemals möglich wäre. Bizarre Miniaturwelten, komplexe Formen oder höchst geordnete Strukturen werden sichtbar, die in ihrer Ästhetik häufig Kunstwerken nicht nachstehen.
Koloriertes REM-Bild: Phasengrenze Pt/YSZ (platin-/yttrium-stabilisiertes Zirkonoxid)
Jenseits des Auflösungsvermögens unserer Augen
Die Welt, in der wir leben, ist aus kleinsten Strukturen aufgebaut – wollen wir diese sehen, benötigen wir Hilfsmittel zur Vergrößerung: Mikroskope. Die älteste, wie auch bekannteste Methode ist die Lichtmikroskopie. Die Auflösung dieser optischen Instrumente wird durch die Wellenlänge des verwendeten Lichtes begrenzt und beträgt daher einige Zehntel Mikrometer. Gegenwärtig steht jedoch eine Vielzahl fortschrittlicher Mikroskopietechniken mit höheren Auflösungen zur Verfügung; einige erlauben sogar die Visualisierung einzelner Atome. Mit beschleunigten Elektronen anstelle von Licht zur Abbildung können beispielsweise weitaus höhere Vergrößerungen erzielt werden. Rasterelektronenmikroskope (REM) arbeiten mit einem fokussierten Elektronenstrahl, der die Probe Punkt für Punkt abscannt. Wechselwirken beschleunigte Elektronen mit Materie, entstehen unter anderem Sekundärelektronen. Ein REM kann deren Intensität detektieren, in eine Grauwertinformation umwandeln und aus den einzelnen Rasterpunkten ein Bild zusammensetzen. Aktuelle Geräte erreichen leicht Auflösungen im unteren nm-Bereich und eröffnen somit Einblicke in winzigste Details.
Es gibt viel zu entdecken …
Vergrößerte man ein typisches Reiskorn 1000-fach, was den Möglichkeiten eines Lichtmikroskops entspricht, so könnte dieses auf einer Fläche von drei Quadratmetern abgebildet werden. Rasterelektronenmikroskope ermöglichen in etwa bis zu 1.000.000-fache Vergrößerung. Das Reiskorn würde ganze drei Quadratkilometer ausfüllen – also eine riesige Fläche, die zur Erkundung all ihrer Einzelheiten einlädt. Ein weiterer Vorteil von REM gegenüber Lichtmikroskopie ist die große Tiefenschärfe, die selbst die Abbildung dreidimensionaler Morphologien erlaubt. Die Proben müssen beim Einsatz herkömmlicher REM lediglich vakuumstabil und leitfähig sein. Nicht leitfähige Objekte können allerdings einfach mit einer dünnen leitfähigen Metallschicht bedampft werden. Oberflächenbeschaffenheiten können Materialeigenschaften stark beeinflussen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Lotus-Effekt, der durch „selbstreinigende Oberflächen“ bekannt wurde und wo eine spezielle Mikro- und Nanostrukturierung der Oberfläche deren geringe Benetzbarkeit bedingt. REM stellt heute ein leistungsstarkes Instrument dar, insbesondere in Kombination mit anderen Analysetechniken und findet daher vielfältigen Einsatz in Wissenschaft und Forschung. Die Methode ist aber auch aus Bereichen wie der Schadensanalyse, Kriminologie oder Qualitätskontrolle, etwa in der Halbleiterindustrie, nicht mehr wegzudenken.
Abb. 1a Im Großen wie im Kleinen - Ähnlichkeiten zwischen Mikro- und Makrowelt: Die Abbildung zeigt im oberen Teil ein Foto einer Flugzeugtragfläche, im unteren Teil ein REM-Bild eines (mit Silber bedampften) Stubenfliegenflügels. 1b Miniaturgesicht, -komet und -herz: Kolorierte REM-Aufnahmen dünner Platinfilme, die mittels gepulster Laserdeposition (PLD) hergestellt wurden, nach einer Temperaturbehandlung.
