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labor&more im Gespräch mit Dr. Madeline Lancaster, Preisträgerin des Eppendorf Award for Young European Investigators 2014

labor&more im Gespräch mit Dr. Madeline Lancaster, Preisträgerin des Eppendorf Award for Young European Investigators 2014

Gehirnmodelle in 3D

Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Dr. Madeline A. Lancaster (Marie Curie Postdoctoral Research Fellow, Forschungsgruppe Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnologie, IMBA, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien) wurde für ihre herausragenden ­Forschungsleistungen mit dem ­Eppendorf Award for Young European ­Investigators 2014 ausgezeichnet.

Der mit 15.000 Euro dotierte, international hoch­angesehene Preis wird seit 1995 an in Europa tätige Forscherinnen und Forscher bis zum Alter von 35 Jahren verliehen. Über die Vergabe entscheidet eine unabhängige Jury unter Vorsitz von Prof. Reinhard Jahn (Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen).

Großes Aufsehen weit über Wissenschaftskreise hinaus erregten die jüngsten Arbeiten Madeline Lancasters, die es erstmalig möglich machten, die Entwicklung von menschlichen Hirnstrukturen in einer dreidimensionalen Stammzellkultur nachzuvollziehen. Madeline Lancaster konnte aufzeigen, dass mithilfe der so genannten „cerebralen Organoide“ durch Entwicklungsstörungen bedingte Krank­heiten des Gehirns in vitro reproduziert werden können.

labor&more: Frau Dr. Lancaster, zunächst gratulieren wir Ihnen herzlich zur Auszeichnung! Wir wollen Ihnen nicht verschweigen, dass wir uns insbesondere auch deshalb mit Ihnen freuen, da wir Anfang des Jahres das Potenzial der 3D-Kultur als Titelthema beleuchtet haben. Herr Prof. Dr. Paul G. Layer, Wissenschaftlicher Beirat von labor&more, hat in seinem Beitrag („Von 2D zu 3D – Eine Technik hebt ab“, L&M 2.14) die Bedeutung Ihrer in Nature publizierten Arbeit (Lancaster et al., 2013, DOI: 10.1038/nature12517) herausgestellt. Im ­Labor von Dr. Jürgen Knoblich ist es Ihnen gelungen, erstmals Mini-Gehirne aus Stammzellen zu züchten, was weltweit Furore gemacht hat. Was bedeutet dieses Ergebnis für Sie persönlich?

Dr. Madeline Lancaster: Es ist eine große Ehre. Ich muss sagen, dass wir mit einer so gewaltigen Reaktion auf unsere Arbeit gar nicht gerechnet ­hatten, ich fand die Reaktion einfach fantastisch. Es haben uns Wissenschaftler aus allen möglichen Bereichen angesprochen und es kamen sogar Anfragen aus der Öffentlichkeit von Personen, die ein­fach von den Möglichkeiten fasziniert waren. Ich finde, es ist die größte Anerkennung für einen ­Wissenschaftler, wenn es seine Arbeit bis in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit schafft und die Leute anfangen, sich für die Wissenschaft zu be­geistern.

Mit Ihren am IMBA entwickelten cerebralen Organoiden wurde es erstmals möglich, Strukturen des wohl komplexesten Organs, das die Natur hervorgebracht hat, in seiner frühen Entwicklung zu imitieren. Welche Hirnareale werden hier abgebildet?


Querschnitt eines vollständigen cerebralen Organoids mit verschiedenen Gehirnregionen. Zellen sind in blau, neuronale Stammzellen in rot und Neuronen in grün dargestellt.
Bild: © IMBA/Madeline A. Lancaster


Vergleichende Darstellung eines cerebralen Organoids (rechts) mit dem sich entwickelnden Gehirn einer Maus (links). Beide Bilder zeigen neuronale Stammzellen in rot und Neuronen in grün.
Bild: © IMBA/Marko Repic und Madeline A. Lancaster

Die Mini-Gehirne, die wir entwickelt haben, können im Schnitt die Entstehung von Gehirnstrukturen bis in die neunte Schwangerschaftswoche nachbilden und haben die erstaunliche Fähigkeit, die Identität verschiedener Bereiche des Gehirns anzunehmen. Das sind unter anderem die Großhirnrinde, das ist der größte Teil des menschlichen Gehirns, die Retina oder der Hippocampus, der für das Lernen und das Gedächtnis verantwortlich ist, und der Plexus choroideus, das ist die Region, die für die Produktion der Cerebrospinalflüssigkeit verantwortlich ist. Diese verschiedenen Bereiche sind alle für die Gesamtfunktion des Gehirns wichtig und können von verschiedenen Hirnkrankheiten betroffen sein. Diese können wir jetzt an den cerebralen Organoiden untersuchen.

Sie arbeiten mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen), für deren Entdeckung der ­Japaner Shinya Yamanaka 2012 den Medizin-­Nobelpreis erhielt. Welche Rolle spielt dieser Zelltyp für die Organkultur und wie setzen Sie die iPS-Technik für Ihre Studien ein?