Vom REM-Bild zur Nano-Kunst
In erster Linie geht es bei der Nutzung von REM natürlich um den Erhalt wissenschaftlich relevanter Daten. Allerdings weisen die Objekte der Forschung unter dem Mikroskop nicht selten interessante Gestalten, formschöne Gebilde und grafisch ansprechende Muster auf. Selbst alltägliche Gegenstände haben in ausreichend hoher Vergrößerung ein ungewöhnliches Aussehen: Da verwandelt sich einfacher Blütenstaub in eine Vielzahl von kleinen Stachelbällen oder Schimmel in einen winzigen Zauberwald. Gleichzeitig stößt man im Kleinen aber auch auf erstaunliche Ähnlichkeiten zu makroskopisch wohl bekannten Elementen. Abbildung 1a zeigt den Vergleich zwischen einer Flugzeugtragfläche und einem stark vergrößerten Flügeldetail einer Stubenfliege. Die Strukturen der REM-Bilder in Abbildung 1b bestehen alle aus Platin und sind nur einige Mikrometer groß. Grundsätzlich handelt es sich bei REM-Bildern zunächst um reine Graustufenbilder ohne jede Farbinformation, wie im unteren Teil von Abbildung 1a zu sehen ist. Natürlich können diese nachträglich beliebig koloriert und bearbeitet werden, wie beispielsweise in Abbildung 1b gezeigt. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen REM-Aufnahmen muss die Farbwahl hierbei nicht mit physikalischen Gesichtspunkten korrelieren. Ebenso können Vergrößerung und Bildausschnitt frei nach ästhetischen Aspekten gewählt werden – die Abbildung repräsentativer Elemente der untersuchten Probe ist nebensächlich. Nano-Kunstwerke können ohne Weiteres Einzelbeobachtungen oder gar Artefakte darstellen.
Abb. 2 Schwarz-Weiß: Verunreinigungen auf einem Platinfilm und Auflösung einer dünnen Silberschicht in Nanokügelchen. Abb. 3 Oben Platinoberfläche und unten LSM Film
Offene Augen für die Nanowelt
Mit einem Graustufen-REM-Bild als Ausgangsmaterial sind die Möglichkeiten der Gestaltung nahezu unbegrenzt. Die folgenden Bilder stellen daher nur eine kleine Auswahl einfachster Bearbeitungsvarianten vor. Zwei monochrom bearbeitete REM-Aufnahmen sind in Abbildung 2 zu sehen. Das linke Bild zeigt eine dünne Platinschicht mit Verunreinigungen, das rechte die Auflösung eines Silberfilms in Nanokügelchen. Bei diesem Experiment wurde eine elektrochemische Zelle aus einer Silberfilm-Arbeitselektrode, einem Sauerstoffionen leitenden Elektrolyten (yttrium-stabilisiertes Zironoxid, YSZ) und einer porösen Silber-Gegenelektrode anodisch (positiv) polarisiert. Der dabei an der Arbeitselektrode entstehende Sauerstoff führte zur gezeigten Morphologieänderung. Die zwei angefärbten Bilder in Abbildung 3 sind aus REM-Aufnahmen einer Platinoberfläche und eines teilweise delaminierten Lanthanstrontiummanganat (LSM)-Film entstanden. Abbildung 4 zeigt eine REM-Aufnahme eines dünnen Platinfilms auf einem YSZ-Kristall nach einem elektrischen Überschlag. Das Material wurde dabei punktuell zerstört, das Platin ist aufgeschmolzen und in dieser Form wieder erstarrt. Später wurde das Motiv unterschiedlich angefärbt.
Abb. 4 REM Pop-Art
Ein Schritt weiter: Wissenschaft für Kunst
Stellen viele Mikroskopiekunstwerke sozusagen Nebenprodukte der Forschung dar, kann man allerdings noch einen Schritt weiter gehen und ganz gezielt Miniaturstrukturen allein wegen ihres Aussehens präparieren. Werden zur Herstellung und dem Sichtbarmachen später modernste Techniken verwendet, sind die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft fließend. Ein schönes Beispiel ist der kürzlich von Prof. J. Hart (University of Michigan) präsentierte Nano-Obama, dessen Gesicht aus etwa 150 Millionen Kohlenstoff- Nanoröhrchen besteht [1].
Eine neue Kunstform
Mittlerweile haben sich grafisch aufgearbeitete Mikroskopiebilder zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt. Es gibt sogar eine Reihe von Wettbewerben, in denen als Bewertungskriterium allein die Ästhetik der Aufnahme zählt [2]. Ein Besuch der Onlinegalerien ermöglicht spannende Einblicke.
Literatur
[1] http://www.nanobama.com/
[2] Eine Auswahl von Mikroskopiewettbewerben:
http://www.olympusbioscapes.com/
http://www.nanoart21.org
http://www.nano-4-women.de/content/view/23/54/
>> Weiterer Artikel REM-Ästhetik
Stichwörter:
REM Aufnahmen, Kunst
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