Ein Ansatz zur Entwicklung von Mini-Gehirnen beginnt mit iPS-Zellen, bei denen es sich im Wesentlichen um reife Zellen handelt, die auf den am wenigsten differenzierten Status zurückprogrammiert wurden. Der Vorteil für die Schaffung von Organoiden besteht hierbei darin, dass man dann auch iPS-Zellen von Patienten mit Hirnerkrankungen verwenden kann, um Mini-Gehirne zu schaffen, die diese Erkrankung in vitro nachbilden. Außerdem haben iPS-Zellen das Potenzial, therapeutisch bei der Reparatur oder als Ersatz kranker Organe genutzt zu werden – mit dem Vorteil, dass sie nicht abgestoßen würden, da sie von derselben Person stammen, die damit behandelt wird.

Durch Ihre Arbeit rückte die dreidimensionale Zellkulturtechnik, die bereits seit Jahrzehnten angewendet wird und die in ihren Anfängen ein Schattendasein führte, in den Fokus. Welche Möglichkeiten bietet Ihnen die Sphäroidtechnik und worin liegen die Grenzen?

Tatsächlich werden dreidimensionale Kulturen schon seit Jahrzehnten eingesetzt. Und tatsächlich ist unsere Arbeit auch von zahlreichen Studien beeinflusst worden, die gezeigt haben, dass Zellen wie zum Beispiel epitheliale Zellen recht komplexe Strukturen bilden können, wenn sie dreidimen­sional in der richtigen Kultur wachsen können. Ich denke, dass unsere Arbeit auch weiterhin von der Arbeit vieler anderer Labore beeinflusst werden wird, in denen man ebenfalls erkannt hat, welches enorme Potenzial 3D-Systeme bieten. Natürlich gibt es auch Grenzen, und bei einem System wie diesem werden wir den Kontext eines kompletten Organismus niemals in vitro nachstellen können. Diese 3D-Systeme verfügen ja zum Beispiel nicht über Blutgefäße, die bei einem ganzen Organ in vivo normalerweise vorhanden wären.

„Das menschliche Gehirn verfügt über gewaltige entwicklungsbiologische Möglichkeiten, ­die mittels herkömmlicher Tiermodelle bislang nur schwierig untersucht werden konnten. Um Einblick in diese einzigartigen Vorgänge zu erhalten, nutze ich in vitro gezüchtete dreidimensionale Gewebe, welche die embryonale Hirnentwicklung nachvollziehen.“
Madeline Lancaster

Sie haben die cerebralen Organoide als Modell für die Nachbildung von Mikrozephalien genutzt, Fehlentwicklungen des Gehirns, die zu einem deutlich kleineren Gehirn und damit verbundener geistiger Behinderung führen. Was konnten Sie aufdecken?

In diesem Punkt kommt das Potenzial der iPS-Technologie erst richtig zum Tragen. Wir konnten Mikroenzephalie im Modell darstellen, indem wir iPS-Zellen eines Patienten mit dieser Erkrankung einsetzten. Es war eine wirklich verblüffende Verringerung der Größe des Organoids zu beobachten, die der Verringerung der Gehirngröße bei ­diesem Patienten entsprach. Es stellte sich heraus, dass dies durch eine vorzeitige Umstellung der neuronalen Stammzellen auf die Produktion von Neuronen bedingt ist und diese sich dabei zu früh erschöpfen, sodass am Ende zu wenig Neuronen produziert werden.

Ihre Arbeiten haben auch kritische Befürchtungen hinsichtlich eines im Labor gezüchteten Gehirns ausgelöst. Welche Position beziehen Sie hierzu?

Ich denke, dass ein Großteil der Kritik an der Idee, ein Gehirn in einer Petrischale zu erschaffen, nicht wirklich ein Problem sein wird. Was wir geschaffen haben, ist ein Stück Hirngewebe ohne Verbindungen und ohne Empfindung. Ohne diese Elemente können sich keine funktionalen Kreisläufe bilden, sodass meiner Meinung nach bestimmt nicht die Gefahr besteht, mittels dieser Technik ein denkendes Gehirn zu schaffen. Und das ist auch nichts, an dem wir auch nur im Entferntesten in­teressiert wären, da dabei sicherlich erhebliche ethische Bedenken auftreten würden. In meiner Forschung geht es vielmehr darum, Aspekte der frühen Hirnentwicklung und insbesondere der Neuronenentwicklung zu verstehen.

Was können Sie jungen Kollegen, die ganz am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn stehen, mit auf den Weg geben?

Ich finde, Studierende, die an einer Laufbahn in der Forschung interessiert sind, sollten niemals vergessen, warum sie Wissenschaftler oder Wissen­schaftlerin sein möchten, auch im weiteren Verlauf der Karriere. Ich war schon immer ein sehr wissbegieriger Mensch und ich finde, dass die Wissenschaft so unglaublich viele interessante Fragen aufwirft, die es sich zu erforschen lohnt. Mich ­faszinieren immer wieder neue Aspekte und ich nehme mir die Freiheit, diesen Weg einfach zu verfolgen, egal, wohin er mich führt. Ich finde es wichtig, sich die kindliche Neugierde zu bewahren.

Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

(Interview: Claudia Schiller)

L&M 6 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2014.
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